Festival „Pop-Kultur“ in Berlin: Publikum gesucht

Auch das Festival „Pop-Kultur“ muss coronabedingt rein virtuell mit digitalen Arbeiten überzeugen. Wirkungsvolle Bilder gibt es, nur die Klicks fehlen.

Wanlov the Kubolor, eine Hälfte des ghanaischen Duos Fokn Bois

Eine Hälfte des ghanaischen Duos Fokn Bois: Wanlov the Kubolor Foto: Fokn Bois

Zur Primetime um 20.20 Uhr, passend zu diesem vermaleideten Jahr, ging sie am Mittwoch online: Die erste von drei Shows, die auf visuell eindrucksvolle Weise umriss, was beim Festival Pop-Kultur in Berlin passiert. Aus den bekannten Gründen kann es nicht, wie in den Jahren zuvor, in der „Kulturbrauerei“ stattfinden; die Macher haben sich für eine virtuelle Variante entschieden, die nicht auf Simulation dessen setzt, was normalerweise passieren würde. So wird nicht, wie so oft dieser Tage, aus leeren Hallen gesendet, statt dessen sind, auf drei Tage verteilt, 36 Bands und Künstler*innen in eigens fürs Festival entstandenen digitalen Arbeiten zu erleben.

Ein Höhepunkt des ersten Abends ist Wanlov the Kubolor, eine Hälfte des ghanaischen Duos Fokn Bois. Es bezeichnet seine Fusion aus satirischem Pidgen Rap, Hiplife und Afro-Techno als „Gospel Porn“ und hätte eigentlich beim Festival auftreten sollen. Nun aber steuert Wanlov the Kubolor den eindringlichen, gar nicht ironischen Essay „We Love Us“ über die Diskrimierung der LGBTQI*-Community im religiösen Ghana bei. Der Clip bedient sich einer so schlichten wie wirkungsvollen Bildersprache.

Martin Hossbach, neben Christian Morin und Katja Lucker einer der Kurator:innen des Festivals, liefert Hintergründe. „Als klar war, dass es mit Reisen nichts wird, haben wir via Zoom angefangen, über die konkrete Auftragsarbeit zu reden. In dem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass wir uns mit den Künstler*innen über das Publikum klar werden mussten. Weniger, wer es sein wird, sondern, wo das Publikum sein wird – was das genau bedeutet. Wie Bilder anders erzeugt werden müssen, wenn sie nicht für die Bühne sind.“

Das gelingt nicht bei jeder „digital work“ gleichermaßen; im Fall von „We Love Us“ jedoch erweist es sich als effektiv. Bis zum Donnerstagmittag war der Clip leider nur knapp 100-mal auf dem Youtube-Kanal des Festivals aufgerufen worden; die Live-Session der zweifellos auch tollen Band The Notwist dagegen schon 1.600-mal; auch im Chat blieb es ruhig. Wanlov the Kubolor in einem leichtfüssigeren Kontext erleben kann man im Langfilm „Contradict“, einem Porträt von sechs ghanaischen Musikern.

Das Festival läuft noch bis Freitag 28. August abends, vieles lässt sich auch noch später ansehen: Link auf https://www.pop-kultur.berlin/festival/

Es setzt damit ein, dass die Fokn Bois auf den Straßen von Accra die westliche Perspektive auf ihren Kontinent umdrehen und mit einer Sammelbüchse Geld für die notleidenden Menschen in den USA sammeln: Spaß, politische Provokation oder vielleicht sogar Prophezeiung? Die lohnende Doku ist, anders als all die anderen Beiträge auf der Festivalwebsite, nicht unbegrenzt verfügbar, sondern nur bis inklusive Freitag, 28. August.

Es empfiehlt sich übrigens, hier nicht nur von Beitrag zu Beitrag zu klicken, sondern zwecks Orientierung auch die täglich einstündige Show zu schauen, vermittelt sie doch so einen Kontext, der sich nicht zwangsläufig aus den einzelnen Clips erschließt. Im Fall des aus Belarus stammenden Dancefloor-Postpunk-Duos Super Besse, das am Freitagabend dabei sein wird, offenbart sich das Besondere nicht sofort.

Gitarre spielen im leeren Raum

In dem Clip sieht man lediglich, wie ein junger Mann in einem leeren Raum sich im Gitarrenspiel verliert, während der seinen Bass stocksteif bedienende Mitstreiter über und hinter ihn projiziert wird. Das Duo, das seine Frankophilie unter anderem dadurch auslebt, dass es sich nach einem Wintersportort in den französischen Alpen benannt hat, plaudert in der Show und im Kurzinterview auf der Festivalseite eher über die Geschichte ihrer Namensfindung als über die Herausforderungen, die es mit sich bringt, in einer belarussischen Band zu spielen. Auch schon vor der Coronapandemie konnten die beiden physisch nur schwer zusammenfinden.

Die spannenden Hintergründe liefert Christian Morin im Interview mit der taz. Die eine Hälfte des Duos, Maksim ­Kulsha, lebt in Berlin. Seine Kollege Alex Sinica dagegen in Minsk. Er durfte bereits vor Corona nicht reisen. „Alex hat seine Performance in Minsk aufgenommen“, erzählt Morin. „Wir haben sie dann im Rambazamba-Theater projiziert, Maksim hat dazu gespielt. Daraus ist eine Arbeit entstanden, in der es auch darum geht, wie man versucht, mit Menschen, die man gerade nicht sehen kann, etwas hinzubekommen – was natürlich auch zu Corona passt. Die Aktualität der Ereignisse in Belarus war da noch gar nicht absehbar.“

Ein Beispiel dafür, wie man sich an mancher Stelle doch sehr auf die Kraft der tollen Bilder verlässt. Manchmal hätte mehr Hintergrund auch zu noch mehr Wissen geführt. Alles in allem liefert das Festival Pop-Kultur, so lässt sich als Zwischenfazit festhalten, dennoch auch als virtuelle Ausgabe vielschichtige Einblicke in die globalisierte Popwelt. Diese muss jetzt nur noch ihr Publikum finden.

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