Hamburg-Krimi „Tödlicher Schlaf“: Die Verbrechen des Robert Koch

Während Europa um Frauenrechte kämpft, vollzieht Robert Koch in der Kolonie Deutsch-Ostafrika illegale medizinische Versuche. Das ist nicht erfunden.

Eingang des Robert Koch-Instituts in Berlin

Umstrittener Gründer: Eingang des Robert Koch-Instituts in Berlin Foto: Philipp Znidar

HAMBURG taz | Bei diesem Krimi muss man sich nicht fragen, ob man die Morde eines Verzweifelten oder zumindest seine Motive versteht. Bei Christoph Elberns 1907 spielendem Hamburg-Roman „Tödlicher Schlaf“ sind Gut und Böse klar definiert. Wobei zunächst nebulös ist, worauf der als Tagebuch des Ermittlers verfasste Roman hinausläuft: Als Ich-Erzähler tritt zunächst der am Bernhard-Nocht-Institut tätige Bakteriologe Carl-Jakob Melcher auf. Recht gemächlich beschreibt er im gediegenen Stil des wohlhabenden Milieus um 1900 sein recht sorgloses Leben.

Das nimmt aber Fahrt auf, als aus England eine junge feministische Verwandte anreist und sich fortan – zum Missvergnügen besagter Hautevolee – für Frauenrechte engagiert. Blutige Straßenkämpfe gibt es da; und bis hierhin erinnert das Buch an Boris Meyns historischen Krimi „Der blaue Tod“, der 1892 spielt, dem Jahr der Hamburger Cholera und den folgenden Arbeiterunruhen.

Doch dann weitet Autor Elbern den Horizont und offenbart eine zynische zeitliche Parallele: Während Europa um Frauenrechte kämpft, vollzieht der Mediziner und Bakteriologe Robert Koch in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika illegale medizinische Versuche. Ein Mittel gegen die tödliche Schlafkrankheit soll er im Auftrag der deutschen Regierung finden – nicht etwa, um das Leben der Einheimischen zu schützen, sondern um deren Arbeitskraft zwecks Ausbeutung der Kolonien zu erhalten.

Robert Koch zwingt die Menschen in „Konzentrationslager“

Dazu zwingt Koch die Menschen in aus instabilen Hütten gezimmerte „Konzentrationslager“ – genau so nennt er sie – und injiziert ihnen das arsenhaltige Atoxyl. Und obwohl er weiß, dass es tödlich sein kann, erhöht er die Dosierung stetig und führt Statistiken über die (beträchtliche) Zahl der an diesen Experimenten Gestorbenen. Derlei Menschenversuche sind im „Mutterland“, dem Deutschen Reich, verboten und sollen daher geheim bleiben.

All dies ist nicht erfunden. Im Roman sammelt ein beteiligter Arzt heimlich Dokumente dieser Verbrechen. Dann erkrankt er selbst an der Schlafkrankheit und kommt zur Behandlung nach Hamburg, zu besagtem Bakteriologen, dem Ich-Erzähler Melcher, und erwähnt brisantes Material. Doch bevor er es preisgeben kann, ist er plötzlich tot – und Melcher fängt an zu recherchieren. Zwischendurch passiert ein weiterer Todesfall, Melcher gerät in Verdacht und kommt kurz ins Gefängnis. Die Wege zur Aufklärung sind verschlungen, weil niemand dem berühmten Robert Koch an den Karren fahren will. Hamburgs Hautevolee debattiert derweil darüber, ob und inwiefern Weiße Schwarzen überlegen seien.

Christoph Elbern: „Tödlicher Schlaf“. Rütten & Loening Verlag, Berlin 2023, 360 S., 18 Euro

Obwohl Robert Kochs illegale Aktivitäten seit einigen Jahren öffentlich diskutiert und also bekannt sind, ist dieser Christoph Elberns Roman ein gutes Vehikel der Vermittlung, zumindest aber der Auffrischung von Wissen, ist man bei der Lektüre der – der Realität vermutlich recht nahen – Details doch erneut erschüttert. Und findet, nebenbei, manch darin abgebildete Rassismus-Debatte beklemmend aktuell.

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