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Statistiken zur CoronakriseDie Sache mit den Zahlen

Um einschätzen zu können, wie schnell sich Corona ausbreitet und was hilft, braucht man Zahlen. Die sind manchmal aber tückisch.

Covid-19 Erkrankungen:Interaktive Karte der John Hopkins Universität in Baltimore vom 21. März Foto: Marius Bulling/imago

Jena/Baltimore dpa | Die Johns Hopkins University hat, was alle begehren: Zahlen zur Coronavirus-Pandemie. Weltweit und quasi dauernd aktualisiert, grafisch aufbereitet. Selbst für Deutschland werden eher Zahlen der privaten Uni aus Baltimore im US-Bundesstaat Maryland genommen als von der hiesigen Bundesoberbehörde für Infektionskrankheiten, dem Robert-Koch-Institut (RKI).

„Zahlen sind scheinbar objektiv und man glaubt ihnen eher“, erläutert André Scherag vom Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwissenschaften der Universität Jena. „Sie suggerieren eine Sicherheit. Das ist ja das, was man im Moment gerne hätte.“ Doch die derzeit verfügbaren Zahlen haben ihre Tücken.

Das föderale System der Bundesrepublik bringt es mit sich, dass in den Bundesländern unterschiedliche Behörden die Daten erfassen, bündeln und zu unterschiedlichen Zeiten veröffentlichen. So sind die ersten in der Regel die örtlichen Gesundheitsämter. Sie übermitteln ihre Daten an die Landesgesundheitsämter. Je nachdem, wer hier wann mit den Zahlen an die Öffentlichkeit geht, können die Daten von außen betrachtet schon dann nicht mehr übereinstimmen.

Das RKI sammelt die Zahlen aus den Ländern – und hinkt somit schon automatisch mit der Veröffentlichung hinterher. Das wurde etwa am Wochenende deutlich, als manche schon einen abflachenden Verlauf der Neuinfektionen bejubelten.

Die „Berliner Morgenpost“ mischt mit

Das RKI verwies aber auf den Zeitverzug: „Am aktuellen Wochenende wurden nicht aus allen Ämtern Daten übermittelt, so dass der hier berichtete Anstieg der Fallzahlen nicht dem tatsächlichen Anstieg der Fallzahlen entspricht. Die Daten werden am Montag nachübermittelt und ab Dienstag auch in dieser Statistik verfügbar sein.“ Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wiederum bekommt die Angaben von den nationalen Behörden – also noch später.

Nun gibt es verschiedene Stellen, die selbst Daten überregional erheben. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) beispielsweise versucht, schneller als das RKI eine deutschlandweite Übersicht zu bekommen. Dafür summiert sie die Angaben von den Landesbehörden. Weil diese zu unterschiedlichen Zeiten ihre Datensätze aktualisieren, berichtet die dpa mehrmals täglich über den dann aktuellen Stand.

Die Johns Hopkins University wiederum gibt als Quelle ihrer deutschen Zahlen die niederländische Nachrichtenagentur BNO News in Tilburg an, die sich auf Zahlen der Berliner Morgenpost bezieht. Marie-Louise Timcke, die das Interaktiv-Team der Funke Mediengruppe leitet, zu der die Morgenpost gehört, hat zwar keinen direkten Kontakt zur Uni – aber durchaus schon bemerkt: „Immer wenn wir manuell neue Zahlen eintragen, haben die irgendwann die gleichen.“ Auch die Morgenpost nutzt laut Timcke die Zahlen der Landesgesundheitsämter.

Über den Umweg Tilburg und Baltimore landen die Daten dann in den deutschen Nachrichten mit Quelle Johns Hopkins. Doch auch wenn die Morgenpost dann nicht genannt wird, sagt Timcke: „Irgendwie finde ich das auch total cool, das ist wie eine Art Kollaboration: Wir nutzen deren Weltdaten, und sie dafür unsere Daten zu Deutschland.“

Die Dynamik erkennen

Forscher Scherag warnt aber vor Ländervergleichen: Während in Deutschland inzwischen eher breit auf Sars-CoV-2 getestet werde, werde in Italien aufgrund des akuten Drucks nur sehr selektiv getestet, oder es mangele an Testdurchführungen wie in den USA. Für das eigene Land unter konstanten Bedingungen lasse sich die Entwicklung aber dennoch relativ gut ablesen. „In der Regel kann man Trends innerhalb einer Region gut erkennen.“

Hinzu komme allerdings eine hohe Dunkelziffer von Infizierten, die auf Basis einer aktuellen chinesischen Studie auf das Zehnfache der vorliegenden Zahlen geschätzt werden müsse.

Doch abgesehen von den zeitlichen Abständen und der Dunkelziffer stecken die Tücken im Detail: Nehmen wir ein Praxisbeispiel von vor ein paar Tagen, als zwei Corona-Patienten starben. Eine Quelle berichtete da von zwei Toten im Krankenhaus im oberfränkischen Selb – korrekt. Eine andere Quelle berichtete von je einem Toten aus den Landkreisen Wunsiedel im Fichtelgebirge und Tirschenreuth in der Oberpfalz – was ebenfalls korrekt war. Wer nicht aufpasst beziehungsweise nachfragt, kommt am Ende auf vier Todesfälle. Oder gegebenenfalls auch nur auf drei – denn Selb ist die Große Kreisstadt im Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge.

Kann man also all die Zahlen nicht für bare Münze nehmen? „Das ist keine Atomphysik, die wir hier haben“, sagt Scherag. Keine Quelle liefere hundertprozentig genaue Daten. Aber die deutschen Behörden und die Johns Hopkins University haben hochkonsistente Daten. „Das hilft uns zu erkennen, ob die Dynamik sich ändert, und Maßnahmen zu planen“, so der Professor. „Und man kann der Bevölkerung aufzeigen, welchen Effekt die aktuellen Maßnahmen haben. Wir alle hoffen die jetzige Entwicklung ähnlich wie in Südkorea auszubremsen.“

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4 Kommentare

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  • Ohne die Anzahl der insgesamt durchgeführten Tests sagen die vom RKI veröffentlichten Fall-, Zuwachs- und Mortalitätszahlen nichts über die Gesamtsituation aus. Weitere Einschränkung: wenn überwiegend unter Verdachts- und Krankheitsfällen getestet wird, sagt ein positiver Befund nur etwas über die untersuchte Gruppe aus.

  • Ohne die Anzahl der Covid-19-Infizierten im Verhältnis zu dem Bedarf, diese im Krankenhaus, oder sogar auf Intensivstationen behandeln zu müssen , im Vergleich zu den vorhandenen Kapazitäten/Land, läßt sich die Herausforderung doch garnicht einschätzen.



    Sind diese Zahlen für Deutschland und füe die anderen Länder zu bekommen?



    Ich habe auf meine Anfragen beim Gesundheitministerium nur allgemeine Verweise erhalten.



    Die Hochrechnung der Infizierten alleine hat doch ganz offenbar keine Aussagekraft über das Ausmaß der Krise in einem Land.

  • Zitat: „Die Johns Hopkins University wiederum gibt als Quelle ihrer deutschen Zahlen die niederländische Nachrichtenagentur BNO News in Tilburg an, die sich auf Zahlen der Berliner Morgenpost bezieht.“

    Schau an. Vermutlich war die Funke Mediengruppe nie mächtiger als grade jetzt, wo sie sich von der John Hopkins Universität vertreten lässt. In Zeiten des großen Zeitungssterbens muss sich das großartig anfühlen. Zu großartig, als dass eine irgendwie geartete Form der Selbstkritik eine Chance hätte.

    Wie soll Winston Churchill schon Mitte der 40-er des letzen Jahrhunderts gesagt haben? „Ich glaube nur den Statistiken, die ich selbst gefälscht habe.“ Der Mann, heißt es, hätte gewusst, wie man Kriege gewinnt. Auch, wenn er nicht grade Atomphysiker gewesen ist.

    Im Übrigen sind Zahlen überaus geduldig. Selbst wenn schon flächendeckend getestet werden würde auf Corona (was bei weitem nicht der Fall ist), gäbe es niemanden, der die Zahlen der Morgenpost kritisch hinterfragen könnte. Die statistischen Landesämter kennen Schließlich nur ihre eigenen Zahlen, und die kriegen sie auch nur gemeldet. Das statistische Bundesamt aber scheint gar nicht mehr zu arbeiten. Muss es ja offenbar auch nicht. Denn die Zahlen in den Zeitungen stimmen ja schließlich mit denen der Johns Hopkins University überein. Und die sind nicht nur aus den USA und von Experten, sie gelten auch als „hochkonsistent“. Vermutlich, weil alle bei allen abgeschrieben haben.

    Nun ja. So lange alle etwas anzufangen wissen mit den wachsenden Zahlen, spielt es offensichtlich keine Rolle, wie nahe sie der Realität kommen. Und dass alle, von den Politikern über die Medien und den Einzelhandel bis zu den Bürgern, die endlich auch mal ihre Eigenverantwortung delegieren dürfen, etwas anzufangen wissen damit, ist offensichtlich. Was also spräche gegen eine gefälschte Statistik? Winston Churchill jedenfalls nicht.

  • Die dramatischen Prognosen der Virologen sind allein schon aus dem Grund zu hinterfragen, weil ihre Datenbasis auf der Menschengruppe beruht, die sich , auf Grund ihres Sozialverhaltens, schnell infiziert und die Infektion schnell weitergibt. Es sind die sozial aktiven Menschen.

    Alte, Kranke, Nerds, soziale Phlegmatiker, stecken sich wesentlich langsamer an oder kaum - und geben die Infektion auch wesentlich langsamer weiter.

    Und dann sind da noch immer 30% von Menschen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen, niemals anstecken. Das schon immer bei jeder Seuche so.

    Insofern muss das menschliche Sozialverhalten bei den Prognosen genauso im Auge behalten werden, wie regionale Besonderheiten.



    Gibt es in einem abgelegenen Ort z.B. nur eine Versorgungsquelle so ist die Chance sich dort zu infizieren, wesentlich größer, als in Orten mit breit gefächerten Angeboten u.U. sogar größer, als in der Stadt.

    All diese Faktoren spielen eine Rolle, so dass die exponentielle Rechnung meist in sich zusammenfällt, sobald die Infektionsgeschichte der ersten Gruppe auserzählt ist.

    Glaubt man der chinesischen Studie zur Dunkelziffer aus Wuhan, so ist der Faktor 1:25. Auf eine entdeckte Infektion kommen 25 unentdeckte Fälle.

    Diese Zahl sollte Mut machen, denn so sinkt die Hospitalisierungs- und Sterblichkeitsrate dramatisch.

    Die Zahlen aus HH und HB sprechen stark dafür. Bei 25.000, bzw. 4500 Infizierten nur 22 bzw. 8 Krankenhauseinweisungen und 6 bzw. 2 Patienten auf der Intensivstation zu haben, spricht für einen wenig fulminanten Verlauf (auf die Allgemeinheit berechnet. Für den Einzelnen sicherlich absolut dramatisch).