Streit um den Industriestrompreis: Wernekes guter Punkt
Der Industriestrompreis birgt sozialen Sprengstoff. Warum Geld in Unternehmen stecken, wenn das Dienstleistungsgewerbe zugucken muss?
D ie Gewerkschaften sind beim Industriestrompreis gespalten. Während die Industriegewerkschaften schon lange dafür trommeln, warnte nun der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, vor einer Einführung. Es habe „enorme Sprengkraft“, wenn Mindestlohnempfänger*innen 35 Cent pro Kilowattstunde zahlen müssten, während die Großindustrie mittels staatlicher Subventionen nur 5 oder 6 Cent zahle, erklärte Werneke. Recht hat er.
Bisher schien die Sache einfach: Während Bundeskanzler Olaf Scholz und die FDP den Industriestrompreis ablehnen, sind die SPD-Bundestagsfraktion und die Grünen dafür. Pro schien also wirtschaftspolitisch links, Kontra rechts zu sein. Doch bei genauerem Hinschauen wird es komplizierter. Die Unternehmenslobby ist sich selbst nicht einig. Während die mittelständische Wirtschaft den Industriestrompreis eher ablehnt, sprechen sich viele Industrieverbände für eine Subventionierung aus.
Sie haben sich mit IG Metall und IG BCE sowie dem DGB in der Allianz pro Brückenstrompreis zusammengeschlossen. Denn was die Industriegewerkschaften einen Pakt mit den Unternehmensverbänden eingehen lässt, ist die Sorge um Jobs in der energieintensiven Industrie und damit auch um ihre eigenen Mitgliederzahlen. Ihr Eigeninteresse an einem Industriestrompreis ist nachvollziehbar. Doch davon haben die Kassier*innen und Pflegekräfte, für die Werneke spricht, nichts.
Zudem verdienen sie in der Regel ohnehin deutlich weniger als Angestellte in der Industrie. Insofern kann man diesen Beschäftigten in den Supermärkten und in der Pflege, die in der Pandemie noch beklatscht wurden, kaum überzeugend vermitteln, warum Milliarden an Steuergeldern in die Industrie gesteckt werden sollen, während sie selbst zusehen müssen, wie sie mit der Inflation zurechtkommen. Und genau da liegt die soziale Sprengkraft beim Industriestrompreis, wie Verdi-Chef Werneke es formuliert. Genau das ist das entscheidende politische Argument gegen ihn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag