Tod nach Ingewahrsamnahme: Angehörige vermuten Polizeigewalt

Die Braunschweiger Polizei steckt einen Mann am Neujahrsmorgen in eine Ausnüchterungszelle. Drei Tage später ist er tot. Angehörige wollen Aufklärung.

Ausnüchterungszelle

Fugenlos und lückenlos überwacht: Ausnüchterungszelle Foto: Sebastian Gollnow/dpa

HAMBURG taz | Am Neujahrsmorgen ist ein 38-jähriger Mann nach einer Auseinandersetzung in einer Gaststätte in der Braunschweiger Innenstadt in Polizeigewahrsam genommen worden. Er soll unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen gestanden haben, teilt die Polizei mit, deshalb sei er medizinisch überwacht worden.

Als eine Ärztin ihm Blut abnehmen wollte, bemerkte sie, dass er ohnmächtig war. Die Ärztin musste ihn reanimieren, ein Notarzt wurde angefordert. Nachdem die Vitalfunktionen des Mannes wieder eingesetzt hatten, wurde er in das Klinikum Braunschweig verlegt. Am dritten Januar starb der Mann. Sein Name ist Johnson, er kommt aus Guinea und ist Schwarz.

Die Hautfarbe Johnsons ist relevant, denn die Umstände des Polizeigewahrsams – weshalb er dorthin überführt wurde und warum er anschließend starb – sind bislang nicht vollständig geklärt. Ob es sich bei dem Fall Johnson um rassistische Polizeigewalt handelt, steht zumindest für die Staatsanwaltschaft noch zur Diskussion.

Sie hat ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Die Ergebnisse einer Obduktion des Leichnams liegen bereits vor. Die Polizeiinspektion Gifhorn teilt mit, dass es am Körper des Mannes „keine Hinweise auf relevante bzw. todesursächliche Gewalteinwirkungen“ gebe. Die Todesursache bliebe damit weiterhin ungeklärt und erfordere weitere toxikologische und neuropathologische Untersuchungen, die „erfahrungsgemäß mehrere Wochen in Anspruch nehmen können“.

Polizei sucht Zeugen

Außerdem bittet die Polizei in der Meldung potenzielle Zeu­g*in­nen darum, Auskunft darüber zu geben, was am 1. Januar in der Braunschweiger Gaststätte „Charly Chaplin“ passiert ist.

War die Überführung des 38-Jährigen in Polizeigewahrsam überhaupt gerechtfertigt? Auf dem Instagram-Account @johnsonbraunschweig, der von Angehörigen Johnsons betrieben wird, stellen diese genau das infrage. Sie fordern eine lückenlose Aufklärung der Umstände seines Todes und in diesem Zuge auch die Freigabe der Videoaufzeichnungen aus dem Lokal.

Diese hat die Polizei Braunschweig der Staatsanwaltschaft übergeben. Mit dem Beweismaterial hoffe die Staatsanwaltschaft, den Tathergang genau aufklären zu können, sagt deren Sprecher Hans Christian Wolters.

Bei seiner Festnahme war Johnson laut Aussage der Polizei mindestens alkoholisiert. Dass er statt in eine Klinik auf das Präsidium gebracht wurde, ist auf ein Pilotprojekt zurückzuführen, das bereits in der Vergangenheit kontrovers diskutiert wurde.

Die Angehörigen fordern eine lückenlose Aufklärung der Umstände des Todes und in diesem Zuge auch die Freigabe der Videoaufzeichnungen aus dem Lokal

Das von der Polizeiinspektion Braunschweig, dem städtischen Klinikum und der Stadt entwickelte sogenannte „Braunschweiger Modell“ wurde im Sommer 2020 vorgestellt. Es umfasst die Unterbringung „intoxikierter Menschen“ in medizinisch überwachten Räumen der Polizei und nicht in einem Klinikum, teilten die Initiatoren damals mit. Ziele seien die „Entlastung der wertvollen personellen und räumlichen Ressourcen im Klinikum“ sowie der Schutz von Klinik- und Rettungspersonal.

Die Linksfraktion in Braunschweig hatte das Vorhaben damals kritisiert und zwei Änderungsanträge gestellt. „Menschen, die nicht kriminell sind, sollen kriminalisiert und inhaftiert werden“, heißt es darin. Außerdem gehe es der Polizei in Braunschweig darum, ihre oft leer stehenden Zellen zu füllen und durch den Wegfall der Fahrten zwischen dem Klinikum und den Polizeiwachen Geld zu sparen.

Die Linksfraktion kritisiert in ihren Anträgen weiterhin, dass das Pilotprojekt, das sich an einem Beispiel aus Stuttgart orientiere, auf der falschen Behauptung der Verwaltung gründe, es hätte dort während der Umsetzung keine Todesfälle gegeben.

Fragwürdige Praxis

Tatsächlich wurde in Stuttgart 2001 mit der Einrichtung einer Zentralen Ausnüchterungseinheit (ZAE) ein vergleichbares Projekt gestartet. 2019 starben binnen kurzer Zeit zwei Personen in der ZAE, woraufhin die örtliche Polizei selbst die intensivmedizinische Versorgung alkoholisierter Personen durch ihr Personal infrage stellte – so stand es in der Stuttgarter Zeitung.

Im Zusammenhang mit Ingewahrsamnahmen und Festnahmen von Menschen mit Rassismuserfahrungen kommt es immer wieder zu Todesfällen in Deutschland. 181 Todesfälle im Gewahrsam seit 1990 hat die Kampagne „Death in Custody“ im vorvergangenen Jahr recherchiert. In Hamburg starb im Februar vergangenen Jahres ein psychisch auffälliger Mann kurz nach seiner Festnahme. Im Jahr zuvor war ein 19-jähriger Yezide in Delmenhorst im Krankenhaus gestorben, nachdem er im Polizeigewahrsam kollabiert war.

#rassismustötet“ ist denn auch einer der Hashtags, den die Angehörigen Johnsons verwenden, um Öffentlichkeit für ihre Forderung nach einer vollständigen Aufklärung des Falles herzustellen. Zuvor posteten sie ein Foto, auf dem ein Mann zu sehen ist, der im Krankenhaus liegt.

Trotz der Schläuche, durch die er beatmet wird, sind Verletzungen in seinem Gesicht erkennbar. Bei dem Mann handelt es sich angeblich um den 38-Jährigen. Der letzte Satz des über das Foto gelegten Textes lautet: „Man ist hier in Deutschland nicht mehr sicher.“

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