piwik no script img

Streit um den IndustriestrompreisWernekes guter Punkt

Simon Poelchau
Kommentar von Simon Poelchau

Der Industriestrompreis birgt sozialen Sprengstoff. Warum Geld in Unternehmen stecken, wenn das Dienstleistungsgewerbe zugucken muss?

Frank Werneke, Vorsitzender der Gewerkschaft verdi Foto: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

D ie Gewerkschaften sind beim Industriestrompreis gespalten. Während die Industriegewerkschaften schon lange dafür trommeln, warnte nun der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, vor einer Einführung. Es habe „enorme Sprengkraft“, wenn Min­dest­lohn­emp­fän­ge­r*in­nen 35 Cent pro Kilowattstunde zahlen müssten, während die Großindustrie mittels staatlicher Subventionen nur 5 oder 6 Cent zahle, erklärte Werneke. Recht hat er.

Bisher schien die Sache einfach: Während Bundeskanzler Olaf Scholz und die FDP den Industriestrompreis ablehnen, sind die SPD-Bundestagsfraktion und die Grünen dafür. Pro schien also wirtschaftspolitisch links, Kontra rechts zu sein. Doch bei genauerem Hinschauen wird es komplizierter. Die Unternehmenslobby ist sich selbst nicht einig. Während die mittelständische Wirtschaft den Industriestrompreis eher ablehnt, sprechen sich viele Industrieverbände für eine Subventionierung aus.

Sie haben sich mit IG Metall und IG BCE sowie dem DGB in der Allianz pro Brückenstrompreis zusammengeschlossen. Denn was die Industriegewerkschaften einen Pakt mit den Unternehmensverbänden eingehen lässt, ist die Sorge um Jobs in der energieintensiven Industrie und damit auch um ihre eigenen Mitgliederzahlen. Ihr Eigeninteresse an einem Industriestrompreis ist nachvollziehbar. Doch davon haben die Kas­sie­r*in­nen und Pflegekräfte, für die Werneke spricht, nichts.

Zudem verdienen sie in der Regel ohnehin deutlich weniger als Angestellte in der Industrie. Insofern kann man diesen Beschäftigten in den Supermärkten und in der Pflege, die in der Pandemie noch beklatscht wurden, kaum überzeugend vermitteln, warum Milliarden an Steuergeldern in die Industrie gesteckt werden sollen, während sie selbst zusehen müssen, wie sie mit der Inflation zurechtkommen. Und genau da liegt die soziale Sprengkraft beim Industriestrompreis, wie Verdi-Chef Werneke es formuliert. Genau das ist das entscheidende politische Argument gegen ihn.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Simon Poelchau
Redakteur
ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wichtiger wäre



    1. der Industrie erlauben, selber Strom zu erzeugen v.a. mit Solarenergie, was im größten Teil des Landes verboten ist ,



    2. getrennte Strompreiszonen in Nord- und Süddeutschland, dann würden die Preise stärker sinken, wenn das Windangebot reichhaltig ist, und Industrie ginge mittelfristig dorthin, wo mehr Strom ist.

  • Warum verhandeln die Unternehmen Ihren Strom preis nicht an der Börse. Gerade die großen Abnehmer könnten das tun und entsprechend niedrige Preise erzielen. Allerdings mit dem wirtschaftlichen Risiko während der Vertragslaufzeit noch niedrigere Preis abschließen zu können, aber dann vertraglich gebunden zu sein. Da biedert man /frau sich doch lieber an den Staat an, um außerhalb des Wettbewerbes Dumpingpreise zu verhandeln. Damit schädigen die Geschäftsführer der Industrie unser Land und unsere Demokratie. Also mal wieder eine egozentrische Betrachtung des Problems, ohne Veranwortungsübernahme für das eigene Handeln.

    • @Sonnenhaus:

      Allgemein als Info; die Industrie bezahlt schon immer ihren eigenen Strompreis, des wird bei den Artikeln immer als Wissen vorausgesetzt ;).



      Und der scheint billig genug gewesen zu sein, um sich ned eigeninitiativ zu kümmern.

    • @Sonnenhaus:

      Stimmt. Sollen sie das so machen, wie unser Wirtschaftsminister das propagiert hat: einfach mal aufhören zu produzieren. Selber schuld, wenn sie den Produktionsstandort in Deutschland lassen.

  • Das Problem der Industrie steckt mehr im versäumten Weitblick und rechtzeitigen Anpassung der Unternehmensstrategie, um heute vor zu hohen Strompreisen geschützt zu sein. Warum muss den der Staat immer dann eingreifen, wenn das Unternehmen Jahre zuvor mit den scheinbaren Gewinnen die Aktionäre bedient hat und heute sein Aus proklamiert, um Ende des Jahres wiederum die Aktionäre und den Geschäftsführern gute Boni auszahlen zu können. Warum muss Missmanagement immer durch den Steuerzahler aufgefangen werden, und die Führungsebene der industrie keine Verantwortung tragen für ihr Versagen? Wo sind die Rücklagen zur strategischen Veränderung?

  • Ich wundere mich wirklich über diese Debatte. Jetzt verstopft kein Atomstrom mehr die Leitungen, die Elektronen flutschen nur so, und die billigen regenerativen Energiequellen lassen die Preise dermassen ins bodenlose stürzen, dass die Industrie nach Stromsubventionen schreit.