Streit um EU-Taxonomie: Europäische Zerreißprobe
Deutschland lehnt den EU-Vorschlag zur Taxonomie endgültig ab. Es drohen Greenwashing im Finanzsektor – und aussichtsreiche Klagen.
Sie hätten die „Ablehnung zur Einbeziehung von Atomenergie noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht“, teilten die Ressortchefs für Umwelt und Klima, Steffi Lemke und Robert Habeck (beide Grüne), am Samstag mit. Beim Gas forderten sie allerdings laxere Regeln. Wenn die Kommission nichts ändere, solle Deutschland nicht zustimmen – was aber die Verabschiedung nicht verhindern wird.
Damit steuert die EU auf einen schweren Konflikt rund um ihren Green Deal zum Klimaschutz zu. Denn was zum großen Wurf der EU bei der Ökologisierung des Finanzsystems werden sollte, hat sich in einen Konflikt um Recht, Gesetz und Vertrauen in Europa verwandelt. Das Tauziehen um die sogenannte „grüne Taxonomie“ ist zur Zerreißprobe für die europäische Energie- und Finanzpolitik geworden – und zu einem Konflikt über die Demokratie in der Gemeinschaft.
Wenn die EU-Kommission in der kommenden Woche ihre Bestimmungen zur Taxonomie veröffentlicht, wird die Einbeziehung von Atom und Gas dafür sorgen, dass Mitgliedsländer klagen, Umweltgruppen protestieren und Investoren verwirrt werden. Dabei wollte sie eigentlich den weltweit ersten Bewertungsmaßstab für saubere Investitionen schaffen – und „Billionen in den Klimaschutz umleiten“.
Der „delegierte Rechtsakt“ der EU-Kommission
Anlass für den Streit sind die Ausführungsbestimmungen der Taxonomie, die die EU-Kommission als „delegierten Rechtsakt“ festlegen will. Darin werden Kriterien genannt, unter denen künftige Investitionen in der EU als „nachhaltig“ etikettiert werden. Erklärtes Ziel dabei ist, die Finanzflüsse für neue Kraftwerke, Industrieanlagen oder Gebäude zu Techniken umzuleiten, die wenig oder kein Klimagas CO2 ausstoßen.
Die EU geht davon aus, dass jedes Jahr 180 Milliarden Euro „grün“ investiert werden müssen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Bislang sind es nach Zahlen des Thinktanks „Carbon Disclosure Project“ erst 124 Milliarden. Die „Taxonomie“ ist ein zentraler Baustein des Green Deals, mit dem die EU ihr Ziel erreichen will, bis 2030 minus 55 Prozent CO2-Emissionen gegenüber 1990 zu erreichen – derzeit steht die Union bei etwa minus 24 Prozent.
In der Version der Taxonomie vom 31. Dezember 2021 hatte die Kommission unter anderem vorgeschlagen, auch Geld für Atomkraft und Gaskraftwerke als Hilfe zum Umstieg auf ein CO2-freies System zu betrachten. Das ist an Kriterien gebunden: Für die Atomenergie etwa müsste bis 2050 ein Endlager nachgewiesen und die Technik müsse unfallsicher werden.
„Schlag ins Gesicht der Umweltbewegung“
Neue Gaskraftwerke sollen zudem dafür ihren CO2-Ausstoß ab 2026 so drosseln, dass ab 2036 kein CO2 mehr anfällt – also spätestens dann die Kraftwerke auf „grüne“ Gase oder Wasserstoff umsteigen.
Der Vorschlag der Kommission stieß auf Kritik: Umweltorganisationen sprachen von einem „Schlag ins Gesicht der Klimabewegung“, 30 Abgeordnete des Europäischen Parlaments forderten eine öffentliche Debatte der Taxonomie. Die Investorengruppe IIGCC, die mehr als 50 Billionen Euro Kapital grün einsetzen will, forderte die EU auf, die Bevorzugung von Gas aus der Taxonomie zu entfernen.
Auf der anderen Seite beschwerte sich die Atomindustrie, auch die neuen Regeln reichten nicht für nötige Investitionen – zu restriktiv seien immer noch die Vorgaben. Doch die Konsequenzen reichen viel weiter: „Die gesamte Idee der grünen Taxonomie wird dadurch infrage gestellt“, sagt Magdalena Senn, Expertin der „Bürgerbewegung Finanzwende“.
„Sie sollte einheitliche und klare Regeln bringen, was ein grünes Investment ist, und Greenwashing verhindern. Jetzt geht das Wirrwarr weiter, und Greenwashing wird weiter möglich sein.“
„Aktuelles Signal fatal“
Ähnlich urteilt Christian Klein, Professor für nachhaltige Finanzen an der Universität Kassel. Er ist Mitglied in der deutschen Wissenschaftsplattform Sustainable Finance und findet die Taxonomie immer noch „ein exzellentes Modell, das uns hilft, die Pariser Klimaziele zu erreichen“. Aber das „aktuelle Signal“ sei „fatal“, weil „bei den Anlegern der falsche Eindruck entsteht, das sei alles Quatsch“.
Klein sieht einen anderen Hintergrund: „Die Taxonomie ist ja freiwillig und wurde erst einmal für eine Nische von vielleicht 10 Prozent der Anlagen entwickelt.“ Umkämpft sei sie jetzt, weil sie immer wichtiger werde: „Die EU könnte zum Beispiel irgendwann festlegen, dass sich die umfangreichen Anlagen zur Altersvorsorge an der Taxonomie ausrichten müssen.“ Dann würde dieser Hebel für die Finanzmärkte wirklich relevant. Tatsächlich war das genau der Plan der Taxonomie-Fans: ein Instrument zu schaffen, das klein anfängt und irgendwann die „Billionen“ tatsächlich umschichtet.
EU-Länder, in denen die Grünen mit in der Regierung sitzen, haben noch einen ganz anderen Verdacht: Wenn Atom und Gas in der Taxonomie erst einmal als „nachhaltig“ anerkannt sind, könnte das auch auf andere EU-Finanzfragen übergreifen. „Frankreich geht es nicht um die privaten Investitionen, die grün sind“, sagt Claude Turmes, Energieminister von Luxemburg, der taz. „Da geht es darum, dass die EU akzeptiert, dass bei staatlichen Beihilfen auch Atom als CO2-freie Technik gilt, damit Frankreich seinen Atompark weiter mit Steuergeldern finanzieren kann.“
Auch andere EU-Töpfe liefen Gefahr, als Finanzierungsinstrument für Atom- und Gasprojekte genutzt zu werden: So der 724 Milliarden Euro schwere RRF-Fonds für den Corona-Wiederaufbau oder die Programme der Europäischen Investitionsbank EIB. Bisher verlangt die Taxonomie für das grüne Etikett, dass eine Investition „keinen signifikaten Schaden an der Umwelt anrichtet“. Wenn die Atomkraft davon freigesprochen werde – wie es ein umstrittenes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes der EU tut –, „dann ist das die goldene Brücke, um auch die Staatshilfen für Atom durch die EU-Länder in Zukunft unter grüne Investments fallen zu lassen“, warnt Claude Turmes.
Österreich und Luxemburg klagen
Für Länder wie Österreich und Luxemburg, die Klagen gegen die Taxonomie planen, steht sogar noch mehr auf dem Spiel: die demokratischen Prozesse in der EU. Denn die Grundregeln der Taxonomie sind in einem Gesetz vereinbart worden. Der „delegierte Rechtsakt“ ist dafür nur die Ausführungsbestimmung, wo Kleinigkeiten geregelt werden.
Weil sich manche Länder gesträubt haben, sind Atom und Gas nicht im Taxonomie-Gesetz gelistet. Jetzt könne diese Regel nicht einfach durch die Hintertür des „Rechtakts“ wieder eingeführt werden, empört sich Turmes. Seine österreichische Amtskollegin Leonore Gewessler sieht es ähnlich, auch ein juristisches Gutachten der Deutschen Umwelthilfe stützt diese Interpretation.
Claude Turmes ist deshalb zuversichtlich, dass der Vorstoß der EU-Kommission vor Gericht scheitern wird: „Es ist unmöglich, die europäische Demokratie mit so einem Trick auszuhebeln.“ Sein Vorschlag für eine Lösung: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen müsse für die Themen Atom und Gas einen Zusatz zum Taxonomie-Gesetz formulieren, der dann zwischen Parlament, Rat und Kommission im normalen Verfahren debattiert werde.
Ein Gutes habe die Debatte, sagt Finanzexperte Christian Klein: „Bisher hat dieses zentrale Thema in der Politik und den Medien kaum jemanden interessiert. Jetzt wissen alle, wie wichtig die Taxonomie ist, wenn ab September die Bankberater ihre Kunden darauf hinweisen müssen.“
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