Steinmeier besucht Tansania: Kurztrip in die eigene Geschichte
Zu Halloween klopfen deutsche Politiker an Afrikas Türen. Sie wollen Rohstoffe kaufen, Migranten zurückgeben und ein bisschen Vergangenheit bewältigen.
E s ist Halloween, und angeblich darf man da an fremde Türen klopfen und mit dem Ruf „Süßes oder Saures?“ unverschämte Forderungen stellen. Dieses Jahr klopfen Deutschlands wichtigste Politiker gleich an fünf Türen in Afrika.
Bundeskanzler Olaf Scholz ist in Nigeria und Ghana, Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Marokko und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Tansania und Sambia. Wirtschaftliche Zusammenarbeit steht im Mittelpunkt, aber es gibt jeweils auch eine länderspezifische Note. Scholz kauft in Nigeria Flüssiggas, Faeser will Marokko Migranten zurückgeben und Steinmeier stellt sich in Tansania den deutschen Kolonialverbrechen.
Mehr Rohstoffe kaufen, mehr Flüchtlinge abschieben, mehr Kolonialvergangenheit aufarbeiten – das ist auch eine erstaunlich akkurate Zusammenfassung der aktuellen Schwerpunkte deutscher Afrikapolitik. Wie Olaf Scholz vor Reiseantritt korrekt feststellte: „Die Bedeutung Afrikas für das Weltgeschehen nimmt immer weiter zu.“
Die Bedeutung Afrikas für das Weltgeschehen war schon vor über 100 Jahren immens, denn ab der Berliner Afrikakonferenz 1884 fielen zahlreiche europäische Mächte über den Kontinent her, mit verheerenden Folgen. „Wo immer wir die Geschichte der Kolonialpolitik in den letzten drei Jahrhunderten aufschlagen, überall begegnen wir Gewalttätigkeiten und der Unterdrückung der betreffenden Völkerschaften, die nicht selten schließlich mit deren vollständiger Ausrottung endet“, erklärte SPD-Vorsitzender August Bebel im Deutschen Reichstag 1889.
Im heutigen Tansania verübten deutsche Armeen bei der Niederschlagung des sogenannten Maji-Maji-Aufstands ihre blutigsten Kolonialmassaker – bis zu 300.000 Tote als Opfer von „Kämpfen, Hinrichtungen und Hunger“, wie das Berliner „Tanzania Network“ anlässlich der Steinmeier-Reise in einem offenen Brief erinnert. Man fordere den Bundespräsidenten „eindringlich“ auf, dazu bei seinem Besuch „klare Worte zu finden und diesen für eine Bitte um Entschuldigung Deutschlands bei den Nachfahren der Opfer zu nutzen“.
Steinmeier in Tansania
Steinmeier wird im südtansanischen Songea vorbeikommen, wo am 27. Februar 1907 insgesamt 66 Maji-Maji-Führer von Deutschen am Galgen hingerichtet wurden. Es wird eine Stippvisite: am Mittwoch 1. November, Allerheiligen also, fliegt er vormittags hin, um 11 Uhr besucht er das Museum, um 12 Uhr die Grundschule, dann fliegt er in Sambias Hauptstadt Lusaka 930 Kilometer westlich, wo er schon um 14 Uhr aussteigen soll, wobei ihm eine Zeitverschiebung von einer Stunde rückwärts zugutekommt. Zeit für ein paar präsidiale Worte soll es in Songea jedoch geben.
Wird Steinmeier sich also in Tansania entschuldigen? In Namibia hat das 2021 nicht geklappt, die Reise fiel aus, als ein deutsch-namibisches Versöhnungsabkommen platzte. Aber in Tansania soll Steinmeier weder vor dem Parlament sprechen, noch einen Völkermord anerkennen. Er besichtigt ein Museum und trifft Nachkommen.
Kolonialverbrechen in „Deutsch-Übersee“
Auch dieses Terrain kann tückisch sein. In deutschen Museen liegen sterbliche Überreste hingerichteter Widerstandskämpfer aus „Deutsch-Ostafrika“, ebenso wie die Überreste getöteter Herero aus „Deutsch-Südwestafrika“. Die aktuelle Debatte betrifft dabei andere Aufstände als den von Songea. Aber zu deren Schauplätzen reist der Bundespräsident nicht. Die Knochen hat er auch nicht im Gepäck, die Modalitäten der Restitution sind noch nicht geklärt. Mit der Rückgabe lebender Afrikaner hat es Deutschland eiliger. Und man will doch eigentlich bloß wirtschaftlich mit Afrika zusammenarbeiten.
Auch dazu ist die Bebel-Rede von 1889 lehrreich. Der Sozialdemokrat wusste, was passieren kann, wenn Deutsche derart in Afrika anklopfen. „Sobald Europäer – und es ist ja stets nur die Unternehmerklasse, die dabei in Frage kommt – in fremdem Lande Boden fassen und das Land nach den verschiedensten Richtungen nach Möglichkeit ausbeuten, werden die schlechten Sitten, Gewohnheiten und Gebräuche der Europäer eingebürgert“, rief damals der SPD-Chef. „Man gewöhnt sich zu leicht, in dem Schwarzen einen Menschen inferiorer Rasse zu sehen, gegen den man sich alles erlauben dürfe, gegenüber dem es in der Behandlung gar keine andere Grenze gebe als die des eigenen persönlichen Nutzens.“
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