Strafverfolgung einer Protestaktion: Papierflieger landet vor Gericht
Eine Klimaaktivistin hat bei einer Blockade in Bremen einen Papierflieger geworfen und musste dafür vor Gericht. Das Ergebnis: Freispruch.

Angeklagt war die junge Frau, weil sie sich geweigert hatte, ein Bußgeld in Höhe von 20 Euro für das Werfen eines Papierfliegers zu zahlen. Das ist laut Bußgeldkatalog zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Bereich des Umweltschutzes in Bremen der fällige Betrag für das unsachgemäße Entsorgen von Papiermüll und Taschentüchern.
Gefaltet und geworfen hatte sie einen Platzverweis, den sie und weitere 43 Personen bekommen hatten, weil sie am 20. Juli vergangenen Jahres die Hochstraße vor dem Hauptbahnhof blockierten. Die Zahl steht in einer Senatsantwort an die Bremer CDU. Die Blockade war Teil einer groß angelegten, nicht angemeldeten Protestaktion der Letzten Generation mit rund 400 Teilnehmer:innen, die über mehrere Stunden an drei Stellen Straßen in der Bremer Innenstadt besetzten.
Klimaaktivistin, Letzte Generation
Die Richterin hört der jungen Frau aufmerksam zu, als diese ausführt, dass es sich bei dem Papierflieger um einen künstlerischen Ausdruck gehandelt habe. 2024 sei das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gewesen, mit verheerenden Hitzewellen. Erstmals habe die globale Durchschnittstemperatur mehr als 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit gelegen.
In „sengender Hitze“ hätten sie auf der Hochstraße gestanden: „Mit unserer friedlichen Versammlung wollten wir darauf aufmerksam machen und vor dem warnen, was passiert, wenn wir das Klima weiter nicht angemessen schützen“, liest sie von ihrem Laptop ab. Die Reaktion der Polizei darauf mit dem Einsatz von Wasserwerfern und Schmerzgriffen an den Protestierenden sei angesichts der Klimakrise „absurd“ gewesen. „Deshalb habe ich auf künstlerische Weise ausgedrückt, dass ich auf der Hochstraße bleiben muss.“
Zudem habe sie nichts weggeworfen, sagt die Frau im grünen Hoodie, die an der Universität Kassel Ökologische Landwirtschaft studiert. Unter der Hochstraße hätten sich weitere Protestierende befunden, die ihren und weitere Papierflieger in Empfang nahmen und ordnungsgemäß entsorgten.
Das ist dann auch der Grund, warum die Richterin sie freispricht: „Ein Papierflieger fliegt besser als ein zusammengeknülltes Papier, Sie konnten davon ausgehen, dass er aufgefangen wird.“ Insofern habe sie nicht gegen den Paragrafen 28 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes verstoßen, der vorschreibt, Abfälle „nur in den dafür zugelassenen Anlagen oder Einrichtungen“ zu beseitigen.
Das Urteil – die Kosten trägt die Staatskasse – hört dann auch der einzige Zeuge, ein Polizist, der nach seiner Aussage im Saal geblieben ist, zwischen rund 20 Unterstützer:innen der Angeklagten. Der 41-jährige schildert die Ereignisse am 20. Juli 2024 um 15.34 Uhr aus seiner Sicht: Er sei in der Beweissicherungseinheit eingesetzt gewesen, deren Mitglieder laut Senatsantwort von 169 Personen die Personalien überprüften und 66 in Gewahrsam nahmen.
„Es ist ja ein edler Gedanke, sich für das Klima einzusetzen“, sagt der durchtrainierte Polizist, aber es „erschließe“ sich ihm nicht, warum man Platzverweise wegwerfe. „Das passt doch nicht zusammen.“ Die Angeklagte, die allein ohne Anwalt oder Anwältin gekommen ist, will von ihm wissen, ob er den Flieger als Müll wahrgenommen habe oder ob er denke, dass sie diesen für Müll gehalten habe. „Für mich war das Müll, in Ihren Kopf kann ich nicht gucken“, entgegnet er sehr freundlich.
Identifizierung anhand von Videoaufzeichnungen
Später sagt der Polizist der taz, die Angeklagte, die auffällig hellblonde Haare hat, sei die einzige der Papierflieger-Werfer:innen gewesen, die man anhand der Videoaufzeichnungen habe identifizieren können. Ob er selbst die Anzeige gestellt habe, will er nicht verraten. „Die Polizei“ habe dies getan.
Damit nahm die Sache ihren Lauf. Die Umweltbehörde, bei der die Anzeige einging, verwarnte die Studentin zunächst und gab ihr die Möglichkeit, den Vorfall zu erklären. Nachdem sie dies nicht getan hatte, bekam sie einen Bußgeld-Bescheid, gegen den sie laut Umweltbehörde ebenfalls ohne Erklärung Einspruch einlegte. Daraufhin ging der Vorgang wie immer in solchen Fällen an die Staatsanwaltschaft über.
Die hätte das Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten allerdings einstellen können, genauso wie das Amtsgericht – immerhin beklagen die Justizbehörden eine Arbeitsbelastung, die eine zügige Bearbeitung aller Verfahren erschwere.
Die Bremer CDU hatte sich im August vom Innensenator die Kosten des Polizeieinsatzes vorrechnen lassen. 129.907,82 Euro hatte der demnach gekostet, für den Einsatz von 344 Polizist:innen aus Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Darin waren aber noch nicht alle Rechnungen enthalten, etwa die für die Dixi-Klos und die Wasserwerfer. Und auch keine Kostenaufstellung für die Verfolgung des Papierflieger-Vergehens.
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