Straßennamen mit antisemitischem Bezug: Umbenennen, aber schön langsam
Ein Jahr nach dem Dossier zu Straßennamen mit Antisemitismus-Bezug ist erst wenig passiert. Immerhin Heinrich von Treitschke geht es an den Kragen.
Ein gutes Jahr ist es nun her, dass Samuel Salzborn, Ansprechpartner des Landes zu Antisemitismus, ein Dossier über antisemitische Bezüge von Berliner Straßennamen veröffentlichte. Das von ihm beauftragte Papier war das erste seiner Art, es zählt 290 Berliner Straßen, Wege und Plätze auf. Am Mittwoch lud Salzborn erneut in die Senatsjustizverwaltung ein, um eine vorläufige Bilanz der Effekte zu ziehen.
Das Dossier hatte verschiedene Stufen im Umgang mit Namen angeregt: von weiterer Forschung in unklaren Fällen über „digitale Kontextualisierung“ – durch Informationen im Netz – und „Kontextualisierung vor Ort“, etwa durch Zusatzschilder, bis zur Umbenennung in klaren Fällen. Im Anschluss an die Veröffentlichung habe er eine „intensive Debatte“ erlebt, die „natürlich auch kontrovers“ geführt worden sei, sagte Salzborn. Das sei aber in einer pluralen Stadtgesellschaft gar nicht anders zu erwarten.
Gemessen an der Fülle des Dossiers nimmt sich die bisherige Bilanz freilich recht bescheiden aus. Genau zwei Straßen – besser: Sträßchen – wurden umbenannt. Seit dem 17. Februar heißt der Maerckerweg in Lankwitz Maria-Rimkus-Weg. Rimkus hatte einer jüdischen Famile zur Flucht verholfen und wird in der Gedenkstätte Yad Vaschem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Ihr Name ersetzt den eines antisemitischen Freikorps-Chefs.
In Spandau gibt es den Elkartweg nicht mehr, benannt nach einem einstigen Stadtrat, der später die Zwangsumsiedelung von Juden in Hannover verantwortete. Die neue Namensgeberin Erna Koschwitz war in der Jugendwohlfahrt tätig, wie es heißt, die Umbenennung hatte eine jahrelange Vorgeschichte.
Aus für Treitschke
Dass zwei weitere Namen ihren Platz auf dem Straßenschild verlieren, ist zumindest beschlossene Sache: Neben der Robert-Rössle-Straße in Pankow – benannt nach einem Pathologen, der in den 40ern an Menschenversuchen beteiligt war – betrifft das mit der Steglitzer Treischkestraße einen prominenten Fall.
Der 1896 gestorbene Historiker, der als Mitbegründer des modernen politischen Antisemitismus gilt, sollte schon längst vom Stadtplan verschwinden. Vor der Wahl 2021 hatte das eine schwarz-grüne Zählgemeinschaft in der BVV verhindert, die sich auf eine AnwohnerInnen-Befragung berief. Ende 2022 forderte eine Ampel-Zählgemeinschaft das Bezirksamt auf, den Beteiligungsprozess für einen neuen Namen zu organisieren. Pikanterweise sind die Mehrheitsverhältnisse seit Februar wieder die alten.
Geprüft wird in Steglitz-Zehlendorf die Umbenennung des Rosenmeyerwegs und in Pankow die der Wackenbergstraße und der Beuthstraße. In Marzahn-Hellersdorf wurde ein BVV-Antrag von Linken, SPD und FDP zur Umbenennung von Arndt- und Roedernstraße zuletzt wegen der Wahlwiederholung vertagt.
Deutlich wurde am Mittwoch noch einmal, dass es nicht nur um „knallharte Antisemiten“ (Salzborn) geht, bei denen sich die Diskussion erübrigt, sondern oft um vielschichtige Personen, auch viele Künstler. Allerdings, so Salzborn, halte er es für eine „schwierige Position“, solche Figuren schonend zu behandeln, weil sie aufgrund ihrer Lebensdaten in keiner Verbindung zum NS-Regime standen. Viele von ihnen hätten die kulturellen Codes geschaffen, auf den die Nazis aufsattelten. „Sie sollten darum die gleiche Aufmerksamkeit erhalten.“
Keine Geschichtsvergessenheit
Schnell wird es jedenfalls auch jetzt nicht vorangehen, aber hoffentlich gründlich: Die Bezirke, in Berlin für Straßennamen zuständig, haben ihre Gedenktafel-Kommissionen mit der Prüfung beauftragt, und die 12 bezirklichen Museen haben ein Projekt gestartet, um die Debatte historisch aufzuarbeiten, wie Urte Evert vom Museum Zitadelle Spandau berichtete. Dort kuratiert sie die Ausstellung „Enthüllt“, die gestürzte und aus dem öffentlichen Raum verschwundene Denkmäler zeigt – ein Beispiel dafür, so Evert, dass das Verschwinden aus dem Stadtbild keinesfalls Geschichtsvergessenheit bedeute.
Im konkreten Fall der Schöneberger Martin-Luther-Straße, die im Übrigen fast direkt an der Justizverwaltung vorbeiführt, wo Salzborn sein Büro hat, verwies der Ansprechpartner des Senats auf Gespräche mit dem evangelischen Bischof Christian Stäblein. Der habe durchaus erkannt, dass Luthers zahlreiche Äußerungen gegen Juden „frappant“ seien, und sich für eine Kontextualisierung ausgeprochen.
Obwohl Salzborn nach eigener Aussage und auch aufgrund seiner eigenen Forschungstätigkeit den deutschen Reformator als klar antijüdisch und antisemitisch, ja „hochproblematisch“ einstuft, hielt er sich am Mittwoch mit Forderungen nach einer Umbenennung zurück. Er sehe, dass die Figur Luther für evangelische Christen eine andere Bedeutung habe. Am Ende entscheide der Bezirk. „Ich selbst würde mich in einem konkreten Fall nicht zu wichtig machen wollen“, sagte Salzborn.
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