Streit um Gas im Mittelmeer: Mehr Multilateralismus, bitte
Das Erdgas im Mittelmeer könnte ein Segen für alle sein, führt aber zum Streit. Ein bedeutendes Prinzip fehlt.
W enn zwei Güterzüge auf eingleisiger Strecke aufeinander zufahren, dann sorgt ein Fahrdienstleiter dafür, dass einer von ihnen auf ein Nebengleis umgeleitet wird. Im Nahen Osten geht es aber nicht um Eisenbahnen, sondern um etwas viel Wertvolleres: um Erdgas, das unter dem Meeresgrund liegt. Mehrere Nationen wetteifern um das Recht, die Bodenschätze abbauen zu können.
Der Zug aus Zypern, Israel und Ägypten ist schon länger unterwegs. Diese Länder haben nun beschlossen, die wertvolle, vor ihren Staaten liegende Fracht mittels einer gemeinsamen Pipeline gen Europa zu pumpen. Das ist ambitioniert und teuer. Die Staaten sind sich sicher, dass sie rechtmäßiger Besitzer der Erdgasvorkommen sind.
Dagegen hat die Türkei einen eigenen Zug auf die Reise geschickt. Dort will man von Schürfrechen Zyperns nichts wissen, sondern beharrt darauf, das der infrage kommende Meeresboden zum eigenen Festlandsockel gehört. Um diese juristisch eher schwache Position zu stärken, hat Ankara ein Abkommen mit Libyen geschlossen, nach dem die Festlandsockel beider Länder aufgeteilt werden. Zwischen beiden Staaten aber liegt Zypern, das entsprechend leer ausginge.
Es gibt hier also einen Konflikt um natürliche Ressourcen, die eigentlich ein Segen für alle Beteiligten sein könnten, tatsächlich aber zwischenstaatliche Spannungen zur Folge haben, die bis zu einem Krieg führen könnten. Denn: Ein Fahrdienstleiter, der den Gasverkehr in Ordnung bringen könnte, ist nirgendwo in Sicht. Die USA sind schon länger nicht mehr in der Position, vermittelnd einzugreifen. Die Türkei weist alle Bemühungen der EU zurück. Zypern lehnt es ab, die Minderheit der Inseltürken am erhofften Geldsegen zu beteiligen. Und Ankara hat mit seinem Libyen-Abkommen nun dafür gesorgt, dass der Streit tatsächlich in dem nordafrikanischen Land militärisch eskalieren könnte.
In einer multilateralen Welt gäbe es Mittel, um den Gaskonflikt friedlich zu lösen. Doch diese Ordnung ist aus der Mode gekommen. Wir werden ihr noch nachweinen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP