Start des Festivals „Pop-Kultur“ Berlin: Möglichkeitsraum Meta-Ebene
Am Mittwoch startet das Festival „Pop-Kultur“ in abgespeckter Form und virtuell. Gerade deshalb ist vieles neu und Vertrautes anders zu entdecken.
Abgesagt wurde ja eine Menge im letzten halben Jahr. Freund*innen der Livemusik sind davon besonders betroffen, die Künstler*innen erst recht; der Festivalsommer 2020 ist komplett ausgefallen. Umso erfreulicher, dass das Berliner Festival Pop-Kultur in seinem sechsten Jahr zumindest in digitaler Form stattfindet – und das sogar auf eine ambitionierte Weise, die sich von dem, was sonst dieser Tage aus Clubs und von Bühnen über heimische Bildschirme streamt, doch stark unterscheidet.
Das ist so erfreulich wie konsequent. Schließlich muss sich ein Festival wie dieses, das nicht umsonst als das hierzulande Diskursträchtigste gilt, daran messen lassen, ob es auch in einer Krise Möglichkeitsräume eröffnen kann. Zudem wird bei Pop-Kultur von jeher die Meta-Ebene mitverhandelt; Pop eben nicht nur als Bündel von Vergnügungen verstanden, dem der/die Einzelne auf diese oder jene Weise nachgeht. Sondern als Raum, in dem an Themen wie Diversität und Inklusion gearbeitet wird, in dem Dinge ausprobiert und Gesellschaftliches verhandelt wird. All das braucht es momentan nötiger denn je.
Darüber hinaus, so erklärt Martin Hossbach – neben Christian Morin und Katja Lucker, der Geschäftsführerin des Musicboards Berlin, einer der drei KuratorInnen des Festivals – sei es ihnen wichtig gewesen, „so viele Künstler*innen wie möglich zu bezahlen. Zwar haben wir nicht auf Teufel komm raus Programm gemacht; schließlich wurden zwei Drittel eingestampft. Doch die Honorare, die wir bezahlt haben, sind identisch mit jenen, die wir bei normalen Auftritten bezahlen.“
Schrumpfung als Konzept
Das Festivalprogramm stand bereits, als im März der Lockdown kam. Schnell wurde klar: Vor Bühnen in großen Räumen wird sich so bald niemand mehr versammeln. Dementsprechend lassen sich auch keine Tickets verkaufen. Und das Festival, das seine Fühler sonst immer in viele Richtungen ausstreckte, auf eine produktive Weise ausuferte, bisweilen aber auch ein bisschen zerfaserte, musste entsprechend schrumpfen.
Festival „Pop-Kultur“ Berlin, 26. bis 28. August. Alles online unter:
Konkret sieht das diesjährige Programm so aus: Am Mittwoch und den beiden folgenden Abenden wird eine jeweils einstündige Show, bestehend aus vorproduzierten Livesessions, aufwändigen digitalen Arbeiten und Mitschnitten aus Gesprächsrunden, uraufgeführt. Auch die sogenannten „commissioned works“ – vom Kuratorenteam zusammen mit den Künstlern entwickelte Auftragsarbeiten, die über die Jahre zu einer Art Alleinstellungsmerkmal des Festivals wurden, weil so tatsächlich manch ungewöhnliche Performances und Kollaboration ihr Publikum fanden – gibt es wieder, in filmischer Form.
Einige Arbeiten werden in der Show vollständig präsentiert, andere nur angeteasert. Langversionen der jeweiligen Arbeiten kann man sich in der Pop-Kultur-Mediathek zu Gemüte führen – wo sie übrigens auch über die Festivaldauer hinaus verfügbar sein werden. Welche Strategie hat das Kuratorenteam genau verfolgt, beim schmerzhaften Eindampfen des ursprünglich ja viel umfänglicherem Programms?
In andere Richtungen
Morin beschreibt es als „konzeptionellen Schrumpfungsprozess, der die verschiedenen Aspekte, die das Festival besonders machen, in verkleinerter Form erhalten hat“. Hervorzuheben seien etwa „die Erzählungen außerhalb angloamerikanischer Popkultur in andere Richtungen, sei es nach Osteuropa und in afrikanische Länder“. Zugleich, so erklärt er, „haben wir versucht, die Diskursivität zu verschiedenen relevanten Themen und das geschlechtergerechte Booking im Kleinen zu erhalten“.
Katja Lucker fügt hinzu: „Natürlich haben wir uns auf Künstler*innen konzentriert, von denen wir glauben, dass sie eine digitale Arbeit leisten können. Ihre Beiträge sind zum Teil sehr artifiziell und hochkünstlerisch. Das kann ja nicht jeder.“
Headliner und die klassischen Publikumsmagneten fallen dieses Jahr weg, ein paar vertraute Anker gibt es trotzdem. Zum Beispiel The Notwist, die in den frühen Neunzigern aus dem oberbayerischen Weilheim heraus Indiepop neu aufrollten und Experimentelles noch immer mit hohem Wiedererkennungswert zusammenbringen. Am Mittwoch wird die Band in einer Session erstmals Songs aus ihrem kommenden Album öffentlich vorstellen.
Ebenfalls beim Auftaktabend zu erleben ist Preach, eine sexpositive Hamburger Musikerin mit ghanaischen Wurzeln, die experimentellen R & B mit Performancekunst zusammenbringt. Hier wird sie ihren Alias „Fathoeburger“ vorstellen, in einem gut halbstündigen Clip als „commissioned work“. Im Teaser erklärt Preach, dass sie zwar nicht weiß, was genau ein Fathoeburger ist, dass sie aber wohl einer sei.
Klangforschung mit Zukunftsszenario
Preach sei gerade jedenfalls am Schlafen, Fathoeburger dagegen lebe in der Zukunft. Unterstützt wird sie bei ihrer Selbsterforschung von dem queeren Künstler Don Jegosah, in dessen Soulstimme trotz engelsreiner Anmutung etwas Rätselhaftes mitschwingt. Darüber hinaus scheinen sich in Fathoeburgers Zukunftsszenario klangliche Grenzen weitgehend aufgelöst zu haben.
An eine völlig andere Ästhetik dockt Hendrik Otrembas Foto-Text-Collage „conditio benito“ an. Der Autor und Sänger der krautpunkigen Band Messer fotografiert seit Langem mit einer kleinen Minox-Kamera. Dutzende der Bilder, die so entstanden, collagierte er, zusammengehalten von einem eigens dafür geschriebenen Text, zu einem endzeitlich anmutenden Nachdenken über das Ende von Zivilisationen.
Beiträge wie diese, in denen die Pandemie mehr als nur unterschwellig mitschwingt, bringen Co-Kurator Morin zum Schwärmen: „Ich hoffe, dass wir mit der digitalen Ausgabe eine Art Zeitdokument geschaffen haben.“ Lucker holt weiter noch aus: „Je öfter ich die Sachen sehe, desto mehr habe ich das Gefühl: Das sind Sachen, die später vielleicht wirklich mal in einer Galerie gezeigt werden können. Das hat Bestand und zeigt etwas Universelles, das zugleich mit dieser speziellen Zeit zu tun hat.“
Sich von der Musik und ihren Erfahrungsräumen überwältigen lassen – damit wird es dieses Jahr bei Pop-Kultur tatsächlich wohl eher nichts. Einiges anderes wird dagegen schon gehen: Vielleicht entdeckt man sogar neue Möglichkeitsräume.
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