Streit in NRW: Atomkraftgegner ausgeladen
Umweltschützer:innen wehren sich gegen neue Castor-Transporte. Doch das Landeswirtschaftsministerium spricht nicht mehr mit ihnen.
![Drei Menschen vor Plakatwand mit Grünen-Logo und Radioaktivitäts-Zeichen Drei Menschen vor Plakatwand mit Grünen-Logo und Radioaktivitäts-Zeichen](https://taz.de/picture/6912359/14/34818269-1.jpeg)
Jetzt dürfen Vertreter:innen von Neubaurs Landeswirtschaftsministerium, das auch für die Atomaufsicht zuständig ist, offenbar nicht mehr persönlich mit Anti-Atom-Initiativen und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sprechen.
Ein fest vereinbartes „Fachgespräch“ wurde am vergangenen Freitag aus dem Büro der Ministerin heraus völlig überraschend abgesagt – nicht einmal zwei Stunden vor Beginn. Begründung: Die Atomkraftgegner:innen hätten angekündigt, nach dem Gespräch die Öffentlichkeit zu informieren.
„Da die Initiativen den heutigen Termin ohne Rücksprache mit dem Ministerium öffentlich gemacht und angekündigt haben, im Anschluss über die Inhalte des Gesprächs die Presse zu informieren, war der vertrauliche Rahmen für einen offenen Austausch nicht mehr gegeben“, heißt es aus Neubaurs Ministerium auf taz-Nachfrage.
Umwelt-Aktivist:innen: Von Vertraulichkeit war nie die Rede
Die Umwelt-Aktivist:innen weisen den Vorwurf der gebrochenen Vertraulichkeit dagegen scharf zurück. „Von einem vertraulichen Gespräch war nie die Rede“, sagt nicht nur Kerstin Ciesla, stellvertretende Landesvorsitzende des BUND in NRW. „Das Wort Vertraulichkeit ist im Vorfeld nie erwähnt worden“, betont Matthias Eickhoff von der Initiative Sofortiger Atomausstieg. „Es war keine Vertraulichkeit vereinbart“, sagt auch der Sprecher der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt, Helge Bauer.
Bei dem Treffen sollte der Umgang mit der Urananreicherungsanlage im münsterländischen Gronau, die trotz des deutschen Atomausstiegs weiter über eine unbefristete Betriebsgenehmigung verfügt, Thema sein – und die Castor-Transporte von Jülich nach Ahaus. Atomkraftgegner:innen kritisieren diese als „gefährlich“: Schließlich soll der hochradioaktive Brennstoff des Reaktors des einstigen Kernforschungszentrums per Lkw mitten durch Düsseldorf und das Ruhrgebiet ins Münsterland gekarrt werden.
Doch keine Erdbebengefahr
Außerdem seien die Transporte „unsinnig“. Denn geplant wurden sie nur wegen einer Anordnung zur unverzüglichen Räumung des Jülicher Lagers, die 2014 vom damaligen NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) wegen angeblicher Erdbebengefahr erlassen wurde. Doch diese Erdbebengefahr besteht in Jülich nach einer Einschätzung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung vom Oktober 2022 nicht.
Der BUND und die Anti-Atom-Initiativen fordern von Neubaur deshalb seit Monaten, die Transporte zu stoppen und stattdessen auf den Neubau eines Zwischenlagers in Jülich zu setzen, das den heutigen Sicherheitsanforderungen entspricht – wie im schwarz-grünen Koalitionsvertrag versprochen. Neubaur jedoch weigert sich beharrlich, die von ihrem Vorvorgänger Duin erlassene Anordnung zur „unverzüglichen Räumung“ des Jülicher Lagers aufzuheben.
Ihr Ministerium verweist stattdessen auf die Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN), die formal für die Lagerung des hochradioaktiven Atommülls verantwortlich ist und hauptsächlich von der Bundesregierung finanziert wird. Und die JEN will die Transporte mit aller Kraft durchdrücken. Schließlich hätte auch das von der Grünen Steffi Lemke geleitete Bundesumweltministerium die Ahaus-Option für „grundsätzlich vorzugswürdig“ erklärt.
Grund dafür dürften vor allem die Kosten sein: Ohne Einberechnung der Polizeieinsätze zur Sicherung der Castor-Transporte könnte die Verlegung nach Ahaus auf dem Papier billiger sein als der Bau eines neuen Zwischenlagers in Jülich – was besonders den klammen FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner freuen dürfte. Auch deswegen halte Neubaur an der Räumungsverfügung für das Jülicher Lager fest, spekulieren Insider: Die grüne Partei wolle keinen neuen Koalitionskrach in Berlin riskieren.
Umweltschützer:innen wie BUND-Landesvize Kerstin Ciesla wollen das nicht gelten lassen: Angesichts der Sicherheitsbedenken bei den bis zu 152 Atomtransporten über die Autobahnen dürften Kostenfragen keine entscheidende Rolle spielen.
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