Stadt versus Land: Was Corona verändert hat
Nur Stadt ist cool und kreativ? Corona hat an dieser alten Gewissheit gerüttelt. Immer mehr Menschen zieht es nicht erst seit der Pandemie aufs Land.
Corona ist angeblich vorbei – doch es hat manches dauerhaft verändert. Wenn Sie wie ich gleich nach dem Abi aus der Provinz in die Stadt geflohen sind, glauben Sie vielleicht auch lange: Wer sich frei entwickeln will, muss nach Hamburg, Berlin, dorthin wo täglich neue Start-ups gegründet und Lösungen für die Probleme von morgen gesucht werden. Städte stehen für ein kreatives soziales Umfeld.
Doch plötzlich breitete sich Sehnsucht aus, nach Bäumen, sattem Grün. Monate im Lockdown, umgeben von Beton, haben diese Sehnsucht noch verstärkt. Nachdem im vergangenen Jahr das Bundesverfassungsgericht auch noch die Berliner Mietpreisbremse gekippt hat, werden die Kosten für ein Leben in der Stadt langfristig weiter steigen und der Kampf um Platz wird sich zuspitzen – höchste Zeit, die eigenen Gewissheiten zu hinterfragen!
Seit einigen Jahren gelten strukturschwache Gegenden wie Nordhessen als entschleunigend, ein Architekt, der aus Berlin in die Braunkohleregion Lausitz zog, schwärmt von einer Gründerstimmung in Brandenburg wie im Berlin der 90er Jahre.
Das spiegelt sich auch in der Wanderungsbilanz deutscher Städte: Laut einer Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung verlieren Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern immer mehr Menschen wegen Umzugs – insbesondere im Westen. Ohne den Zuzug aus dem Ausland würden sogar Berlins Einwohnerzahlen längst sinken. Verlor die Hauptstadt 2010 noch überschaubare 2.000 Berlinerinnen und Berliner an Brandenburg, zogen 2019 schon fast 17.000 mehr Menschen ins Umland als umgekehrt, vor allem Familien.
Für viele ist die neue Landlust bislang aber immer noch ein Traum: 2019 lebte knapp jeder dritte Deutsche in einer Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern und gerade einmal 14 Prozent in kleineren Gemeinden mit einer Bevölkerung von weniger als 5.000 Menschen. Umfragen zufolge liebäugelt aber ein größer werdender Anteil mit einem Umzug aufs Land. Noch kurz vor Ausbruch der Coronapandemie wollten laut einer Erhebung von Kantar 34 Prozent der Deutschen gern auf dem Dorf leben und 27 Prozent in einer Kleinstadt im ländlichen Raum. 26 Prozent bevorzugten demnach den Stadtrand und nur 13 Prozent ein Leben in der Stadt.
Städte sind unattraktiv geworden
Corona wirkte wie ein Katalysator: Einer Umfrage im Auftrag der Zeit aus dem Sommer 2020 zufolge wünschte sich ein Drittel der befragten Stadtbewohner einen Umzug aufs Land oder in eine Kleinstadt, bei knapp einem Zehntel war dieser Wunsch wegen Corona entstanden oder hatte sich verstärkt. Städte sind so unattraktiv geworden, dass das Land als Alternative wieder infrage kommt. Als Alternative, die jeder mit seinen eigenen Ideen bespielen kann.
Denn der Hype um Berlin, Köln oder München hat die Städte verändert: Die Straßen sind voll, die Parks zertrampelt und die Mietpreise für Wohnungen und Büros in den letzten Jahren enorm gestiegen. Da Platz begehrt, aber begrenzt ist, wird er immer teurer. Freiräume und Orte für kreativen Austausch verschwinden.
Wer einen Platz in der Kita will, muss sich in manchen Städten schon vor der Geburt des Kindes bewerben und oft entscheidet ein Los darüber, ob der Nachwuchs auf die gewünschte Schule kommt. Mit den in der Pandemie geschlossenen Kinos, Restaurants, Konzerthäusern und Museen sind jetzt auch die letzten Vorteile von Städten dahin.
Auch die Arbeitswelt hat sich durch Corona rasant geändert. Menschen arbeiten – wo möglich – remote, insbesondere in den Großstädten, in denen sich die wissensintensiven, computerbasierten Tätigkeiten konzentrieren, die theoretisch auch auf die Kanaren oder in den Wald verlegt werden können, solange es dort eine Internetverbindung gibt. Wer nur ein- oder zweimal pro Woche ins Büro muss oder gar komplett von zu Hause aus arbeitet, der kann nicht nur seinen Urlaub verlängern und am Strand arbeiten. Der kann auch genauso gut in der brandenburgischen Prignitz leben wie in Berlin.
Aber nicht nur der Blick aufs Land hat sich geändert, sondern sogar einige Ortschaften selbst: Während die Städte immer voller werden, Kieztheater dichtmachen und Coworking Spaces so elitär geworden sind, dass sich die Miete fast nur Firmen leisten können, entstehen plötzlich ähnliche Angebote auf dem Land. Sie sind aber keine Kopien der Modelle aus der Stadt. Stattdessen passen sie sich an die Menschen vor Ort und ihre Bedürfnisse an.
Nicht der Profit steht im Vordergrund, sondern die Idee, Pendlerinnen und Pendlern eine Alternative zu bieten, den Ort zu beleben und die Lebensqualität zu steigern. Wo auch tagsüber Menschen sind, lohnt es sich, ein Café oder eine Gaststätte zu betreiben. Schlafdörfer werden so zu Tagdörfern.
Ideenwerkstätten für Kinder, Netzwerke für Unternehmer
Das Leben auf dem Dorf erinnert mancherorts zunehmend an das in einem Großstadtkiez. Im ehemaligen Bahnhof von Fürstenberg an der Havel in Brandenburg haben Daniel und Anke Domscheit-Berg eine Hightech-Werkstatt für Kinder eröffnet. In Niederbayern organisiert die Initiative Silicon Vilstal Ideenwerkstätten für Kinder und Jugendliche, ein Coaching- und Coworking-Programm zwischen Gründerinnen, Gründern und regionalen Akteuren und Workshops und Ausstellungen in Pop-Up-Stores. Neuartige Unternehmernetzwerke wie die Homeberger im strukturschwachen Nordhessen bringen Kreative und Firmen zusammen, die nachhaltig wirtschaften, und werben für die Vorteile von ortsunabhängigem Arbeiten auf dem Land.
Steht Deutschland also am Anfang einer neuen Landbewegung? Eine Trendwende ist wahrscheinlicher geworden, aber der ländliche Raum wird flächendeckend nur mit schnellem Internet ausgestattet attraktiver werden. Nur mit leistungsfähigem Anschluss haben viele Dörfer als Alternative zu einem Leben in der Stadt eine Chance.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen