Geht diesen Sommer nicht: Badefreuden in der Spree. Das Bild entstand um 1926, damals ging das Kraftwerk Klingenberg ans Netz. Es liegt am Nordufer der Spree kurz vor der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg Foto: bpk

Stadt im Fluss

BADEN Vor 100 Jahren wurden in Berlin die ersten Flussbäder gegründet. Doch mit dem Anschluss Berlins an die Kanalisation wurde die Spree zur Kloake. Nun soll das Rad der Geschichte vor- und zurückgedreht werden

von Uwe Rada

Was macht eigentlich eine Stadt zu einer Stadt? Viele Menschen auf engem Raum, Mietshäuser, Geschäftsstraßen, Parks und ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr gehören sicher dazu. Aber muss man in einer Stadt auch baden und schwimmen können? Mitten im Fluss, der ihr Zentrum durchströmt? Eine gute Frage in diesem Sommer mit seinen tropischen Temperaturen – und nach dem mit 38 Grad vielleicht heißesten Freitag des Jahres.

Die Frage berührt nicht zuletzt die Rolle von Stadtflüssen wie der Spree, die sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant gewandelt haben. Im Mittelalter waren die Flüsse die Voraussetzung für eine erfolgreiche Stadtgründung. Ans Schwimmen im Fluss dachte damals keiner. Wichtig war, dass die Schiffe sicher anlegen konnten und die Stadt an Zollstationen wie dem Oberbaum (von dem der Name Oberbaumbrücke stammt), ihre Einnahmen bekam.

Die romantische Phase, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwa in Dresden Canaletto zu seinen Stadtveduten hinriss, war der Spree und Berlin nicht gegönnt, wohl aber die ihr folgende Etappe der Indus­trialisierung.

Fluss den Rücken gekehrt

Mit ihr begann auch die Industrialisierung der Flüsse. Neue Häfen entstanden, Städte und Stadtbewohner wandten sich von den Flussufern ab. Auch die Spree wurde, lange vor der Teilung der Stadt 1945, zum Fluss, dem man besser den Rücken kehrte.

Es gab aber immer eine Gegenbewegung. Sozialreformer, Bewegungsfanatiker, Sportvereine haben schon im 19. Jahrhundert entdeckt, dass die Flüsse mehr sind als Transportwege. Das war auch die Zeit, in der die ersten Flussbäder entstanden. Den Anfang machte das „Welpersche Badeschiff“ 1803 an der Langen Brücke, es folgten 1811 und 1825 weitere Bade­anstalten. Während andern­orts also die Maler die romantischen Kulissen der Städte und ihrer Flussufer entdeckten, entdeckten die Berliner das Baden in der Spree.

Das brachte auch die Politik auf den Plan. Zwar war 1830 das Vorhaben, eine erste öffentliche Flussbadeanstalt zu gründen, am Widerspruch der Stadtverordnetenversammlung gescheitert, 20 Jahre später aber entstand an der Spree ein erstes öffentliches Badeschiff, das vor allem der körperlichen Hygiene diente.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden dann zahlreiche Flussbäder wie an der Fennbrücke oder an der Schlossfreiheit, die aber nur Männern vorbehalten waren. „Die ersten beiden Frauen-Badeanstalten“, erinnert Aro Kuhrt in seinem Blog Berlinstreet, „entstanden ab 1863 an der Waisen- und der Schillingbrücke.“ Weitere Bäder, nach Geschlechtern getrennt, kamen bald hinzu.

In unmittelbarer Nähe zu dem Ort, an dem der Verein Flussbad Berlin die Spree wieder zu einem Ort des Vergnügens machen will, wurde 1897 die Flussbadeanstalt im Werderschen Mühlgraben errichtet. 1905 gab es bereits 15 Flussbadestellen, unter anderem die an der Rummelsburger Bucht (siehe Foto). Wo einst Tausende ins Wasser stiegen, setzen heute eine Marina und ein Restaurant die Geschichte des Ortes fort. Anfang des 20. Jahrhunderts nutzten fast eine Million Menschen pro Jahr die Flussbäder in der Spree oder das „Studentenbad“ an der Ratiborstraße am Landwehrkanal.

Dass das Baden in der Spree in Vergessenheit geraten ist, verdanken wir der städtischen Hygiene. Vor dem Ersten Weltkrieg wurde die auf 2 Millionen Einwohner gewachsene Metropole an die Kanalisation angeschlossen. Weil aber Abwasser und auch Regenwasser in dieser „Mischwasserkanalisation“ zusammenfließen, kommt es bei Starkregen immer wieder zur Verunreinigung der Spree.

Wieder baden in der Spree

Es wäre eine Revolution, wenn nun mit einem Flussbad im Spreekanal 100 Jahre danach ganz neue Wege gegangen werden könnten.

Die Frage, ob das Baden zu einer Stadt gehört, müssten dann die Berlinerinnen und Berliner sowie die Gäste der Stadt be­antworten. Man liegt wohl nicht daneben, wenn man darauf tippt, dass die Antwort Ja lauten wird.

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