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Stasi-Debatte„Es ist auch meine Entscheidung“

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) kritisiert Staatssekretär Andrej Holm und will die Bewertung nicht allein der Linkspartei überlassen.

Geht Holm an und will über dessen Zukunft mitentscheiden: Regierungschef Müller (SPD) Foto: dpa

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat den Stasi-belasteten Baustaatssekretär Andrej Holm erstmals öffentlich hart kritisiert. „Ich finde seine Interviews und öffentlichen Auftritte schwierig“, sagte Müller am Dienstag nach der Senatssitzung vor Journalisten. Nach Müllers Wahrnehmung verharmlost Holm darin den DDR-Überwachungsstaat. Der Regierungschef verwies dabei auf Erfahrungen in seiner eigenen Familie. Er widersprach auch der Aussage von Kultursenator Klaus Lederer, wonach allein Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (beide Linkspartei) über Holms Zukunft entscheidet. „Es ist auch meine Entscheidung – nicht nur, aber auch“, sagte Müller.

Es sollte eigentlich eine Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Senatsklausur vom Montag sein, jedenfalls zu denen, die über das schon am Montagnachmittag vorgestellte Sicherheitskonzept hinausgingen. Doch einer eigentlich wenig aktuellen, schon vor Weihnachten thematisierten Frage nach den Beweggründen, Holm zum Staatssekretär zu machen, folgten weitere. Und Müller machte auch nicht den Eindruck, das Thema abwürgen und darauf verweisen zu wollen, dass man doch nun erst mal abwarten möge, bis sich die Humboldt-Universität als langjähriger Arbeitgeber Holms äußert. Holm hatte dort 2005 in einem Fragebogen die Frage nach einer Stasi-Tätigkeit vernein

Es schien Müller auch nicht ungerührt zu lassen, dass Lederer, der mit Müller und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) vor die Journalisten trat, sich so eindeutig vor Holm stellte. Die Frage sei, ob Holm ehrlich mit seiner Biografie umgegangen ist, sagte Lederer – und beantwortete sie selbst: „Da kann ich ganz klar sagen: Das ist er.“ Die Bewertung durch die Universität sei „nicht völlig irrelevant“ für die abschließende Entscheidung. Und die liegt nach Lederers Auffassung allein bei seiner Senats- und Parteikollegin Lompscher.

Was der Regierungschef eben so nicht stehen lassen mochte. Und der legte auch konkret dar, was ihm in Holm jüngsten Äußerungen nicht gefallen hat: etwa dass Holm für sich in seinem Alltag keine Repressalien erlebt haben will und erzählt habe, wie er Westfernsehen schauen konnte. Müller stützte sich dabei offenbar auf eine Passage aus einem Interview mit der Zeit kurz vor Weihnachten, in dem Holm sagt: „Für mich war eigentlich relativ viel möglich. Man konnte andere Musik hören, zu Hause wurde Westfernsehen geschaut.“

Müller stellte dem ganz andere, persönliche Erfahrungen entgegen: „Zwei Drittel meiner Familie haben in der DDR gelebt“ – die hätten den Kontakt in den Westen abbrechen müssen, um keine Nachteile zu erleiden. „Und solche Menschen schauen ganz genau hin, wie sich die SPD hier verhält“, sagte er. Er wundere sich, dass Holm, zu DDR-Zeiten noch keine 20, „heute als Erwachsener nicht sensibler mit dem Thema umgeht“.

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4 Kommentare

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  • Einfach alle Politiker mit Ostalgiedenken, Plattenbauromantik und vor allem SED- und IM (Stasi-) Vergangenheit aus der Politik ausschließen. Dann bleiben und derartige Fantasten und möchtegern Politiker erspart. Gerade Berlin braucht eine Regierung, die die Stadt optisch (schaut mal nach Warschau), wirtschaftlich und zukunftorientiert nach vorne bringt. Die Stadt für Investoren attraktiv macht - denn die bringen das benötigte Geld nach Berlin - auch wenn sie nicht jeder mag.

    In Berlin sind leider nur Träumerle der Grünen und Linken am Werke, die von Zukunft in einer Marktwirtschaft leider sehr wenig verstehen.

