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Stadtentwicklung in BremerhavenDas Ziel: Die Gentrifizierung

Vor Jahren sagte Bremerhaven seinen vielen Schrottimmobilien den Kampf an. Jetzt wird Bilanz gezogen und die Stadt zeigt sich zufrieden. Ein Rundgang.

Unwahrscheinlich, dass hierfür Mieter gefunden werden: Schrottimmobilie in Bremerhaven. Foto: Jan Zier

BREMERHAVEN taz | Melf Grantz nennt es eine „Erfolgsgeschichte“. Logisch: Der Sozialdemokrat ist der Oberbürgermeister hier, er muss das sagen. 2011 noch hat Die Zeit sein Bremerhaven als die Stadt mit den meisten Schrottimmobilien Westdeutschlands porträtiert, damals wurde gerade das zweite Stadterneuerungsprogramm gestartet. Nun soll es ein drittes geben. Das letzte.

Eine der „Ikonen der Schrottimmobilien“, wie sie der oberste Stadtplaner Norbert Friedrich nennt, steht noch. Luther-, Ecke Goethestraße, mitten im Gründerzeitviertel Lehe. Ein imposantes Haus, ruhige, zentrale Lage, mit guter Infrastruktur, eigentlich. Baujahr 1910, 20 Zimmer, fast 1.000 Quadratmeter Wohnfläche, provisionsfrei zu haben. Für 119.000 Euro. Gemüsehändler Dietzel, der den Kindern früher Äpfel und Orangen schenkte, ist schon lange ausgezogen. Anderswo hätten die Gentrifizierer zugeschlagen, das Anwesen luxussaniert. Aber das hier ist Bremerhaven.

Bauarbeiter waren lange nicht mehr da

Seit 2009 hat die Stadt das große Eckhaus schon im Blick. Ob man’s noch erhalten kann? „Wir bezweifeln das ganz massiv“, sagt Friedrich. Vor der Eingangsfront steht ein Gerüst, aber Bauarbeiter waren schon lange nicht mehr da – heute sperrt ein Zaun das Grundstück weitläufig ab. Aber solange der Eigentümer seine Gebühren an die Stadt noch ordentlich zahlt, kann sie das Haus nicht zwangsversteigern lassen.

Es gehört einer niederländischen Gruppe, die noch mehr Schrottimmobilien in der Stadt besitzt und sich in Verhandlungen als „sehr hartnäckig“ erweist, wie Friedrich sagt. Für Fälle wie diesen hat Bremerhaven ein sogenanntes „Vorverkaufsortsgesetz“. Sein Ziel: Gegen Hausbesitzer vorzugehen, die ihre Immobilien verwahrlosen lassen. Das klingt leichter, als es ist, für eine Kommune, schließlich ist das Eigentum schon im Grundgesetz geschützt.

Und „eine Enteignung“, so heißt es da, „ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“. Doch im März soll das Domizil in der Lutherstraße 24 zwangsversteigert werden. Es gibt sogar einen Interessenten, einen „seriösen“, wie Friedrich betont. „Wir sind eine wachsende Stadt“, sagt Grantz. Er träumt davon, dass Bremerhaven 2027, wenn es 200 Jahre alt wird, wieder 125.000 Einwohner zählt.

Konkurrenzlos bei Zwangsversteigerungen

Als sie 2009 das erste Mal ein Kataster mit Schrottimmobilien zusammenstellten, standen 51 Häuser drauf. 5.000 leere Wohnungen wurden stadtweit gezählt. In einer ersten Runde kümmerten sie sich dann um 16 Häuser. „Damals ist uns vieles zugefallen“, sagt Friedrich, und die Stadt war bei Zwangsversteigerungen oft konkurrenzlos. Privatinvestoren wollten die Immobilien oft noch nicht mal besichtigen, geschweige denn dafür Geld ausgeben.

Das hat sich mittlerweile geändert, sagt Grantz, und heute wird die Stadt manchmal sogar mehrmals überboten. 2011 kam das zweite „Vorverkaufsortsgesetz“: Es räumt Bremerhaven für 18 Häuser in der Stadt ein Vorkaufsrecht ein. „Aber wir müssen uns das hart erarbeiten“, sagt Friedrich, schon den Eigentümer zu ermitteln sei oft schwierig. Inzwischen gelten aber zehn Fälle als „erledigt“, die anderen acht als „weitgehend vorgeklärt“.

In einigen Fällen sind Studentenwohnungen entstanden oder Wohnprojekte eingezogen, Friedrich gibt „normale“ Mietverhältnisse als Ziel aus. „Wir wünschen uns etwas Gentrifizierung“, sagt der Grüne, und dass er nicht mit Leuten zusammenarbeite, die nur „Hartz IV-Wohnungen“ entwickeln.

Schrittweiser Ankauf

Auch der Fall des kleinen Häuschens in der Krummen Straße gilt als so gut wie erledigt. Es gehört einer zehnköpfigen Erbengemeinschaft, die bis in die USA verstreut ist. „Es war nicht möglich, sie auf normalen Wege zu einem Verkauf zu bewegen“, sagt Friedrich. Nun will die Stadt das Häuschen versteigern lassen, die Erbengemeinschaft „auflösen“.

Auch in der Schleusenstraße 27, wo gerade der Kultclub Yesterday ausgezogen ist, deutet sich eine Lösung an: Ein privater Investor kauft das Haus derzeit Schritt für Schritt auf, in Absprache mit der Stadt, um es dann zu sanieren. Zwei Drittel des Hauses in der Alten Bürger gehören ihm nun, ein Teil der Noch-Eigentümer stammt aus Zypern.

Auf der anderen Seite, in der Gartenstraße, haben sie den verbarrikadierten Eingang abgesperrt, bevor was herunterfällt –ein Kaufangebot liegt vor, die Verhandlungen laufen. Auch das Haus neben dem Yesterday steht auf der Liste. Es ist bereits halb saniert, Fenster und Fassade sind erneuert, aber die Tür noch verriegelt. Der Baufirma ist das Geld ausgegangen, vermutet man bei der Stadt, aber man ist schon froh, dass es nicht mehr verwahrlost aussieht.

Durch Taubenkot zusammengehalten

So wie das Gründerzeit-Haus am Chico’s Place in der Rickmersstraße: Viele Jahre war hier ein legendärer Jazzclub, in dem auch Jazzgrößen wie Dizzy Gillespie spielten. „Heute ist es definitiv nicht mehr zu retten“, sagt Friedrich: „Es wird nur durch Taubenkot zusammengehalten.“

Im April soll’s zwangsversteigert werden. Aufgerufen sind 75.000 Euro, ein Abriss kostet mindestens nochmal so viel. „Hier ist noch eine politische Klärung erforderlich“, schreibt das Stadtplanungsamt, aber Oberbürgermeister Grantz winkt entspannt ab. Er ist ja auch Aufsichtsratschef der Städtischen Wohnungsgesellschaft. Auch das ist Bremerhaven.

Wenn im Sommer das neue Vorverkaufsortsgesetz kommt, werden darin nochmal gut 20 Immobilien stehen. Danach, so Melf Grantz, sollen „die Quartiere beginnen, sich selbst zu revitalisieren“. Alles Weitere, heißt das, soll dann also wieder der Markt regeln.

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1 Kommentar

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Die Deutschen sind offenbar nicht nur das Volk der ersten Strophe, sondern auch das des ersten Absatzes. Dass ihr Eigentum vom Grundgesetz geschützt ist, wissen sie alle. Dass es laut Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes aber auch "verpflichtet", wollen die meisten Leute nicht wahrhaben. Dabei soll das Eigentum doch nach dem Willen des Gesetzgebers "zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“, und das kann es ja wohl schlecht tun, wenn es zu einem Haufen Schutt zerfällt.

     

    Von einem "Vorverkaufsortsgesetz" hab ich zwar nie etwas gehört, aber das Baugesetzbuch kennt auch eine ganze Reihe von Vorschriften, nach denen Kommunen handeln können, wenn es die Eigentümer nicht tun. Sie reichen von der Anregung und Beratung (§ 137 BauGB) über das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot (§ 177 BauGB) bis zur Enteignung (§ 85 ff BauGB). Dieses letzte Mittel allerdings setzt voraus, dass sich die lokale Politik und die lokalen Planer einig sind in dem Wunsch, die Stadt zu erhalten. Man braucht nämlich als Grundlage dafür eine Erhaltungssatzung oder eine Stadtumbaumaßnahme und die braucht ihrerseits eine Mehrheit aller Volksvertreter. Wenn denen Stadt egal ist (zumindest mehr als der Privatbesitz), dann hilft auch kein Gesetz.