Straßenverkehr in Berlin: In Paris läuft's besser
Mitten in der französischen Stadt sperrt die Bürgermeisterin eine viel befahrene Straße für Autos. Ist das auch in Berlin denkbar?
Paris ist nicht nur die Stadt der Liebe, es ist auch die Stadt der FußgängerInnen. Durch die verschiedenen Quartiers bummeln, in einem der zahlreichen Straßencafés am Boulevard Saint-Germain verweilen und den zeitlosen Charme der französischen Hauptstadt genießen: Flanieren gehört in der französischen Hauptstadt zur Tradition. Autos stören da inzwischen nur noch. Deshalb hat der Stadtrat auf Initiative der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo vor wenigen Tagen beschlossen, eine 3,3 Kilometer lange, viel befahrene Straße am rechten Seineufer für den motorisierten Verkehr komplett zu sperren.
Im Herzen der Stadt wird so vom Louvre bis etwa zur Höhe des Bastille-Platzes mehr Platz für FußgängerInnen und FahrradfahrerInnen geschaffen. Und nicht nur Paris, auch andere europäische Metropolen wie Madrid, Rom und London werden langsam, aber sicher fußgängerfreundlicher.
Nur was ist mit Berlin? Sollte sich die Stadt nicht ein Beispiel an seinen europäischen Nachbarn nehmen, statt für viel Geld Autobahnen auszubauen wie derzeit die A 100?
„Paris geht einen mutigen Weg“, findet Aljoscha Hofmann von der stadtentwicklungspolitischen Initiative Think Berlin. „Auch in Berlin ist urbane Rückgewinnung ein zentrales Thema, um einen jungen und modernen Stadtraum zu schaffen.“ Für den Architekten könnte der Umbau einer Straße wie der Bundesallee einschließlich des Bundesplatzes ein solches Modellprojekt darstellen: Die Bundesallee, die die City West mit Steglitz verbindet, ähnle durch die vielen ungenutzten Grünflächen, ausgeweiteten Fahrspuren, leer stehenden Geschäften und der hohen Lärmbelastung eher einer Autobahn.
Die Ende September beschlossene Sperrung einer 3,3 Kilometer langen Strecke entlang der Seine ist Teil der Politik der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, den Verkehr in der Stadt deutlich zu reduzieren und die Luftverschmutzung einzudämmen.
Auf der unteren Uferstraße waren bislang 43.000 Fahrzeuge am Tag unterwegs. Kritiker fürchten deshalb mehr Stau auf Ausweichstrecken und damit mehr Luftverschmutzung. (dpa)
„Ein Umbau der Straße bedeutet nicht, dass das Auto dort gar keinen Platz mehr hat. Aber die Verteilung muss sich ändern, von der Gestaltung ganz zu schweigen“, sagt Hofmann. Ein Umbau der Bundesallee wäre allerdings aufwendig und kostspielig. Im Gegensatz dazu sei die Flaniermeile an der Seine eher plakativ und relativ einfach umzusetzen.
In den 1990er Jahren entwickelten Stadtplaner in den Niederlanden das Konzept des „Shared Space“. Dabei werden Verkehrsregeln aufgehoben, um das intuitive Miteinander der Verkehrsteilnehmer zu unterstützen. Florian Schmidt, Sprecher der Initiative Stadt Neudenken, könnte sich solche Shared Spaces auch in Berlin vorstellen: „Vorbild ist die umgestaltete Kensington High Street in London. Dieses Konzept wäre in der Karl-Marx-Allee oder der Leipziger Straße möglich.“ Das seien schöne und touristische, aber auch viel befahrene Straßen.
Antje Kapek, Sprecherin der Grünen für Stadtentwicklung, befürwortet das rücksichtsvolle Miteinander im Straßenverkehr durch den Shared-Space-Ansatz. Sie fordert den Umbau des Checkpoint Charlie: „Das wäre ein Gewinn für die Stadt – nicht nur für den Tourismus, sondern auch für die Anwohner rund um den Checkpoint.“
Die grüne Fraktionsvorsitzende findet es grundsätzlich wichtig, mehr Raum für RadfahrerInnen und öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig grüne Oasen in der Stadt zu schaffen, in denen mehr Begegnung stattfindet. Auch auf der Straße Unter den Linden, zwischen Lustgarten und Brandenburger Tor, gäbe es ihrer Meinung nach die Möglichkeit für eine Flaniermeile. „Natürlich kann man den motorisierten Verkehr nicht komplett verbieten“, sagt Kapek, die für die Grünen bei den seit Donnerstag laufenden Koalitionsverhandlungen mit am Tisch sitzt. „Aber viele Großstädte haben bereits Autobahnteile zurückgebaut.“ Straßenrückbau sei auch für Berlin – als neue und moderne Stadt – wichtig.
Laut der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wird das Thema Verkehrsberuhigung auch bei den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen. Derzeit sei zudem ein Modellprojekt an der Schönhauser Allee im Rahmen der Klimaschutz-Initiative des Umweltministeriums geplant. Versuchsweise soll die Straße vor dem S- und U-Bahnhof Schönhauser Allee umgestaltet werden. Dazu soll 2017 eine Machbarkeitsstudie erstellt werden, die dann mit AnwohnerInnen diskutiert wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?