  • Kein Westfernsehen in Osterberlin? Naja, vielleicht hatte Müller ja Verwandte in Dresden.

    Karriere mit Westverbot. Naja, eigentlich fallen mir da wenige Karrieren ein, die man mit Westkontakt nicht machen konnte. Wobei war da nicht was. In der Verpflichtungserklärung von Holm stand doch, dass er kein Westkontakt haben durfte. Keine Ahnung, wo die Mitglieder der Familie Müller so Kariere gemacht haben. Aber eins steht fest. Karriere in der DDR lief nicht ab, ohne dass man sich mit diesem System und seiner Repression nicht gut gestellt hätte. Alle reden immer über die böse Stasi. Was aber ist mit all den Lehrern, die dafür sorgten, das Nicht-FDJ-Mitglieder auch ja nicht in die EOS gehen konnten.

    Über die Lehrer in diesem System wird nicht gesprochen.

    Die Stasi ist ein guter Sündenbock, alle anderen haben nur ihre "Pflicht" und ihrer "Karriere" gemacht. Mein Gott ist das eine Heuchelei.

    Es wird langsam Zeit, dass wir von dieser Stasi-fixierung herunterkommen und uns mal fragen, wer denn die ganzen Repressionen durchgesetzt hat.

    Holm scheint mir hier zur Projektionsfläche zu werden.

  • Auweia, der Herr Müller fordert den Herrn Holm ja geradezu zum Lügen auf.

     

    Michael Müller: "Genosse Holm erzählen Sie den BRD-Bürgern doch bitte das es im Osten kein Westfernsehen gab!"

     

    Andrej Holm:"Ähhh, nein."

     

    Michael Müller:"Sie wissen, dass Sie unter Beobachtung stehen, Genosse Holm! Meine gesamte Familie hat Sie im Visier Genosse Holm! Entäuschen Sie diese nicht Genosse Holm! Die Autorität in meiner Familie steht auf dem Spiel Gensosse Holm!"

  • Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Menschen sich für Fachleute halten, weil sie verwandt sind mit jemandem, der einen kennt, der schon einmal von einem gehört hat, der seinerseits…

     

    Michael Müller, SPD, geboren in Berlin (West) glaubt also, dass er "persönliche Erfahrungen" hat mit der DDR. Weil offenbar jeder einzelne Ossi seiner Familie, zu feige war, Kontakt zu halten zu seinen West-Angehörigen. Scheint eine ehrgeizige, nicht sonderlich risikofreudige Sippe zu sein, diese Müllers. Aber sicher auch eine erfolgreiche…

     

    Wir haben alle schon gehört von Leuten, die behauptet haben, sie hätten für ihre jüdischen, farbigen, kommunistischen, behinderten etc. Angehörigen und Freunde rein gar nichts tun können "unter Hitler", weil das schlicht zu gefährlich gewesen sei. Wie "unter Hitler" ist es offenbar auch in der DDR gewesen. Zumindest in der, mit der Michael Müller seine "Erfahrungen" gemacht hat.

     

    Ich hab wohl eher in Holms DDR erlebt. Auch ich konnte Westmusik hören, Westfernsehen sehen und mit meinen Westverwandten diskutieren, wenn sie ihre Cousinen, meine Oma und meine Großtante, besucht haben. Auch für mich war "relativ viel möglich". Aber meine Eltern und ich wollten in der DDR auch nie Karriere machen.

     

    Nein, man musste seine Westkontakte nicht abbrechen. Zumindest nicht überall. Mancherorts konnte man sich auch für seine Familie entscheiden - und gegen den Staat. Der einzige Nachteil, den man dann hatte, war der, dass man nicht mehr als zuverlässig galt - und die Karriere "knicken" konnte. Nicht jeder hat das ausgehalten. Für manchen war Wein letztlich doch dicker als Blut.

     

    Herr Müller hat vollkommen recht: Manche Menschen "schauen ganz genau hin, wie sich die SPD hier verhält". Ich auch. Und übrigens: Dass als Erwachsener nicht sonderlich sensibel mit dem Thema umgeht, wer "zu DDR-Zeiten noch keine 20 war", wundert mich nicht. Mich wundert nur, dass Müller sich in dieser Sache so weit aus dem Fenster hängt.