Steinmeier und König Charles in Afrika: Verbeugungen vor der Geschichte
Der Bundespräsident entschuldigt sich in Tansania für Kolonialverbrechen. Großbritanniens König Charles nennt sie derweil in Kenia „unentschuldbar“.
In Tansania hat der deutsche Präsident am Mittwoch die wichtigste Erwartung von deutschen Kritikern des Umgangs mit der eigenen Kolonialgeschichte erfüllt: um Entschuldigung zu bitten. Er reiste nach Songea im Süden des Landes, wo sich Tansanias wichtigste Gedenkstätte an den Maji-Maji-Aufstand gegen die deutsche koloniale Gewaltherrschaft Anfang des 20. Jahrhunderts befindet, und traf Nachfahren von Chief Songea Mbano, der dort 1906 zusammen mit anderen Aufstandsführern öffentlich von den Deutschen hingerichtet worden war. Sein Schädel ist bis heute in Deutschland verschollen.
Steinmeier hielt eine Ansprache und sagte laut dem amtlich verbreiteten Redetext: „Liebe Familie Mbano, auch wer in Deutschland mehr über deutsche Kolonialgeschichte weiß, muss entsetzt sein über das Ausmaß der Grausamkeit, mit der die deutsche Kolonialbesatzung vorgegangen ist, muss entsetzt sein über das, was ich von Ihnen gehört habe. Es beschämt mich! Es beschämt mich, was deutsche Kolonialsoldaten Ihrem Ahnherrn und seinen Mitkämpfern angetan haben (…) Ich trauere mit Ihnen um Chief Songea und um die anderen Hingerichteten. Ich verneige mich vor den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft. Und als deutscher Bundespräsident möchte ich um Verzeihung bitten für das, was Deutsche hier Ihren Vorfahren angetan haben.“
Schließlich schrieb er ins Gästebuch der Gedenkstätte den bemerkenswerten Satz: „Ich verneige mich vor den Helden des Maji-Maji-Krieges und trauere um alle Opfer der deutschen Kolonialherrschaft.“
Maji-Maji und Mau-Mau
Um Entschuldigung zu bitten – diese Forderung war auch an den britischen König Charles III. herangetragen worden, bevor er am Dienstag zu einem viertägigen Staatsbesuch nach Kenia aufbrach. Die britische Debatte um Kriegsverbrechen bei der Niederschlagung des antikolonialen Mau-Mau-Aufstands in Kenia in den 1950er Jahren ist ungleich heftiger als die deutsche, da viele Opfer und Täter von damals noch am Leben sind.
Fünf Hinterbliebene verklagten 2009 in London die Regierung und erstritten nach drei Jahren Wiedergutmachung in Millionenhöhe für 5.228 Sammelkläger. Der damalige Außenminister William Hague erklärte 2013 im britischen Parlament, die Regierung erkenne nun an, „dass Kenianer Folter und anderen Formen von Misshandlung durch die Kolonialverwaltung ausgesetzt waren“ und „bedauert ehrlich, dass diese Übergriffe geschehen sind“. Der britische Botschafter in Kenia damals, Christian Turner, verlas die Rede am gleichen Tag in der Hauptstadt Nairobi vor Mau-Mau-Veteranen.
Die Königsfamilie hat dies bislang vermieden. Sie pflegt die Nostalgie an die Siedlerkolonie Kenia, wo Queen Elizabeth II. im Jahr 1952 zur Königin wurde. Kolonialhistorikerin Caroline Elkins riet ihm in einem Zeitungsbeitrag am Sonntag, andere Töne anzuschlagen: „Sie müssen Ihren Paternalismus ablegen, sich entschuldigen und Wiedergutmachung für die Kolonialverbrechen anbieten, die im Namen Ihrer Familie verübt wurden.“
König Charles hat diese Gelegenheit nicht ergriffen. Beim Staatsbankett in Kenias Präsidentenpalast am Dienstagabend äußerte er lediglich „Bedauern“ – die bestehende Sprachregelung. „Die Fehler der Vergangenheit geben Anlass zu größter Trauer und tiefstem Bedauern“, sagte er wörtlich. „Es gab schreckliche und nicht zu rechtfertigende Gewaltakte gegen Kenianer (…) Das ist unentschuldbar.“ Die Feststellung, eine Entschuldigung sei nicht möglich – „there can be no excuse“ im Original – geht vordergründig weiter als eine Bitte um Entschuldigung, aber sie vermeidet eben den Schlüsselbegriff „apology“.
Gekommen, um zu lernen
In Kenia ist Großbritannien heute viel präsenter als es Deutschland in Tansania ist. Das hat historische Gründe: Im Ersten Weltkrieg eroberte Großbritannien die deutsche Tanganyika-Kolonie, die 1964 mit dem britischen Sansibar zur Bundesrepublik Tansania vereint wurde. Tansania wandte sich danach lange vom Westen ab, der Nachbar Kenia blieb ein Bollwerk westlicher Militärpräsenz. In Nairobi ist die ökonomische Verflechtung mit London bis heute überdeutlich, die britischen Landenteignungen hatten nach der Unabhängigkeit Bestand, es stehen in Kenia britische Soldaten.
König Charles ehrte am Mittwoch britische und kenianische Gefallene des Zweiten Weltkriegs. Am Soldatenfriedhof traf er den ältesten lebenden Weltkriegsveteranen der Welt: Samwel Nthigai Mburia, 117 Jahre alt, der sich vom nur 74 Jahre alten König neue Medaillen aushändigen ließ. Die alten hatte er während des Mau-Mau-Aufstandes weggeworfen. Jetzt wurden sie ersetzt.
„Sie sind toll“, sagte der beeindruckte britische König dem kenianischen Exsoldaten im Rollstuhl. Etwa zeitgleich zwängte sich der deutsche Präsident in Songea in Tansania auf eine Holzbank in einer Grundschule mit drei eingepressten kleinen Kindern. Beide Staatsoberhäupter sagen, sie seien gekommen, um zu lernen. Es fällt beiden nicht leicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!