Starkregen in Westdeutschland: Zahl der Toten steigt auf 42
18 Menschen sterben allein im Landkreis Ahrweiler, 15 in Euskirchen. Dutzende werden vermisst. Kanzlerin Merkel sichert den Menschen in den Hochwassergebieten Unterstützung zu.
Die Zahl der Toten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hat sich im Verlauf des Donnerstags auf mindestens 42 erhöht. Besonders stark betroffen waren der Raum Bad Neuenahr-Ahrweiler mit 18 Toten und das südlich von Köln gelegene Euskirchen mit 15 Toten, wie die zuständigen Polizeistellen jeweils mitteilten. Teilweise konnten die Toten noch nicht geborgen werden, weiterhin wurden auch Menschen vermisst.
Die Polizei Köln berichtet von 20 Toten in der Region. Neben zwei in Köln gefundenen Toten seien bislang aus Euskirchen 15 und aus Rheinbach 3 Tote gemeldet worden, teilte die Polizei am Donnerstagnachmittag mit. Noch seien nicht alle gesichteten Leichen geborgen.
Die Koblenzer Polizei meldete einen sprunghaften Anstieg von fünf auf 18 Tote für den Raum Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ein Polizeisprecher wollte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP keine Angaben machen, wo die zusätzlich gemeldeten Toten gefunden wurden. Er sei gehalten, zunächst nur die erhöhte Zahl der Toten zu melden.
Menschen harrten auf Hausdächern aus
Tief „Bernd“ bestimmt mit feuchtwarmen Luftmassen das Wetter in Deutschland. Heftige Sturzregen führten zu Erdrutschen, die Bevertalsperre in Hückeswagen im Oberbergischen Kreis lief über, mehr als 1.000 Menschen mussten deswegen ihre Häuser verlassen. Auch andere Talsperren sind übervoll und werden von den Behörden beobachtet. Straßen wurden überspült, Keller überschwemmt und der Bahn- und Straßenverkehr war gestört. Viele Kreise haben den Katastrophenfall ausgerufen. Tausende Helfer:innen sind im Einsatz.
Darunter auch die Bundeswehr: In Nordrhein-Westfalen seien am Donnerstagmorgen 200 Männer und Frauen mit Bergepanzern, Radladern, schweren Lastwagen und dem Transportpanzer Fuchs in den Einsatz geschickt worden, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin.
Im Kreis Ahrweiler flüchteten „sehr viele Menschen“ nach Angaben der Polizei auf ihre Hausdächer und harrten dort aus. Mehrere Orte waren wegen des Hochwassers von der Außenwelt abgeschnitten. Die Rettungskräfte erreichten laut Polizei nicht alle betroffenen Orte, auch Hubschrauber waren im Einsatz.
In Altena im Sauerland kam bei der Rettung eines Mannes nach dem Starkregen ein 46 Jahre alter Feuerwehrmann ums Leben. Er wurde von den Wassermassen fortgerissen und ertrank. Das bestätigte ein Sprecher der Polizei im Märkischen Kreis am Mittwoch. Nur zwei Stunden später sei ein 52 Jahre alter Feuerwehrmann bei einem Einsatz im Bereich des Kraftwerks Werdohl-Elverlingsen kollabiert.
Wuppertaler Innenstadt überflutet
In Wuppertal war die Innenstadt am Donnerstagmorgen überflutet, der Pegel stieg noch weiter. Die Feuerwehr wies auf Twitter vorzeitig darauf hin, den Trinkwasserverbrauch vorsorglich einzuschränken. Durch einen Stromausfall sei auch die Wasserversorgung betroffen. In Solingen haben die Einsatzkräfte in den vergangenen Stunden etwa 130 Menschen im Stadtgebiet aus akuter Not vor dem Hochwasser gerettet. Das sagte ein Sprecher der Feuerwehr am Donnerstag. „Wir haben die Menschen über Drehleitern, Boote, Bojen herausgeholt. Es war alles improvisiert.“ In zwei Situationen hätten sich Einsatzkräfte zudem auf Tanklöschfahrzeugen in Sicherheit bringen müssen.
Im Solinger Stadtteil Unterburg wurden mehrere Häuser sowie ein Tierheim evakuiert. Auch hier war der Wasserzufluss am Morgen unvermindert hoch. Die Bewohner konnten in Notunterkünften und teilweise bei Bekannten untergebracht werden. Die Einsatzkräfte sprechen nach den starken Regenfällen in Solingen nach Angaben eines Stadtsprechers von einem „Jahrhunderthochwasser“.
Wegen der Gefahr eines Dammbruchs an der Steinbachtalsperre in Nordrhein-Westfalen werden zwei Ortsteile von Rheinbach evakuiert. Das teilte die Feuerwehr Rheinbach am Donnerstag mit. „Dies ist eine Vorsichtsmaßnahme, da nicht sicher ist, ob der Damm der Steinbachtalsperre gehalten werden kann“, heißt es in der Mitteilung. Bei der Evakuierung von Oberdrees und Niederdrees würden auch Lastwagen der Bundeswehr eingesetzt.
