Eine Straße in einem Neubaugebiet

Neubaugebiet mit Altlasten: Die Siedlung in Allersberg, wo der umstrittene Straßen­name geplant ist Foto: Dominik Baur

Ehrung eines SA-Mitglieds:Der Druck der Straße

Darf man eine Straße nach einem ehemaligen SA-Mann benennen? Um diese Frage tobt seit einem Jahr ein Streit in einem kleinen Ort in Mittelfranken.

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2.6.2023, 16:26  Uhr

In Allersberg gibt es Straßen, die gibt es gar nicht. Die Ludwig-Gmelch-Straße etwa. Oder die Wilhelm-Burkhardt-Straße. Schilder haben die Straßen keine, auch das Navi findet sie nicht. Und – das ist wesentlich erstaunlicher – selbst Bernhard Böckeler findet sie nicht. Der ehemalige Bürgermeister der Gemeinde steht im Neubaugebiet Im Keinzel und läuft die dortigen Straßen ab. Mal in die eine Richtung, mal in die andere. Die ersten Häuser sind schon bald bezugsfähig, der Rest ist Baustelle und Wiese.

Die kleinere der Straßen, heißt es, soll die Wilhelm-Burkhardt-Straße sein. Doch welche ist kleiner? Die kürzere, die schmalere? Und überhaupt: Wo fängt welche Straße an und wo hört sie auf? Die Straßen verlaufen in einer Art Ring, von dem aber noch kürzere Straßenstücke abgehen. Dies hier sei das Haus Ludwig-Gmelch-Straße 12, sagt schließlich ein Bauarbeiter. Also müsste dieser Abzweig … Nein, es könnte auch …

Die Frage zu beantworten, wo genau die Wilhelm-Burkhardt-Straße verläuft, scheint unmöglich. Und doch wird es eine der leichteren Fragen sein in dieser Geschichte, in der es um Moral geht, um den Umgang mit der Vergangenheit, um eine zerrüttete Gemeinde und um jede Menge Bürgermeister. Vordergründig aber geht es zunächst mal um die Frage, ob es die richtige Entscheidung war, in Allersberg, wo es so schöne Straßennamen wie Im Himmelreich oder Am Wiesengrund gibt, eine Straße nach Wilhelm Burkhardt zu benennen. Denn Burkhardt war nicht nur für kurze Zeit nach dem Krieg Bürgermeister von Allersberg, er war auch – ebenfalls für kurze Zeit – in der SA.

Böckeler hat die Suchexpedition aufgegeben, er sitzt jetzt in der Eisdiele Azzurro, gleich gegenüber dem Rathaus. Was ja auch eine gewisse Symbolik hat, auch wenn man nur hier gelandet ist, weil sonst an diesem Montagmittag alles geschlossen hat in Allersberg. „Es läuft doch auf einen Punkt hinaus“, sagt er jetzt. „Warum mache ich mich überhaupt an eine Straßenbenennung heran, wenn ich weiß, die Person war bei der SA?“ Denn was Böckeler wirklich stört, ist nicht, dass er die Wilhelm-Burkhardt-Straße nicht gefunden hat, sondern dass es sie überhaupt gibt.

Die Stadt der Drahtzieher

Böckeler ist ein freundlicher, nicht allzu großer Herr von 67 Jahren mit weißem Schnauzer. 24 Jahre lang war der CSUler Chef des Rathauses, bis er 2017 nicht mehr antrat. In seiner Amtszeit bekam die Marktgemeinde südlich von Nürnberg wieder einen Bahnanschluss, die historische Gilardi-Fabrik direkt am Marktplatz wurde von der Gemeinde gekauft. Hier saßen früher die Drahtzieher, und das hat in diesem Fall nichts mit Politik zu tun: Das Handwerk des Drahtziehens, dafür war Allersberg dank der Firma Gilardi berühmt. International vertrieb sie ihren Christbaumschmuck noch bis 2006. Früher war eben auch in Allersberg mehr Lametta.

Böckeler kümmert sich inzwischen als Vorsitzender eines Fördervereins um die Sanierung des Gilardi-Anwesens. Jenes Hauses, vor dem in der Früh nach der Pogromnacht im November 1938 etliche Nazis standen und den jüdischstämmigen Fabrikbesitzer Erik Geiershoefer und seine Mutter festnahmen. Im Gefängnis in Hilpoltstein, erzählt Böckeler, seien ihnen Vollmachten abgepresst worden, tags darauf habe ihnen die Fabrik nicht mehr gehört. Was Geiershoefer blieb, war sein Leben. Im Frühjahr 1939 konnte er mit Frau und Tochter nach England fliehen. Böckeler erzählt die Geschichte, weil Geiershoefer später einer der Hauptbelastungszeugen gegen Burkhardt war.

Burkhardt war erst 1937 von Nürnberg nach Allersberg gezogen. Er hatte eine Firma, mit der er Druckerei- und Schreibmaschinen vertrieb. Nach dem Krieg setzten ihn die Amerikaner als Bürgermeister ein: ein Amt, das er vom 25. Juni bis 3. Oktober 1945 ausübte. Danach sprach man nicht mehr viel über Wilhelm Burkhardt in Allersberg – bis zum 21. März 2021. An diesem Tag stand im Gemeinderat als sechster Punkt das Thema Straßenbenennungen auf der Tagesordnung. Um drei Straßen ging es.

Portrait Wilhelm Burkhardt

Profiteur oder „schärfster Gegner“ des NS-Regimes? Wilhelm Burkhardt, kurzzeitig Allersberger Bürgermeister Foto: privat

Nach einigem Hin und Her beschloss man, eine Straße im Neubaugebiet St. Wolfgang nach Susanne Schulenburg zu benennen: Die Tochter Erik Geiershoefers war die letzte Chefin der Firma Gilardi und die erste Gemeinderätin von Allersberg. Im Neubaugebiet Im Keinzel wiederum sollten die Straßen nach Ludwig Gmelch, Bürgermeister von 1975 bis 1993, und Burkhardt benannt werden. Wovon man zu diesem Zeitpunkt noch nichts wusste, war dessen SA-Vergangenheit. Erst als Bernhard Böckeler im Juli 2022 im Zuge seiner Vereinsarbeit im Staatsarchiv Nürnberg auf Burkhardts Spruchkammerakten stieß, wurde diese bekannt. Überdies, so erfuhr man, war Burkhardt auch Mitglied der NS-Volkswohlfahrt und der Deutschen Arbeitsfront. Die Aufregung war groß, nach der Sommerpause kam es zu hitzigen Debatten im Gemeinderat.

Hält der Bürgermeister ein Gutachten zurück?

Dazu, die Straßenbenennung umgehend zurückzunehmen, waren der heutige Bürgermeister Daniel Horndasch und die Gemeinderatsmehrheit allerdings nicht bereit. Auch nicht, als die Debatte noch durch Post aus England befeuert wurde: Dort lebt Alexander Schulenburg, der Sohn der 2020 verstorbenen früheren Gilardi-Chefin, der sich via Pressemitteilung in die Debatte einmischte: An dem Straßennamen festzuhalten wäre „eine Beleidigung für die Opfer des Nationalsozialismus“. Schulenburg vermutete sogar, dass Horndasch absichtlich ein unvollständiges Bild Burkhardts zeichnen möchte, um auf der Straßenbenennung beharren zu können. Denn: „Wie nun aus Allersberg zu hören ist, bleibt ein von der Allersberger Gemeindearchivarin durchgeführtes geschichtswissenschaftliches Gutachten zu Burkhardt unter Verschluss.“

Eine Behauptung, die der Bürgermeister in einem Antwortschreiben an Schulenburg von sich wies: Ein Gutachten existiere nicht und könne deshalb auch nicht unterdrückt werden. Glaubhaften Aussagen aus dem Dorf zufolge soll es ein entsprechendes Papier allerdings tatsächlich geben – mag man es nun als Gutachten oder als ausführliche Stellungnahme bezeichnen. Anzunehmen, dass es im Ergebnis nicht für die Benennung einer Straße nach Wilhelm Burkhardt spricht. Die Archivarin ist dazu jedoch nicht zu sprechen, verweist in knappen Worten lediglich an Bürgermeister Horndasch. Von einem „Maulkorb“ sprechen sie im Ort.

Gern hätte man nun den Bürgermeister selbst zu den Vorwürfen befragt. Doch auch dieser lässt auf Anfrage lediglich mitteilen, dass es derzeit „von Seiten der Verwaltung keine Notwendigkeit für öffentliche Erklärungen zum Sachverhalt oder zu unterschiedlichen Sichtweisen“ gebe. „Die Gemeinde mauert“, sagt Bernhard Böckeler.

Ein externer Historiker solle sich nun des Themas in einer umfassenden Untersuchung annehmen, beschloss der Gemeinderat Ende des vergangenen Jahres. Doch während die Häuser im Neubaugebiet Gestalt annehmen, ist dieses Gutachten offenbar noch nicht einmal beauftragt worden. Für Schulenburg steht ohnehin fest, dass es nur dazu dient, „die Angelegenheit auf die lange Bank schieben. Um zu entscheiden, ob Burkhardt ein Nazi war, muss man nicht mehrere Jahrzehnte und Personen der Allersberger Geschichte erforschen“.

Die Gemeinde ist ohnehin schon gespalten

Auch Wilma Kinzler ist empört: „Was setzen wir denn da für ein Zeichen? Andere Städte, Kommunen arbeiten auf, entfernen Straßennamen. Und was machen wir?“ Sie hat ebenfalls die Befürchtung, dass das Rathaus die ganze Diskussion einfach versanden lassen will. Mit ihrem Mann Manfred und der Freundin Ilonka Popp hat die Seniorin deshalb Unterschriften für einen Bürgerantrag gesammelt. Auf diese Weise konnten sie bewirken, dass sich der Gemeinderat nun innerhalb von drei Monaten mit ihrer Forderung nach einer Umbenennung der Straße befassen muss.

Ob die Straßenaffäre nun aber Ursache oder Symptom einer Spaltung des Ortes ist, ist schwer zu sagen. Schon länger frisst sich ein Graben durch Allersberg. Angefangen hat es mit dem Streit um ein Amazon-Logistikzentrum. Rund 20 Hektar hat die Gemeinde dafür verkauft. Verschachert, sagen die Gegner. Die Debatte sei mit unnötiger Aggression geführt worden, sagen beide Lager nun – und machen das jeweils andere dafür verantwortlich. Die Lager, das sind auf der einen Seite die Freien Wähler, das Allersberger Bürgerforum (ABF) und der parteilose Bürgermeister, auf der anderen Seite SPD, Grüne und der Großteil der CSU.

Es sind dieselben Blöcke, die sich auch jetzt beim Streit um den Straßennamen wieder unversöhnlich gegenüberstehen. Dass am 2. Juli Bürgermeisterwahlen sind, dürfte dabei keine friedensstiftende Wirkung haben. Freie Wähler und ABF schicken wieder Horndasch ins Rennen, SPD und Grüne unterstützen den Kandidaten der CSU. Und natürlich verdächtigen Freie Wähler und ABF die Gegenseite, den Straßenstreit nur mit Blick auf den Wahlkampf aufgeblasen zu haben.

Natürlich sind belastete Straßennamen keine Allersberger Besonderheit. So sind beispielsweise in der ganzen Republik Straßen nach Agnes Miegel benannt, einer Autorin, die die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis vertrat und sich gern als deren dichterisches Aushängeschild instrumentalisieren ließ. Auch Hindenburg, der Hitler zum Kanzler machte, ist in deutschen Stadtplänen allgegenwärtig. Und gerade einmal 12 Kilometer von Allersberg entfernt, in der Kreisstadt Roth, gibt es einen Rudolf-Wöhrl-Ring. Der Modehausbegründer Wöhrl war 1931 in die NSDAP, 1933 in die SS eingetreten.

Man habe Feindsender gehört, sagt der Pfarrer

Aber natürlich ist der Fingerzeig auf die anderen, die es doch noch schlimmer trieben, selten hilfreich. Und so landen wir wieder in Allersberg, dieser 8.000-Einwohner-Gemeinde, die der Rest Deutschlands, wenn überhaupt, nur als Autobahnausfahrt kennt. Und eine Besonderheit hat der Allersberger Fall ja doch: Während es sich sonst bei unliebsamen Straßennamen meist um Altlasten handelt, bekam die Wilhelm-Burkhardt-Straße ihren Namen vor gerade einmal zwei Jahren.

Hilfsbereit sei er gewesen und ein Organisationstalent, begründeten die Freien Wähler seinerzeit ihren Antrag, die Straße nach Burkhardt zu benennen. Und viel weiß man tatsächlich nicht über diesen Mann, der schon 1949 im Alter von 52 Jahren starb.

Aussagen über ihn finden sich vor allem in seiner Spruchkammerakte. Etwa die lobenden Worte des damaligen Landrats, der 1946 vermerkte, dass Burkhardt seinen Aufgaben mit „größter Selbstaufopferung“ nachgekommen sei. Der Pfarrer seinerseits will Burkhardt als „schärfsten Gegner des Nazi-Regimes“ gekannt haben: „Es verging keine Woche, in der wir nicht über die verwerflichen Methoden des Gewaltregimes und über die Kriegslage uns aussprachen.“ Gemeinsam habe man auch Auslandssender gehört.

Aber wie aussagekräftig sind solche Akten? Nachfrage bei Eva Schultheiß, der für Allersberg zuständigen Heimatpflegerin des Landkreises: Grundsätzlich, so Schultheiß, hätten die Zeugen bei Spruchkammerverfahren sehr oft versucht, sich gegenseitig zu entlasten. Besonders verdächtig seien Aussagen, die sehr allgemeiner Natur seien, wie im Fall Burkhardt. Wenn es dagegen ganz konkret beispielsweise um die Beteiligung an bestimmten Aktionen gehe, dann habe das ein anderes Gewicht.

Bestes Zeugnis für den NSDAP-Ortsgruppenleiter

Schultheiß ist aber auch skeptisch, was die Leistungen Burkhardts als Bürgermeister anbelangt: „Ich weiß nicht, was er in dieser kurzen Zeit Besonderes getan haben sollte. Er konnte ja gar nichts bewirken.“ Das Amt sei eine reine Verwaltungstätigkeit gewesen, alle Entscheidungen seien von den Amerikanern getroffen worden. „Vielleicht hat er manchen Leuten privat geholfen, aber das haben damals viele getan.“

Zudem gibt es ja auch kritische Stimmen – allen voran die von Erik Geiershoefer: „Meine Ansicht ist, dass Burkhardt sogar noch nach dem Zusammenbruch aus früherem jüdischen Besitztum nach echter Naziweise Kapital für sich schlagen wollte“, sagte der Gilardi-Fabrikant vor der Spruchkammer aus. Hintergrund ist Geiershoefers Annahme, dass Burkhardt sich seine Firma aneignen wollte, während er noch im Exil in London war.

Ein wenig schmeichelhaftes Licht wirft auch seine Freundschaft zu Karl Kugler auf Burkhardt. Kugler war von 1937 bis 1942 NSDAP-Ortsgruppenleiter in Allersberg. Als er zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt wird, macht sich Burkhardt für einen Straferlass stark und schreibt an Kuglers Anwalt: „Er ist ein Mensch von lauterem Charakter und ideal veranlagt, weshalb ich ihm vom menschlichen Standpunkt aus nur das beste Zeugnis ausstellen kann.“

Eine andere, eine ganz persönliche Geschichte erzählt dagegen Aris Maul. Er kommt gerade von einem Geschäftstermin in Fulda zurück. Der 53-Jährige arbeitet im Vertrieb von Zerspanungswerkzeugen. Gleich muss er in die Gemeinderatssitzung. Es bleibt gerade noch Zeit für einen Cappuccino. Maul ist Vorsitzender des ABF und sitzt für die Wählergemeinschaft im Gemeinderat. Und: Maul ist Burkhardts Enkel.

SA-Mitglied bleibt SA-Mitglied?

Dass Burkhardt in der SA war, sagt Maul, passe so gar nicht zu dem, was ihm seine Mutter, aber auch andere Allersberger von seinem Großvater erzählt hätten: Ein super großzügiger Mann, einer, der sich gekümmert hat, auf den man sich verlassen konnte und der den Leuten in der schlimmsten Not geholfen hat: So hatten sie ihn beschrieben.

An eine Sache kann sich Maul selbst noch erinnern: „Ich war noch sehr klein, da habe ich zweimal erlebt, dass ehemalige Kriegsgefangene aus Frankreich bei uns an der Tür geklingelt haben und nach meinem Großvater gefragt haben. Sie wollten sich bei ihm bedanken, weil er ihnen in der schwersten Zeit geholfen, vielleicht sogar das Leben gerettet habe.“ Burkhardt war von 1942 an in einem Kriegsgefangenenlager in Sulzbach-Rosenberg als Stabszahlmeister eingesetzt worden. „Es ist immer noch meine feste Überzeugung“, sagt Maul, „dass er die Ideologie der Nazis in keinster Weise unterstützt hat.“

Alexander Schulenburg kann er damit freilich nicht überzeugen. SA-Mitglied bleibt SA-Mitglied. Was zähle, so der Enkel Geiershoefers, sei schlicht die „Tatsache, dass man Nazis nicht mit Straßennamen ehrt“.

Wenn es denn so einfach wäre. Ist es aber nicht, findet etwa Andreas Heusler. „Es kommt immer drauf an“, sagt der Historiker, denkt noch einmal kurz nach und wiederholt den Satz: „Es kommt immer drauf an.“ Heusler ist weder mit der Causa Burkhardt noch mit den Verhältnissen in Allersberg näher vertraut; dennoch lohnt es sich, in die Landeshauptstadt zu fahren, um sich mit ihm zu unterhalten. Denn in Sachen Straßenumbenennungen kennt sich der Mann aus.

Experte: Man muss immer den Einzelfall betrachten

Heusler leitet kommissarisch die Abteilung Public History des Münchner Kulturreferats und zudem eine Expertenkommission, die der Stadt Empfehlungen für den Umgang mit belasteten Straßennamen unterbreitet. In einem ersten Schritt haben die Kommissionsmitglieder eine Vorauswahl von 45 der über 6.000 Münchner Straßennamen unter die Lupe genommen. Bei rund zwei Drittel rieten sie zu einer Umbenennung, noch in diesem Jahr wird ein Beschluss des Stadtrats erwartet.

Natürlich spielten die Mitgliedschaft in einer Partei oder Organisation für die Bewertung eine Rolle, sagt Heusler, aber nicht die allein ausschlaggebende. „Jemand, der beispielsweise in der NSDAP war, ist nicht von vornherein als schlechter Mensch stigmatisiert. Die nominelle Parteimitgliedschaft ist kein zentrales Kriterium, aufgrund dessen wir sagen würden: Der Straßenname muss weg.“ Man müsse erst einmal untersuchen: Welche Motivation lag dem Parteieintritt zugrunde? War die fragliche Person aktives Mitglied oder eine Karteileiche? Ähnliches gelte auch für die Mitgliedschaft in der SA. „Aus meiner historischen Erfahrung heraus kann ich sagen, dass es durchaus Männer gab, die für das Nazi-Regime keine Sympathie hatten und aus einem gewissen Anpassungsdruck in die SA gegangen sind.“ Manchmal seien gerade Leute in die SA eingetreten, um ein Argument zu haben, nicht Parteimitlied werden zu müssen.

