Streit im grünen Hamburg-Ottensen: Bulli gegen Fahrrad
In Hamburg-Ottensen, wo fast alle rot oder grün wählen, sind viele für neue Fahrradwege. Aber wo sollen sie dann ihre großen Campingbusse parken?
Ottensen ist derzeit eine Baustelle, denn durch den Stadtteil soll eine Veloroute gehen, die von der Innenstadt bis nach Rissen führt. In Ottensen wurden die Grünen bei der letzten Bürgerschaftswahl stärkste Partei, dennoch hat sich an den neuen Radwegen ein Streit entzündet, der unter anderem in der Facebook-Gruppe „Ottensen downtown – die bunte Seele Hamburgs“ ausgetragen wird. Denn einerseits werden durch die Bauarbeiten die Parkplätze knapp, andererseits wird die Situation auch nach Fertigstellung der Veloroute nicht viel besser werden: ein Drittel der Parkplätze entlang dieser Strecke soll auf Dauer wegfallen.
Weiter in den Stadtteil hinein folge ich dem Radstreifen, der über den Bürgersteig läuft. Eine ältere Dame kommt mir zu Fuß entgegen, sie schaut nicht auf. Ich weiche aus auf den Bereich für Fußgänger*innen, aber dort kann ich nicht blieben, weil Fußgänger*innen kommen. Auf der Straße kommt von vorn ein Auto: Kampf oder Flucht?
In der Keplerstraße, meinem Ziel, wird es wirklich eng. Bis zur Baustelle parken Autos dicht beieinander. Auf dem letzten Stück muss ich das Fahrrad schieben. Durch die Bauzäune ist der Gehweg ganz schmal und die Straße ist aufgerissen. An den Hauswänden und Bauzäunen lehnen unzählige Fahrräder.
Vom Arbeiter- zum Szeneviertel
Ich bin mit Claas H. verabredet, den ich über die Ottenser Facebook-Gruppe kontaktiert habe. Claas ist 53 Jahre alt, aber wenn er redet, wirkt er viel jünger. Er erzählt viel über den Wandel des Stadtteils vom Arbeiter- zum Szeneviertel und macht sich darüber lustig, dass in Ottensen beinah täglich neue Cafés und Friseure eröffnen.
Von den Bauarbeiten vor seiner Haustür, die bis August 2021 gehen sollen, erfuhr er fünf Tage vor Beginn. Lediglich ein Aushang informierte die Anwohner*innen darüber, dass die Keplerstraße und die Eulenstraße dicht gemacht werden. Diese Ankündigung sorgte in der Ottenser Facebook-Gruppe für Furore. Wohin mit den Autos, wenn es keine Parkplätze mehr gibt? Einige Mitglieder fühlten sich übergangen, sie fragten, ob sich hier mal wieder die Inkompetenz durchgesetzt habe. Es gebe bessere Möglichkeiten, diese Route zu bauen, und wenn man es unbedingt machen wolle, solle es nicht von der Kfz-Steuer bezahlt werden.
Stefanie von Berg, Leiterin des Bezirksamts Altona
Die Bezirksamtsleiterin von Altona, die Grünen-Politikerin Stefanie von Berg, schaltet sich ein: „Wenn die Mobilitätswende sichtbar werden soll, werden wir leider vor dem Hintergrund der ambitionierten politischen Bauprogramme nicht allen Interessen gerecht werden können“, postete sie in die Gruppe. „Man bekommt, was man wählt“, schrieb ein Diskussionsteilnehmer.
Schon vor den Bauarbeiten gestaltete sich die Parkplatzsuche in Ottensen schwierig. „Wenn man einen Parkplatz findet, gibt man ihn nicht so schnell wieder auf“, sagt Claas H. Für ihn und seine Familie ist das Fahrrad das bevorzugte Verkehrsmittel. Größere Ausflüge machen sie allerdings mit ihrem VW-Bus, einem T5 der älteren Generation, der auch irgendwo parken muss. „Viele Radfahrende scheren sich kein bisschen um sicheres Fahren“, sagt Claas H. Ohne Rücksicht auf Verluste würden sie durch die engen Straßen rasen oder über rote Ampeln fahren. Das mache das Fahrradfahren für alle gefährlich.
Manche Ottenser*innen mögen sich ein autofreies Viertel wünschen, Claas H. wünscht sich eine sinnvolle Mobilitätswende. „Ich will mobil bleiben, und zwar nicht nur mit dem Fahrrad.“
Für die Zeit der Bauarbeiten fand das Bezirksamt Altona einen Kompromiss, der die Gemüter beruhigte. Es verfügte, dass Kepler- und Eulenstraße nacheinander bebaut werden und die erste Bauphase schon nach acht Wochen beendet sein soll. Thomas Fischer von der Baustellen-Koordination nennt das die „Quadratur des Kreises“: Natürlich versuche man, die Einschränkungen so gering wie möglich zu halten, aber es sei schwierig, alle glücklich zu machen.
Kurze Zeit später bin ich mit Karla S. in einem kleinen Café verabredet. Auch sie ist Mitglied der Facebook-Gruppe. Sie kommt mit dem Fahrrad angefahren und begrüßt mich mit strahlendem Lächeln. Bei der Bestellung in dem Café bin ich etwas überfordert, es gibt so viele Arten von Kaffee, deren Namen ich nicht kenne. Ich frage nach einem Kakao, den man dort auch ungesüßt bekommen kann. Wir setzen uns nach draußen und blicken auf die Kopfsteinpflasterstraße, auf der dicht aneinandergereiht die Autos parken.
„Ohne die wäre es hier doch viel schöner“, sagt Karla. Auf der gegenüberliegenden Seite sehe ich ein kleines Geschäft: „Hängematten und Kajaks“. Ich vermute, die angesprochene Zielgruppe ist sehr klein, doch man hört, dass es den Laden schon lange gibt.
Karla ist Vertreterin für vier Fahrradmarken, sie und ihr Sohn erledigen möglichst alle Strecken mit dem Rad. Doch in Ottensen ist das bisher anstrengend. „Die Straßen sind teilweise sehr eng und Autofahrer*innen nehmen keine Rücksicht. Auf den Gehwegen stehen Tische und Bänke vor den Cafés und Kneipen, die meinem Sohn die Möglichkeit nehmen, dort zu fahren und die Radfahrstreifen führen nur in eine Richtung und werden teilweise unterbrochen.“
Vorsicht vor den Fremdparker*innen
Für Karla S. sind die Baustellen ein Zeichen dafür, dass sich die Situation bald verbessert. Das Pilotprojekt „Ottensen macht Platz“ im vergangenen Jahr hat ihr sehr gut gefallen. Einige Straßen in Ottensen wurden damals für den täglichen Autoverkehr gesperrt. In dieser Zeit entfielen etwa 200 Parkplätze, es gab Ärger. „Autofahrer*innen haben das Gefühl, ihnen würde jemand die Straße wegnehmen, dabei hat niemand ein alleiniges Anrecht auf die Straßen.“ Ihren VW-Bus bewegt sie so selten wie möglich, damit ihr Parkplatz nicht von Fremdparker*innen weggeschnappt wird, die zum Einkaufen oder Flanieren nach Ottensen kommen.
Dasselbe Café ist auch für Stephan B. gut erreichbar, deswegen treffe ich ihn auch dort. Stephan arbeitet mit Computern. Er ist jung, doch sein Vollbart gibt ihm etwas Teddyhaftes. Stephan fährt in Hamburg weder Auto noch Rad, denn beides erscheint ihm zu gefährlich. Er besitzt noch nicht mal einen VW-Bus.
Die Diskussionen in der Facebook-Gruppe kann er mit einem Augenzwinkern abtun. „Die Menschen in Ottensen wollen eigentlich keine Autos hier haben, außer die Autos sind alt. Denn dann gelten sie als retro und sind cool“, sagt er. Seit Corona sieht er vermehrt VW-Busse und Wohnmobile in den Straßen. „Die Leute kaufen sich diese großen Autos und dann fällt ihnen ein, dass sie die auch irgendwo hinstellen müssen.“
Das Bezirksamt Altona hat inzwischen eine Umfrage gestartet. Die Ottenser*innen sollen sagen, ob sie es befürworten, wenn nur noch Anwohner*innen dort parken dürften. Durch das Anwohnerparken könnte man wegfallende Parkplätze ersetzen, allerdings würde für die Parkplätze eine jährliche Gebühr anfallen. Für Menschen von außerhalb würde es dann noch schwieriger, in Ottensen einen Platz zu finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut