Star-Ökoarchitektin Yasmeen Lari: So bauen, dass wir überleben können
Architektin Yasmeen Lari baute in Pakistan früher Großes aus Beton und Glas. Dann rief sie eine Zero-Carbon-Selbstbau-Bewegung ins Leben.
Mal dauert ein Video 8 Minuten und 22 Sekunden, mal 5 Minuten und 55 Sekunden. Auftakt macht stets ein simples Grafikdesign. „Earth Lime Brick Making“ steht dort dann etwa in blockförmigen Lettern. Daneben ist eine Frau im bunten Sari vor den grünen Hintergrund collagiert. Mit ihren Händen drückt sie grauen Lehm in eine Backsteinform. „Ich bin Yasmeen Lari, Architektin, und zeige euch hier, wie ihr euch kostengünstige, CO2-freie Häuser bauen könnt“, grüßt eine ältere Dame in der nächsten Szene.
Zu sehen sind diese Videos im Youtube-Kanal „Yasmeen Lari’s Zero Carbon Channel“. Die Plattform, auf der die pakistanische Architektin ihre Tutorials veröffentlicht, ist Teil einer Selbstbauinitiative nach dem Graswurzelprinzip. Lari hat sie 2005 gestartet, nachdem ein Erdbeben im Norden Pakistans viele Menschen obdachlos machte. Seither engagiert sie sich mit einem Freiwilligennetzwerk und ihrer Stiftung Heritage Foundation of Pakistan dafür, die Landbevölkerung zur Selbsthilfe zu befähigen. Zehntausende erdbeben- und flutsichere Häuser sind so bereits entstanden. Die Pläne dafür liefert Lari, die Prototypen sind aus Bambus, Lehm oder Kalk. „Soziale Barfußarchitektur“ nennt sie diesen Ansatz.
Yasmeen Lari. Architektur für die Zukunft.
Architekturzentrum Wien. Bis 16. August 2023. Katalog (englisch) 39 Euro.
Szenenwechsel, ein Ausschnitt der Dokumentarfilmreihe „Rebel Architects“ von 2014: Yasmeen Lari steht etwas befremdet im opulenten Atrium des Hauptsitzes von Pakistan State Oil in Karatschi, hinter ihr sausen goldglänzende Fahrstühle geräuschlos rauf und runter. Auch dieser Bau, ein Koloss aus verspiegeltem Glas, Granit und Stahlbeton, ist ihr Werk. Sie hat ihn in den 1980er Jahren für den Ölkonzern entworfen. Geld spielte bei Dimension und Materialwahl keine Rolle, denn damals plante sie für die „1 Prozent“, wie sie es heute ausdrückt, die Wohlhabenden und Einflussreichen Pakistans. Die beiden Filmschnipsel illustrieren, welch radikale persönliche „Bauwende“ Yasmeen Lari vollzogen hat.
Die Prinzipien von Degrowth und Materialökologie
Aus der Stararchitektin ist eine ökologisch und sozial engagierte Bauaktivistin geworden. Lari gilt als Vorreiterin einer Architektur, die sich den Prinzipien von Degrowth und Materialökologie verpflichtet hat. Beides sind heute die richtigen Schlagworte, wo sich das Bauen angesichts des Klimawandels dringend selbst wandeln muss. Deswegen wird die über achtzigjährige Yasmeen Lari auch gerade weltweit gefeiert. 2019 erhielt sie in London den prestigereichen Jane Drew Prize, mit dem vor ihr schon Zaha Hadid oder Denise Scott Brown ausgezeichnet wurden. Das Architekturzentrum Wien widmet ihr nun eine große monografische Ausstellung, die erste weltweit. Mit Fotos, Videos und Texten zeichnet die Schau über sechs Jahrzehnte den Weg einer Frau nach, die zunächst konventionelle Architektur betrieb, um sie dann neu zu denken.
Im Jahr 1941 in eine einflussreiche Familie hineingeboren, gehört Lari zur Elite Pakistans, ihr Studium absolvierte sie Anfang der 1960er Jahre in Oxford. Als sie 1964, gerade einmal Mitte zwanzig, in Karatschi ihr Büro Lari Associates gründete, war sie die erste pakistanische Frau im Architekturberuf. Diese Tatsache gepaart mit einem starken familiären Unterstützungssystem habe dazu beigetragen, dass sie schnell hochkarätige Planungsaufträge erhielt und viele Türen offen standen: „Wenn ich mich mit gleichaltrigen Architektinnen in Europa vergleiche, dann hatten sie wahrscheinlich mehr Schwierigkeiten als ich“, sagt Lari in einem ihrer vielen Interviews. Als Lari ihre Berufslaufbahn begann, befand sich das 1947 nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft gegründete Pakistan mitten im Aufbau.
Sie wurde trainiert, ein aufgeblasenes Ego zu haben
Was Architektur und Stadtplanung betraf, orientierte sich der junge Staat, der noch keine Ausbildungsinstitute besaß, an westlich geprägten Vorstellungen von Modernität und Fortschritt. Modernistische Betonbauten wie der in den 1950ern errichtete Kapitol-Komplex von Le Corbusier im indischen Chandigarh setzten den Maßstab – auch für Lari. „Le Corbusier war unser Gott“, erzählt sie über ihre Studienzeit in Europa. „In England wurden wir darauf trainiert, ein aufgeblasenes Ego zu haben und möglichst spektakuläre Bauten zu entwerfen.“
Das tat Yasmeen Lari mehrere Jahrzehnte lang. In Split-Leveln, mit abgestuften Terrassen baute auch sie in ihrer Heimat gemäß dem damaligen State of the Art. Ihr eigenes Haus, 1973 in Karatschi aus Beton und Ziegeln errichtet, gilt als wichtiges Beispiel des Brutalismus in Pakistan. Die unkonventionelle Stadtvilla mit dramatischer Geometrie in Form eines Polygons, aus dem bis zu 6 Meter lange Balkone ragen, schaffte es gar unter die 750 Architekturikonen des „Phaidon Atlas of 20th Century World Architecture“.
Doch diese Architektur der großen Gesten trägt gegenwärtig massiv zur Klimakrise bei, Yasmeen Lari zufolge ist sie nicht mehr zeitgemäß: „Was wir heute brauchen, sind keine imposanten Megastrukturen, sondern praktische Lösungen für Krisenzeiten“, sagt sie. Lösungen sieht sie in traditionellen Konstruktionstechniken und lokal verfügbaren Materialien. Architektur sollte an gegenwärtige klimatische Herausforderungen angepasst sein und von denjenigen mitentwickelt werden, die das Gebäude auch nutzen.
In Bambus und Lehm gefasster Ökofeminismus
Schon 1975, als Lari den ersten sozialen Wohnungsbau, „Angoori Bagh“ in Lahore, plante, setzte sie mit ihrem Entwurf an einer Stelle an, die heute im Architekturdiskurs unter den Begriff „Partizipation“ fallen könnte: Sie hörte den zukünftigen Bewohner:innen zu. Anstatt eines herkömmlichen Geschosswohnungsbaus entwarf sie einen verschachtelten Komplex mit offenen Terrassen für jede Wohneinheit – damit die aus überschwemmungsgefährdeten Regionen hierher umgesiedelten Familien Platz für ihre Hühner hatten.
In der Wiener Ausstellung lässt sich sehen, wie Lari ihre Idee der Partizipation bis heute in ihrer Architektur ausarbeitete. Ihr Green Women’s Centre in Darya Khan Sheikh zum Beispiel ist Ausdruck eines in Bambus und Lehm gefassten Ökofeminismus. Die Rotunde auf Stelzen, um die sich eine weite Veranda aus vorgefertigten Bambusmodulen windet, dient als geschützter Treffpunkt für Frauen und bietet Schutz bei starker Überflutung.
Die Halle auf Laris Schulungsgelände Zero Carbon Cultural Centre in Makli wiederum besteht lediglich aus einem leichten Bambusflechtwerk. Die Architektin entwickelte auch einen rauchfreien Herd aus Lehm und Kalk zum Selbstbauen. Für den auf einem Podest angelegten Ofen unter freiem Himmel, auf dem Frauen ohne Gefahr einer Verbrennung oder Rauchvergiftung kochen können, wurde sie 2018 mit dem UN Habitat Award ausgezeichnet. 70.000 dieser sogenannten Chulahs sollen mittlerweile in Pakistan stehen. Auch auf den Bildern in Wien taucht der von seinen Besitzer:innen häufig bunt dekorierte Herd immer wieder auf.
So bauen, dass wir überleben können
Um die Art und Weise des Bauens zu ändern, müssen sich die Strukturen dahinter ändern, der Zugang zu Wissen, zu Materialien. Das versucht Yasmeen Lari in ihren öffentlichen Auftritten zu vermitteln. Sie betreibt ihren Youtube-Kanal, lehrt an der Universität Cambridge, hat Workshops und Vorlesungen in Mailand und Wien gehalten: „Als Architekturschaffende stehen wir heute in der Verantwortung, die Zukunft so zu bauen, dass wir überleben können – wenn wir das nicht tun, welche Relevanz hat unser Beruf dann noch?“, sagt sie.
Sicherlich sieht eine Bauwende hierzulande anders aus als in Pakistan. Sie würde wohl vor allem bedeuten, wesentlich weniger neu zu bauen als vielmehr umzubauen. Nichts mehr abzureißen, sondern den vorhandenen Bestand zukunftsfähig zu sanieren. Flächen zu begrünen, anstatt sie zu versiegeln. Aber wir können trotzdem von Yasmeen Lari lernen. Die Experimentierfreude, die Konsequenz, der Austausch mit denjenigen, die die Architektur nutzen, das sind Dinge, die wir uns von ihr abschauen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung