Streit um Termin des Klima-Entscheids: Wahl und Entscheid am gleichen Tag?
Klima-Aktivist*innen drängen auf einen Termin; laut Wahlleiter sei das kaum zu organisieren. Auch in der taz läuft die Debatte. Ein Pro und Contra.
Pro
D ie Zukunftsprognosen für die Spezies Mensch und die von ihr errichtete Zivilisation sind düster. Wenn wir es nicht schaffen, die Erderwärmung zu begrenzen, dürfte vieles davon im wahrsten Sinne des Wortes untergehen. Es drohen soziale und politische Krisen, deren Ausmaß wir uns derzeit kaum ausmalen können.
Der Kampf gegen die Klimakatastrophe ist das wichtigste Thema unserer Zeit. Ein Volksentscheid, dessen Ziel ein verstärkter Einsatz gegen diese Katastrophe ist, sollte alle Aufmerksamkeit bekommen, die er bekommen kann. Er muss daher parallel zur Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl am 12. Februar stattfinden. Das sind die Politiker*innen – egal, ob sie den von der Initiative vorgelegten Gesetzentwurf unterstützen oder nicht – der Bevölkerung schuldig. Denn wir alle werden vom Klimawandel betroffen sein.
An einem separaten Termin nach der Wiederholungswahl droht der Entscheid am Quorum von 25 Prozent zu scheitern. Die Erfahrung mit der direkten Demokratie zeigt: Soloabstimmungen mobilisieren sehr viel weniger Abstimmungsberechtigte, da es ja lediglich um ein einzelnes Thema geht. Zudem könnten die Gegner*innen des Entwurfs – bisher alle demokratischen Parteien –, statt sich der Diskussion zu stellen, diese ignorieren, um dem Thema durch Nichtbeachtung noch weniger Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und die Wahlbeteiligung noch mehr zu senken. Eine solche Taktik wäre peinlich angesichts der politischen Bedeutung dieser Abstimmung.
Unbestritten erhöht es den Aufwand, parallel zu einer Wahl einen Volksentscheid zu organisieren. Doch vieles deutet darauf hin, dass die Vorbereitung gut läuft, auch dank des Einsatzes des neuen Landeswahlleiters. Nach kurzer Zeit haben sich bereits zwei Drittel der benötigten Wahlhelfer*innen gemeldet; die Wahlunterlagen sind offenbar auf einem guten Weg nach Berlin. Es wäre also – nach allem, was bekannt ist – herausfordernd, aber möglich, beide Termine zusammenzulegen.
Angesichts der noch viel größeren Herausforderung durch die Klimakrise müssen sich Senat und Landeswahlleitung dieser Aufgabe stellen. Wie könnte man später jüngeren Generationen gegenüber rechtfertigen, dass man die zentrale Frage der Gegenwart als Nischenthema behandeln und den Berliner*innen eine umfassende Debatte darüber vorenthalten musste, bloß weil die Hauptstadt eines der reichsten Länder der Erde angeblich nicht in der Lage war, 2,5 Millionen Abstimmungszettel zu drucken und zu verschicken?
Auf der COP27 in Ägypten haben die Staaten vor wenigen Tagen gezeigt, dass sie nicht in der Lage sind, entschlossen zu handeln. Natürlich ist der Weg auf dem 1,5- oder 2-Grad-Pfad sehr beschwerlich und entbehrungsreich. Aber wir müssen jetzt die Frage beantworten, welchen Weg wir gehen wollen. Und zwar möglichst alle. Bert Schulz
Contra
Am Wahltag auch via Volksentscheid über mehr Klimaschutz abstimmen? Klar, lieber in einem Aufwasch, der eine Zettel mehr in der Wahlkabine kann ja wohl … eben doch ein sehr großes Problem sein.
Denn was so einfach klingt – nämlich beide Termine zusammenzulegen –, ist so einfach nicht. Sonst würde nicht schon eine Wahl zum Abgeordnetenhaus im Normalfall ein Jahr lang vorbereitet. Irgendwas muss da schon mehr dran sein, als nur ein paar Zettel auszuhändigen.
Das gilt umso mehr, weil die Wahl am 12. Februar 2023 eben kein Normalfall ist: Eine Wiederholungswahl hatte Berlin, hatte Deutschland noch nie in diesem Umfang. Nur drei Monate inklusive Weihnachtsferien bleiben der Landeswahlleitung und ihren Zuarbeitern in den Bezirken für die Vorbereitung. Eine „Herkulesaufgabe“ nennt das Wahlleiter Stephan Bröchler, und wer sich darunter nichts vorstellen kann, der sollte mal bei Schwabs Sammlung griechischer Sagen nachlesen, wie immens eine solche Herausforderung ist.
Mit diesem Vergleich hat Bröchler zudem allein den korrekten Ablauf der Wahlwiederholung gemeint, nicht etwa eine Kopplung mit dem Volksentscheid. Dafür hat er eine andere, klare Einschätzung: Eine zeitgleiche Abstimmung könnte die Wahl gefährden. Gefährden aber hieße: wieder Angriffsfläche für Klagen und Einsprüche bieten, sich wieder zum Gespött weltweit machen – erst die Flughafeneröffnung um acht Jahre verschieben und dann eine Wahl verbocken.
Doch das ist gar nicht der zentrale Punkt: Eine erneut scheiternde Wahl würde das Vertrauen in die Demokratie weiter leiden lassen. Dieses Risiko darf der Senat auf keinen Fall eingehen – umso weniger, weil es ja beim Volksentscheid nicht um ein Entweder-am-Wahltag-oder-gar-nicht geht. Bis Ende März kommenden Jahres bleibt Zeit, über jenes Gesetz abzustimmen, auf dessen Basis Berlin schon bis 2030 und nicht wie vom Senat beschlossen 2045 klimaneutral werden soll.
Natürlich ist es einfacher, nur an einem Sonntag ins Wahllokal gehen und nur einmal seine Stimmen abgeben zu müssen. Aber wo steht geschrieben, dass Demokratie, egal ob repräsentativ oder direkt, nicht auch fordernd sein darf? Wem wirklich etwas an dem Anliegen des Volksbegehrens liegt, der oder die wird auch an einem anderen Sonntag als dem 12. Februar den in Berlin selten langen Weg ins Wahllokal bewegen.
Getrennte Termine heißt: die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den zwölf Bezirksparlamenten durch Konzentration aller Ressourcen absichern und Berlin rehabilitieren, ohne dem Volksentscheid zu schaden. Schaden können der direkten Demokratie nur jene, denen fürs große Ziel der Klimarettung schon ein kleiner Extraweg zu viel ist. Wem im rot-grün-roten Senat an beidem liegt, der wird eine Koppelung ablehnen müssen. Stefan Alberti
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