In Inden bei Aachen hat der Hochwasser führende Fluss einen Deich in der Nähe des Braunkohletagebaus überspült und läuft seit dem Morgen in den Tagebau. Ein Sprecher des Energieunternehmens RWE sagte am Donnerstag, ein Mitarbeiter dort werde vermisst. Nach dem Mann werde mit einem Hubschrauber gesucht. Der Abbaubetrieb sei eingestellt worden. Der Zufluss des Wassers dauere an.
Der Krisenstab im Rhein-Erft-Kreis in Nordrhein-Westfalen hat nach den andauernden starken Regenfällen den Katastrophenfall ausgerufen. Wegen der Hochwasserlage entlang der Erft bestehe die Gefahr, dass sich die bisher örtlich begrenzte Lage neben Erftstadt auch auf Kerpen, Bergheim und Bedburg ausweiten könnte, heißt es in einer Pressemitteilung von Donnerstag. Die kreisangehörigen Kommunen wurden aufgefordert, „die notwendigen Maßnahmen des Bevölkerungsschutzes wie insbesondere Evakuierungen und Unterbringungen vorzubereiten und vorzunehmen“.
Technisches Hilfswerk mit über 2.500 Helfern im Einsatz
Das Technische Hilfswerk (THW) ist nach dem Unwetter nach eigenen Angaben mit über 2.500 ehrenamtlichen Hilfskräften im Einsatz. Sie pumpten Wasser ab, retteten Personen und sicherten Deiche und Häuser, erklärt die Hilfsorganisation. „Unsere Helferinnen und Helfer sind seit Tagen unermüdlich im Unwetter-Einsatz, um Menschenleben zu retten, aber auch Infrastruktur und Sachwerte zu schützen“, sagt THW-Präsident Gerd Friedsam. Obwohl der Regen in weiten Teilen nachgelassen habe, sei die Lage weiterhin angespannt.
Die oberhalb an der Inde liegenden Städte Eschweiler und Stolberg sowie Aachen-Kornelimünster sind ebenfalls heftig von Hochwasser betroffen.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) erklärte, sie „bange mit allen, die in Gefahr sind“, und dankte allen Helferinnen und Helfern für ihren Einsatz. Die Landesregierung hat wegen der Unwetter in der Eifel eine Sondersitzung angesetzt. Die Regierungschefin kündigte an, sich zusammen mit Innenminister Roger Lewentz (SPD) einen eigenen Eindruck von der Lage vor Ort zu verschaffen. Sie appellierte an die Bewohner der Katastrophenregion, in ihren Häusern zu bleiben. „Wir mobilisieren alles, um Sie zu retten!“
Deutscher Wetterdienst erwartet Entspannung der Lage
In Rheinland-Pfalz sollen im Kreis Vulkaneifel und in der Ortsgemeinde Kordel im Landkreis Trier-Saarburg die Schulen geschlossen bleiben.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet hat das vorausschauende Handeln der Verantwortlichen in Hagen während der Hochwasser-Katastrophe gelobt. In Hagen seien schon Vorbereitungen für den Krisenstab getroffen worden, als noch die Sonne schien, sagte der CDU-Bundesvorsitzende am Donnerstag bei einem Ortsbesuch. So habe eine größere Katastrophe verhindert werden können. Der schnelle unbürokratische Einsatz der Bundeswehr habe dabei maßgeblich geholfen. Einen genauen Überblick über die landesweite Opferzahl gebe es noch nicht.
Der Höhepunkt der extremen Niederschläge in Teilen Deutschlands ist nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) allerdings überschritten. Der DWD-Meteorologe Marco Manitta erwartete am Donnerstag „eine Entspannung der Wetterlage“. Zwar könne es weiterhin „punktuellen Starkregen“ geben, dieser sei aber nicht mehr so verbreitet wie in der vergangenen Nacht, sagte Manitta der Deutschen Presse-Agentur. „Das Unwetterpotenzial sinkt deutlich.“
Bahnreisende aufgerufen, NRW zu umfahren
Die Deutsche Bahn riet allen Bahnreisenden, Nordrhein-Westfalen weiträumig zu umfahren. „Bitte verschieben Sie Reisen von und nach NRW nach Möglichkeit auf die kommenden Tage“, hieß es in einer Mitteilung. Am Mittwoch wurde auf zahlreichen Bahnlinien der Betrieb eingestellt. Die Bahn berichtete unter anderem von Verspätungen und Ausfällen von Zügen zwischen Köln und Düsseldorf sowie zwischen Köln und Wuppertal. Die Strecken zwischen Köln und Koblenz waren auf beiden Seiten des Rheins nicht befahrbar. ICE-Züge zwischen Frankfurt und Brüssel fuhren nur zwischen Frankfurt und Köln.
An vielen Stellen sei es zu überspülten Gleisen, Fahrbahnstörungen und Beschädigungen von Betriebsanlagen gekommen. Eine Erfassung der Unwetterschäden sei erst mit abfließenden Wassermassen möglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier