Strafverfolgung bei Spitzeln: „Zum Beispiel der Hitler-Gruß“
V-Leute sollen künftig für bestimmte Delikte nicht bestraft werden. SPD-Innenexperte Burkhard Lischka über den Umfang der Pläne, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit.
taz: Herr Lischka, künftig sollen V-Leute des Verfassungsschutzes einen Freibrief für Straftaten bekommen. Das sehen Pläne des Innenministeriums vor. Macht die SPD das mit?
Burkhard Lischka: Es geht nicht um einen Freibrief für V-Leute. Das wäre mit der SPD selbstverständlich nicht zu machen. Eng beschränkte Ausnahmen von der Strafverfolgung bei sogenannten „szenetypischen“ Straftaten sind aber sinnvoll. Sonst ist der Einsatz von V-Leuten häufig gar nicht denkbar.
Welche Straftaten sollten für V-Leute künftig straffrei sein?
Zum einen sollte die Mitgliedschaft in einem verbotenen Beobachtungsobjekt gerechtfertigt sein. Allerdings sollte die Gründung oder Steuerung einer solchen Vereinigung auch für V-Leute ausdrücklich verboten sein. Zum anderen sollte szenetypisches Verhalten gerechtfertigt sein, solange keine Grundrechte Dritter verletzt werden.
Was heißt das konkret?
Damit ist zum Beispiel die Verwendung von NS-Kennzeichen gemeint oder das Zeigen des Hitler-Grußes.
Gibt es für V-Leute künftig eine Liste der straffreien Delikte?
Nein, und das halte ich auch nicht für sinnvoll, sonst könnten die sogenannten Keuschheitsproben der Szene immer genau einen Schritt weiter gehen, um V-Leute zu enttarnen. Was als „Szenestraftat“ konkret gerechtfertigt ist, muss letztlich die Rechtsprechung in jedem Einzelfall entscheiden.
49, ist seit September innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, zuvor war er deren rechtspolitischer Sprecher. Lischka ist seit 2009 Abgeordneter im Bundestag. Von 2006 bis 2009 war er Justizstaatssekretär in Sachsen-Anhalt.
Was ist, wenn bei einer rechten Demo die Scheiben eines SPD-Büros eingeworfen werden?
Da hier in Rechte anderer eingegriffen wird, wäre das auch für einen V-Mann rechtswidrig. Wenn er sich allerdings in der Dynamik der Situation einem Gruppendruck nicht entziehen konnte, soll die Staatsanwaltschaft künftig trotz Rechtswidrigkeit von Strafverfolgung absehen können – aber nur, wenn der V-Mann zur Aufklärung besonders gefährlicher Bestrebungen eingesetzt wird. Es muss immer eine rechtsstaatliche Abwägung stattfinden zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und dem Interesse an einer Aufklärung extremistischer Bestrebungen.
Erfährt dann der Geschädigte, warum das Verfahren eingestellt wurde?
Spätestens wenn der Geschädigte mit Rechtsmitteln gegen die Einstellung vorgeht, wird er erfahren, dass hier ein V-Mann der Täter war. Der Name des V-Mannes sollte allerdings anonym bleiben.
Und wenn aus einer Gruppendynamik heraus ein Ausländer zusammengeschlagen oder sogar totgeprügelt wird?
Dann allerdings muss auch ein beteiligter V-Mann bestraft werden. Denn ein Absehen von Strafverfolgung sollte nur bei Vergehen möglich sein, also nicht bei Verbrechen wie etwa einem Mord. Und auch bei Vergehen sollte dies nur möglich sein, soweit die Tat noch mit einer Bewährungsstrafe zu ahnden wäre.
Nehmen wir an, Beate Zschäpe entpuppt sich doch noch als V-Frau des Verfassungsschutzes – könnte sie dann für ihre NSU-Beteiligung mit Straffreiheit rechnen?
Auf keinen Fall! Sie ist ja nicht nur wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt, sondern auch als Mittäterin von zehn Morden. Hier gibt es auch künftig kein Pardon für V-Leute.
Alle Welt diskutiert über Einschränkungen des V-Mann-Wesens – und die Koalition will den Spitzeln künftig bei bestimmten Delikten Straffreiheit garantieren. Wie passt das zusammen?
Es war eine Forderung der SPD, erstmals die Auswahl und Arbeit der V-Leute des Bundesamts gesetzlich zu regeln. Das ist ein großer Fortschritt an Transparenz und Rechtsstaatlichkeit und eine wesentliche Einschränkung des V-Mann-Wesens. Dazu gehört dann aber auch, enge Ausnahmen von der Strafverfolgung gesetzlich klarzustellen. Wir folgen hier ja überwiegend nur der bisherigen Rechtsprechung.
Wirklich? Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat 2011 entschieden, dass Mitglieder einer terroristischen Vereinigung auch dann zu bestrafen sind, wenn sie als V-Leute aus dieser Vereinigung berichten. Das wollen Sie doch ändern.
Stimmt. Dieses überraschende Urteil hat gezeigt, dass wir klare und eng definierte gesetzliche Regeln brauchen. Diese Regeln schaffen wir nun. Aber es geht nicht nur um Straflosigkeit, das ist ja nur die eine Seite unserer Pläne.
Was ist die andere Seite?
Es soll auch klare Einschränkungen geben, insbesondere bei der Auswahl der V-Leute. Wer bereits zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, darf nicht mehr als V-Mann für den Verfassungsschutz tätig werden. Das wäre sonst für einen Rechtsstaat unwürdig! Und wenn ein V-Mann erhebliche Straftaten begeht, dann ist der Einsatz unverzüglich zu beenden. Das war schon immer eine SPD-Forderung.
Der V-Mann wird dann sofort abgeschaltet? Ohne Ausnahme?
Dafür trete ich ein. Mir sind klare Regeln ohne Ausnahmen lieber. Dann müssen wir eben mal auf einen kriminellen V-Mann verzichten – auch wenn der bisher gute Informationen geliefert hat.
Werden die neuen Regeln für alle V-Leute des Verfassungsschutzes gelten?
Nur für die V-Leute des Bundesamts, ihre V-Mann-Führer und für verdeckt arbeitende Mitarbeiter des Bundesamts. Für die V-Leute der Landesämter gelten Landesgesetze. Hier gibt es aber teilweise bereits ähnliche Regelungen, etwa in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Was ist mit V-Leuten der Polizei?
Auch hier halte ich eine gesetzliche Regelung für sinnvoll.
Und bei den V-Leuten des Bundesnachrichtendienstes?
Da wird es sicher auch noch Diskussionen geben. Immerhin hatte das OLG Düsseldorf ja einen V-Mann des BND verurteilt, der aus einer türkischen Terrororganisation berichtet hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus