Goldener Löwe für nigerianischen Künstler: Mit dem Freisinn der Selbstaneignung

Wer ist Demas Nwoko? Der 87-jährige Künstler und Kulturvermittler wurde auf der Architekturbiennale in Venedig für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Ein schlichtes Haus in Afrika, mit einem Auto davor in den 70ern

Demas Nwokos Privathaus in Idumuje Ugboko, von ihm selbst ab 1967 gebaut Foto: La Biennale

In einem blauweißen Kaftan sitzt Demas Nwoko vor einem von ihm selbst entworfenen Zeichentisch in seinem Haus und Studio in Idumuje-Ugboko, Nigeria. So zeigt sich der 87-Jährige auf einem offiziellen Foto. Jetzt, wo er auf der Architekturbiennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. „Afrika ist das Laboratorium der Zukunft“, sagt die diesjährige Biennale-Kuratorin Lesley Lokko.

Sie lenkt mit dieser weltgrößten Architekturschau den Blick auf einen Kontinent, auf dem sich in den nächsten Dekaden architektonisch viel entscheiden wird. UN-Rechnungen zufolge wird sich die Bevölkerung in Subsahara-Afrika bis 2050 verdoppeln, gleichzeitig schreitet der Klimawandel voran. Wie wird die Architektur und ihre emissionsreiche Bauwirtschaft mit diesen Herausforderungen umgehen? Demas Nwoko liefert einige Antworten. Doch sie befinden sich eher im Kleinen und nicht immer bei Gebäuden, sondern vielmehr in einem kulturellen Bewusstsein für sie.

Den hochbetagten Nigerianer mit einem der wichtigsten internationalen Architekturpreise zu ehren, überrascht. Nwoko hat kaum gebaut, ist selbst wenigen im eigenen Land bekannt. Googelt man seinen Namen, so stößt man auf gerade mal fünf Gebäude in Nigeria, die er zwischen 1967 und heute realisierte. Er hat keine abgeschlossene Architekturausbildung, beschreibt sich selbst als Künstler-Designer.

Nwoko spielte eine Rolle in den kulturellen Debatten zur Zeit der Unabhängigkeitsbewegung. Von 1957 bis 1961 studierte er bildende Kunst an der Universität von Zaria und gründete mit mehreren Kom­mi­li­to­n:in­nen die Zaria Art Society. Die Keimzelle der späteren „Zaria-Rebellen“ arbeitete schon vor 1960, als Nigeria sich von Großbritannien loslöste, über verschiedenste kreative Ausdrucksformen hinweg an einer Verbindung von Moderne und afrikanischen Ästhetiken.

Postkolonialer Aufbruch

Nwoko gehörte gemeinsam mit dem Schriftsteller und späteren Literaturnobelpreisträger Chinua Achebe, dem Komponisten Akin Euba oder dem bildenden Künstler Uche Okeke einem intellektuellen Zirkel an, der nach Formen und Möglichkeiten einer eigenständigen Kultur im postkolonialen Afrika suchte.

Und Nwoko war und ist ein panafrikanischer Kulturvermittler, auch über die blutigen Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen hinweg, die das unabhängige Nigeria heimsuchten – der Biafrakrieg um das ressourcenreiche Nigerdelta von 1967 bis 1970 kostete Hunderttausende Menschen das Leben.

1967 gründete er in Ibadan das New Culture Studio, das noch immer als Ausbildungsstätte für Theater und Design fungiert. An der Fertigstellung seines Gebäudes – ein Betonskelett mit Bruchsteinmauerwerk, Lehm und Ziegeln, dessen schattige Loggien einen offenen Innenhof umringen – arbeitete er auch wegen der bescheidenen finanziellen Mittel der Schule mehrere Dekaden lang.

Die von ihm gegründete Zeitschrift New Culture. A Review of Contemporary African Arts ist ein Manifest für den kulturellen Austausch zwischen den afrikanischen Ländern zu einer Zeit, in der dessen Staatsführungen zunehmend repressiv und autokratisch wurden. Und sie war fortschrittlich, beinhaltete Bildungsseiten für Kinder oder publizierte weibliche Künstlerinnen wie die Nigerianerin Theresa Luck-Akinwale, deren Name sonst kaum Erwähnung findet. Trotz einer kurzen Dauer von 1978 bis 1979 und nur elf Ausgaben gilt die New Culture bis heute als einflussreich.

Lokale Königsdynastie

Der 1935 noch in der kolonialen Abhängigkeit von Großbritannien geborene Nwoko entstammt einer jener lokalen Königsfamilien, wie es sie in den verschiedenen Provinzen Nigerias noch immer gibt. Er gehört zu einer Generation, in der inmitten einer erstarkenden Unabhängigkeitsbewegung auf dem Kontinent afrikanischstämmige Ar­chi­tek­t:in­nen eine Ausnahme waren.

Demas Nwoko, 87-jährige Designer, Künstler und Kulturvermittler aus Nigeria

Der Goldene Löwe für den 87-jährigen Designer, Künstler und Kulturvermittler Demas Nwoko aus Nigeria Foto: New Culture Studio

Wer auf eine Architektur der afrikanischen Moderne blickt, findet dort oft europäisch klingende Namen. Als sich 32 Staaten des Kontinents in den Jahren 1957 bis 1966 unabhängig erklärten, waren nicht selten schon aus Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten, Ar­chi­tek­t:in­nen der früheren Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien am Aufbau der jungen Staaten beteiligt.

Und da sich im Zuge des Kalten Krieges sowohl die Westmächte als auch die Sowjetunion ihren Einfluss in diesen Ländern zu sichern versuchten, kooperierte das junge Nigeria für einige seiner großen Bauvorhaben mit damals politisch neutralen Staaten. So kam es etwa in den späten 1960er Jahren für die gerade neu gegründete University of Ife zu einer Zusammenarbeit mit Israel.

Der einstige Bauhausschüler und spätere „Vater der israelischen Architektur“, Arieh Sharon, entwarf den Campus dieses Symbolprojekts in einer großgestischen Moderne, ihre schattenspendenden Betonbauten mit kreisrunden Ausschnitten und spitz ausschlagenden Rasterelementen wirken wie abstrakte Skulpturen.

Ideen der Blockfreien

Auch das blockfreie Jugoslawien engagierte sich in den 1970er Jahren in Nwokos Heimatland, wie man auf der Biennale in dem diesjährigen Beitrag aus Serbien sieht. In der Megastadt Lagos legte die Belgrader Baufirma Energoprojekt 350 Hektar Land trocken, um sie dann für ein riesiges Messezentrum mit einer beeindruckenden Fülle an Betonwaben zu füllen. Heute sind sie ziemlich verkümmert.

In dieser Gemengelage fing auch Nwoko an zu bauen. Es sind keine großen, öffentlichen Aufträge, der Autodidakt entwirft für den kleinen Maßstab. Und das löst seine Architektur von der Technik der Masse und den Normen der Industrie. Sein erster Auftrag ist 1970 eine Dominikanerkapelle.

Er hat ihn sich selbst verschafft, sollte für die Gemeinde ursprünglich nur ein Altarwerk anfertigen und bot gleich den Entwurf für die ganze Kapelle an. Ihr zipfelmützenartiges Betondach erinnert auch an die alten Lehmmoscheen im malischen Timbuktu, ist eine Verbindung afrikanischer Kunstformen über die damals von Konflikten gezeichneten religiösen Gruppen hinweg. Die Wände bestehen nur aus einzelnen Trägern, dazwischen geschwungene Ornamente aus Ton.

Sein eigenes Wohnhaus ist ein Labor für seine Idee, verschiedene Baukulturen zu verbinden. Es ist ein kleiner, rostroter Quader aus Ziegeln, das quadratische Satteldach hat er südnigerianischen Wohnbauten nachempfunden. Getragen wird es von breiten, kannelierten Säulen, wie man sie auch in Palastbauten des Oba von Benin findet.

Reduktion und Rustikales

In seiner Mischung aus Reduktion und rustikalen Elementen mag man da an die frühen Wohnhäuser des US-amerikanischen Modernepioniers Frank Lloyd Wright denken, nur besitzt alles Freisinn und Hutzeligkeit des Autodidakten.

Ein Turm aus Beton

Das Dach von Nwokos Dominikanerkapelle könnte vieles sein: ein Minarett, ein Zipfel, ein Kirchturm Foto: La Biennale

Nwoko experimentierte auch mit Lüftungssystemen. Ein mit Glasfaser ausgekleideter Trichter im Atrium trägt mit Regenwasser zur Kühlung bei. Die mit Zement angereicherten Lateritblöcke erzeugen eine isolierende Wirkung, für die Durchlüftung sorgen Öffnungen auf Boden- oder Kopfhöhe, wie er sie in den Bauten der Volksgruppe der Hausa beobachtete.

Nwoko orientiert sich in den Entwürfen an einer „vernakularen Architektur“, an örtlichen Bautraditionen, die klimatisierte Räume kreierten, lange bevor die Industrie energiefressende Klimaanlagen und Isolierungen aus Kunststoff einführte. Mit der vernakularen Architektur beschäftigten sich auch europäische Ar­chi­tek­t:in­nen der Moderne. Ernst May in Kenia etwa oder Margarete Schütte-Lihotzky in der Türkei während ihres jeweiligen Exils zur Zeit des Nationalsozialismus.

Drew und Fry

Auch das Ar­chi­tek­t:in­nen­paar Jane Drew und Maxwell Fry, das im Auftrag der britischen Regierung noch Entwürfe in Ghana entwickelte. Die Projekte von Drew und Fry fallen unter den schwierigen Begriff eines „Tropical Modernism“. Wenn auch kolonial belastet, können ihre Überlegungen, moderne Formen an klimatische Bedingungen anzupassen, heute ebenfalls Lösungen anbieten.

In seinen wenigen Interviews, die er seit Bekanntgabe des Goldenen Löwen gab, beklagt Nwoko, wie stark Nigerias Wirtschaft noch heute von Europa abhängig sei. Dabei erwähnt er nicht, dass auch China ins ressourcenreiche Nigeria expandiert, besonders in der Bauwirtschaft. Nwokos Architektur jedoch ist recht losgelöst von einer globalen Industrie. Sie setzt lokal an.

Und sie hat viele Eigenschaften, nach denen heute in der Architektur gesucht wird: ist energiesparsam, ressourcenschonend, nachhaltig. Dabei reduziert sie sich nicht ästhetisch aufs Lokale, sondern bleibt künstlerisch offen. Gut, dass Lesley Lokko ihn aus der Unbekanntheit holte.

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