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Staycation statt FlugschamWarum ein Urlaub zuhause auch schön ist

Von der stressfreien Staycation bis zur kostengünstigen Alternative bei Verwandten. So lassen sich auch Hotspots und Overtourism vermeiden.

Urlaub zu Hause hat Vorteile: Man kann nichts zu Hause vergessen, weil man ja zu Hause bleibt Foto: Andrew Bret Wallis/getty images

D ie Sommerferien haben in einigen Bundesländern der Republik begonnen und viele Reiseveranstalter behaupten, die Reiselust der Deutschen sei ungebrochen. Private Umfragen meinerseits haben jedoch ergeben, dass es für den Sommer 2025 zwei ganz andere Reisetrends gibt: Staycation und der Verwandtenbesuch.

Das englische Wort Staycation setzt sich zusammen aus stay (bleiben) und vacation (Urlaub) und hieß früher „Urlaub auf Balkonien“.

Wie man es auch nennen mag: Das Zuhausebleiben hat viele Vorteile: Man muss keine Reiseziele diskutieren, abwägen und vergleichen, nichts umständlich buchen. Urlaub zu Hause kostet nichts, braucht keinen Anreisestress, ist gut fürs Klima und die Nerven.

Denn im eigenen Bett schläft man am besten, Pflanzen und Haustiere sind versorgt, man kann nichts zu Hause vergessen, weil man ja zu Hause bleibt. Dort kann man sich auch am besten vor Hitze und Regen schützen. Es drohen keine Reisekrankheiten, keine Kulturschocks. Staycation hat also viele Vorteile und wenig Nachteile. Der Tapetenwechsel entfällt natürlich, die Reiselust bleibt unbefriedigt, Neues gibt es selten zu sehen.

Kein Meer, keine Abenteuer, keine anderen Kulturen. Um diese negativen Gefühle aufzufangen, hilft es die „No-Lists“ und „Urlaub des Grauens“- Listen anzuschauen, die gerade im Umlauf sind. Da vergeht die Reiselust wie von selbst.

Overtourism und Klimaschuld

Wegen Overtourism zieht man sich diesen Sommer den Zorn der Einheimischen auf Mallorca, den Kanarischen Inseln, Amsterdam, Venedig, Barcelona, Dubrovnik und in Teilen Siziliens zu. In Lissabon sind 60 Prozent der Wohnungen bereits Ferienwohnungen, nicht nur dort trägt die Touristin zur galoppierenden Gentrifikation bei.

Im Mittelmeerraum sind Hitzewellen bis zu 40 Grad möglich, wer nach Ungarn und in die Türkei fährt, unterstützt autoritäre Systeme. Bei USA-Reisen droht Einreisestress. Wer im Fernurlaub Klimaschuld auf sich laden will, sollte beachten, dass die Strände in Bali und Thailand wegen Vermüllung und Wassermangel vor dem Kollaps stehen.

Warum auch in die Ferne schweifen? Denn Deutschland ist schön und seine Landschaften sind typisch. Im landschaftlich schönen Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ist die Stimmung oft nicht so schön.

Im Norden wiederum der Urlaub so teuer wie am Mittelmeer, das Wetter aber unbeständig. Bayern ist teuer, der Bodensee überlaufen. Es gibt ein Mittel, das Budget zu schonen: Wer seine ländliche Herkunftsfamilie hinter sich gelassen hat und in der Stadt wohnt, kann sich zur Sommerfrische bei der Verwandtschaft einmieten.

Das bringt immerhin einen Tapeten- und Mentalitätswechsel. Der öffentliche Nahverkehr hilft bei der Entdeckung der Langsamkeit, das kulturelle Angebot bei der Entschleunigung.

Und der unüberwindbare Stadt-Land-Gegensatz sorgt für spannende und lebhafte weltanschauliche Diskussionen. Und wer immer noch mit der Staycation hadert, dem sei das berühmte Zitat des ersten Tourismuskritikers Blaise Pascal um 1650 na­he­ge­legt:­

„Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“

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10 Kommentare

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  • Ja, bei vielen der hier erwähnten Punkten gehe ich mit. Wobei es auf dem Land nicht gaaanz so viel zu entdecken gibt. Ein paar freie Tage daheim, das hat trotzdem was.



    Aber so richtig Erholung und Abechslung, ich weiß ja nicht. Zumindest nicht bei mir, wenn ich dran denke, einkaufen, kochen, staubsaugen, Wäsche waschen, Bad putzen. Das "schlimme" ist ja nur, dass man, je länger man daheim ist, auch mehr Unordnung macht ;-) Vorallem, wenn Gäste da sind 😅



    Zumindest gönne ich mir im "Heim"-Urlaub öfters ein Auswärtsessen (ich mag nicht kochen...).

  • Sehr schöner Artikel. Ein Plädoyer für das klimafreundliche Abhängen im Ort/vor Ort/bei nahen Verwandten.

    Und abends mit Freunden das gute Bio-Bier in der Lieblingskneipe schlürfen/den guten Bio-Wein im Lieblings-Restaurant genießen bei entspannten 20 Grad.

    Lächeln über die armen Südeuropa-Urlauber, die jetzt bei 40 Grad schwitzen.

    Und "Balkonien-Urlaub" (mit Genuß vor Ort) kurbelt auch noch die heimische Wirtschaft an.

  • Vielleicht den Alltag und die Umwelt zuhause so einrichten, dass es keine Ausfluchten mehr braucht? Wohnung statt Ausstellungsfläche, lebendiger Garten statt Schotterparadies und Golfrasen, nette Nachbarschaft statt Eventzone oder Rennstrecke, sinnstiftende Arbeit statt Geld verdienen usw.

    Wer im Urlaub durch Reisen Erholung, Bildung oder Anregung sucht, wird hinterher wieder mit leeren Händen dastehen. Wer sich zuhause wohlfühlt, hat jeden Tag etwas davon. Die Kinder und die Natur werden es auch danken.

  • Jedem das Seine. Manche brauchen halt Vertrautes, andere geniessen die unzähligen Kulturen der Welt.

    Der Trend zu "Staycation" ist dagegen wohl eher dem kleineren Budget der Leute geschuldet.

  • Im 100km-Umkreis kann man gewöhnlich Einiges machen. Einst genügte sogar das Schwimmbad.

  • Wenn ich die Vorteil der Staycation lese, denke ich, dass ein weiterer Vorteil ist, dass man, wenn man zu Hause stirbt, keinen weiten Leichentransport braucht.

  • Meiner Ansicht nach sollte es verpflichtend sein, den Urlaub nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bestreiten.



    Ist das nicht möglich, Staycation. Grund: Luxus zu Lasten des globalen Südens. Wir haben eine Verantwortung gegenüber diesen Menschen.

  • genau solch ein Beitrag muß zur Urlaubszeit ja kommen. Das jährliche Murmeltier.



    Aber woher nimmt die Autorin denn das Recht, anderen Menschen vorzuschreiben oder auch nur zu empfehlen, wo und wie diese ihren Urlaub verbringen sollen? Das ist die Entscheidung eines jeden Einzelnen bzw. jeder Familie. Und geht selbst die "buckelige Verwandtschaft" nichts an.



    Auch wir werden dieses Jahr mehrfach Urlaub machen. Zwei Wochen Türkei in den Pfingstferien. Auch weil wir für diesen preis noch nicht mal eine Woche an der Ostsee bekommen hätten. Zudem sind Ost- und Nordsee einfach nur unattraktiv und selbst im Sommer zu kalt. Diese Woche ist meine Frau bei ihrer Schwester in Valencia und in den Sommerferien fliegt sie dann mit den Kindern zu ihren Eltern. Nicht jeder hat die Familie vor Ort, und manche Länder sind halt nur per Flugzeug zu erreichen. Dürfte wohl in mindestens der Hälfte der binationalen Ehen so sein.



    Daher sollte jede Familie selbst entscheiden, wie sie dies hinbekommt.

  • Nehmen wir mal Buddhismus und Wiedergeburt. Und in irgendeiner Zwischenwelt vor der nächsten Geburt fällt einem an, dass man schon 2000 Mal in Rom und 1500 Mal in Viterbo war. Läuft 😁

  • Auch daheim gibt es für die meisten noch etwas zu entdecken. Im Alltag bleibt kaum Zeit dafür. Wenn man sich so umschaut, findet man schnell eine Straße, in der man noch nie war. Ein Geschäft, das man noch nie besucht hat. Dieser unscheinbare Park ein paar Straßen weiter, eine kulturelle Einrichtung, vielleicht mal Touriattraktionen besuchen, bei denen man selbst noch nie war. Vor allem aber gibt es den Vorteil, eine bessere Beziehung zu seinem Lebensraum aufbauen zu können, wenn der nicht immer nur zur Vorbereitung auf den Alltag dient.