In jedem Fall, so Heusler, brauche es eine Einzelfallbetrachtung. „Es gibt keine Vergleichsgrößen. Sie werden niemals eine zweite Person finden, deren Fall genauso gelagert ist.“ Die Sache ist kompliziert.

Und was, wenn sich jemand eben erst im Laufe der Zeit zu einem Nazigegner gewandelt hat? Beispiel Erwin Rommel: Dass der Generalfeldmarschall ein glühender Hitler-Verehrer war und dessen verbrecherischen Krieg maßgeblich mit gestaltete, steht außer Frage. Dennoch sind heute nach ihm mindestens 15 deutsche Straßen und drei Bundeswehrkasernen benannt. Hätte er sich nicht 1944 dem Widerstand angenähert und wäre er nicht von Hitler zum Suizid gezwungen worden, sähe das Gedenken wohl anders aus.

Knobloch schaltet sich ein

Und hat sich nicht auch Burkhardt von einem SA-Saulus zu einem Widerstands-Paulus gewandelt? Immerhin soll er aus der SA wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ ausgeschlossen, wegen seiner „demokratischen Einstellung“ aus der Wehrmacht entlassen und „als politischer Gegner der NSDAP“ dauernd beobachtet worden sein. Aspekte, die zu bedenken wären.

Wären. Denn die von den Befürwortern der Straßenbenennung so beschriebene Vita Burkhardts hat einen Schönheitsfehler. Sie fußt einzig und allein auf dessen eigenen Angaben im Spruchkammerverfahren. Nur für seine angeblich nazi-kritische Einstellung gibt es noch das kaum weniger zweifelhafte Schreiben des damaligen Pfarrers.

So etwas hätte natürlich auffallen müssen. Die Schnelligkeit, mit der in Allersberg über neue Straßennamen entschieden wird, erstaunt denn auch Andreas Heusler. In München sei so etwas schon lange nicht mehr möglich. Einem entsprechenden Stadtratsbeschluss gehe immer eine gründliche Überprüfung der zu ehrenden Person voraus.

Der Fall zieht inzwischen seine Kreise. In Erlangen sitzt gerade der Geschichtsstudent Gregory Bey an seiner Bachelor-Arbeit mit dem Arbeitstitel „Die Wilhelm-Burkhardt-Straße in Allersberg – Eine Ehrung zu Unrecht?“ – also gewissermaßen einer neutralen wissenschaftlichen Betrachtung, wie sie die Gemeinde in Auftrag zu geben verspricht. Seine Recherchen habe er zwar noch nicht abgeschlossen, berichtet Bey, aber derzeit zeichne sich ab, dass es kaum Gründe für, aber eine Handvoll Argumente gegen eine Ehrung in Form einer Straßenbenennung gebe.

Und Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, hat Bürgermeister Horndasch jüngst einen Brief geschrieben. Darin hat sie einem Sprecher zufolge auf die Pikanterie des Falles Burkhardt sowie die Bedeutung und Dringlichkeit des Themas hingewiesen. Zu einer eindeutigen Positionierung gegen den Straßennamen will sie sich allerdings in der Öffentlichkeit nicht durchringen.

Der Rest ist also wieder einmal Schweigen. Wenig tröstlich ist da auch, was Fachmann Heusler ganz generell zum Thema Straßenbenennungen zu sagen hat: „Am Ende, glaube ich, wird es nie die richtige oder die falsche Entscheidung geben.“

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