Straßburger Urteil zu Racial Profiling: Von wegen geringfügig!
Klare Ansage: Deutsche Gerichte müssen prüfen, wenn der Polizei vorgeworfen wird, dass sie Passant:innen nur wegen der Hautfarbe kontrolliert.
D as Straßburger Urteil ist nützlich, aber nicht revolutionär: Auf Klage des Berliner Polizeikritikers Biplab Basu stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) diese Woche klar, dass Vorwürfe von Racial Profiling so schwerwiegend sind, dass sie unabhängig untersucht werden müssen. Eine interne Untersuchung durch die Polizei genügt nicht. (Az.: 215/19)
In der Praxis werden dadurch vor allem die Verwaltungsgerichte in die Pflicht genommen. Wenn jemand die Polizei nachvollziehbar beschuldigt, er sei allein wegen seiner Hautfarbe kontrolliert worden, so müssen Gerichte den Vorfall aufklären und bewerten. Die Gerichte können nicht mehr argumentieren, eine Ausweiskontrolle sei doch nur ein geringer Grundrechtseingriff, dessen Rechtmäßigkeit im Nachhinein nicht mehr geklärt werden muss.
Konkret gerüffelt wurde damit das Verwaltungsgericht Dresden, das Basus Klage 2013 mit diesem Argument als unzulässig ablehnte und deshalb inhaltlich gar nicht prüfte. Zurecht wiesen die Straßburger Richter darauf hin, dass nicht die Ausweiskontrolle an sich das Problem ist, sondern die stigmatisierende Sonderbehandlung aufgrund der Hautfarbe. Dieser Vorwurf sei auf jeden Fall schwerwiegend und müsse untersucht werden.
Die Dresdner Entscheidung ist kein Einzelfall. Laut Basus Anwältin Maren Burkhardt drücken sich immer wieder Gerichte mit dem Geringfügigkeits-Argument vor der Prüfung von Racial Profiling-Vorwürfen. Andererseits ist die Drückebergerei aber auch nicht die Regel. Schließlich gibt es ja regelmäßig Urteile, bei denen Gerichte inhaltlich entscheiden – oft auch zugunsten der Kläger:innen. So hat just das Verwaltungsgericht Dresden im Februar die Kontrolle eines Guineers im Chemnitzer Hauptbahnhof als unzulässig beanstandet.
Doch eigentlich wollte Biplab Basu mehr. Er hatte auch die Vorschrift im Bundespolizeigesetz angegriffen, die in Grenznähe verdachtsunabhängige Kontrollen erlaubt. Sie ermögliche damit auch Racial Profiling, so Basu. Darauf ging der EGMR jedoch nicht ein. Er stellte nur fest, dass die Kontrolle auf gesetzlicher Grundlage erfolgte. Die Revolution blieb also aus.
Was genau gilt als Racial Profiling?
Tatsächlich ist Racial Profiling in Deutschland durchaus verboten. Streitig ist aber, was als Racial Profiling gilt. So ist es zwar verboten, eine Person allein aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer ethnisch gelesener Merkmale zu kontrollieren. Wenn die Hautfarbe aber nur Teil eines Motivbündels der kontrollierenden Polizei ist, darf sie durchaus berücksichtigt werden.
Klassisches Beispiel ist der Drogenhandel, der an einem bestimmten Platz von einer ethnisch homogenen – zum Beispiel afrikanischen – Gruppe kontrolliert wird. Wenn hier alle Kontrollierten dunkle Hautfarbe haben, wäre dies nach derzeitiger deutscher Rechtsprechung zulässig. Ziel des Racial Profiling-Verbots ist es nicht, ethnisch homogene Straftätergruppen vor Kontrollen zu bewahren.
Solche Orte sind aber selten. In der Regel ist die Hautfarbe eine:r Passant:in völlig irrelevant für ihre Verwicklung in kriminelle Geschäfte. Deshalb ist es nicht zu rechtfertigen, wenn Personen mit nicht-mitteleuropäischem Aussehen im Alltag viel häufiger kontrolliert werden als Gisela Normala. Dies einzudämmen ist auch Aufgabe der Gerichte – die nach dem Straßburger Urteil kein Argument mehr haben, sich dieser Aufgabe zu entziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein