Rückenschwimmen mit dem Stichling

Sauberkeit Solange sich der Inhalt von Berliner Klos noch regelmäßig in die Spree ergießt, kann vom Baden nicht die Rede sein. Die Abhilfe ist teuer und unvollständig

Bis zur Badequalität dürfte noch viel Dreck die Spree herunterfließen

Aal, Aland, Barsch, Blei, Gründling, Güster, Hasel, Hecht, Kaulbarsch, Plötze, Quappe, Rapfen, Rotfeder, Schlammpeitzger, Stichling, Stint, Ukelei, Zander: Ein halbes Alphabet schwimmt laut Berlins Fischereiamt in der Spree. Wer am Ufer steht oder auf einem Ausflugsschiff über den Fluss tuckert, ahnt wenig oder nichts von dieser Vielfalt – dazu ist das Wasser zu trüb.

Zu sehen bekommt man die Fische leider doch ab und zu – wenn sie nach einem starken Regenguss tot an der Oberfläche treiben. Zuletzt passierte das am 12. und 13. Juni. Wer dem Gestank trotzte, konnte außer den Tierkadavern auch allerlei Menschliches im Spreewasser entdecken: Tampons, Kondome und anderen Badezimmermüll, den BerlinerInnen kurz zuvor in der Toilette versenkt hatten. Der Hauptinhalt der Kloschüsseln waberte darunter in dunklen Schlieren, um von den Schiffsschrauben aufgewirbelt zu werden. Die Lust auf ein Bad in diesem Gewässer vertreibt so ein Anblick augenblicklich.

Warum das immer wieder geschieht, ist kein Geheimnis: Schuld ist die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebaute Mischkanalisation der Berliner Innenstadt. Aus Gründen der Ökonomie leitet sie Abwasser und Niederschläge zusammen ab. Bei sehr starken Regengüssen stößt das System aber an seine Grenzen, es läuft kontrolliert über in Fluss und Kanal.

Besonders ungünstig ist dabei die niedrige Fließgeschwindigkeit der Spree: Sie beträgt unter zehn Zentimeter pro Sekunde, was an der flachen Topografie liegt, aber auch an den Tagebaugruben weit weg in der Lausitz, die seit Jahren geflutet werden. Dieses Wasser fehlt dem Fluss, und in besonders trockenen Sommern kann man beobachten, dass die Spree steht oder gar rückwärtsfließt.

„Mischbrühe“ kein Zustand

Dass das kein Zustand ist, hat der Senat längst erkannt. Seit 1998 finanziert er mit den Berliner Wasserbetrieben (BWB) die Schaffung von unterirdischem Stauraum, der möglichst viel von der Mischbrühe zwischenspeichern kann. In einigen Fällen sind dies zisternenartige Bauwerke, das größte mit 17.000 Kubikmetern wird künftig hinter dem BND an der Chausseestraße liegen. Oft werden aber einfach die Mischwasserkanäle geräumiger gemacht oder mit Wehren ausgestattet, die große Wassermengen rückstauen oder umleiten können – alles zentral gesteuert aus dem Hauptpumpwerk Berlin 5 neben dem „Radialsystem“. Rund 300.000 Kubikmetern Extrastauraum sollen entstehen, 230.000 Kubikmeter sind schon fertig.

„Das System wetterfest machen“, nennt BWB-Chef Jörg Simon diese Investition. Der Haken daran: Auch nach dem geplanten Abschluss des Projekts im Jahr 2020 wird es noch zu 10 bis 12 Mischwasser-Überläufen im Jahr kommen. Wollte man diese komplett verhindern, würde das nicht Millionen, sondern Milliarden kosten, sagen Experten in der Senatsumweltverwaltung.

Trotzdem werde bereits über ein „Stauraumprogramm 2.0“ nachgedacht, heißt es. Denkbar sei etwa ein modifiziertes Mischwassersystem, bei dem ein Teil des Regenwassers direkt in die Spree abgeleitet wird, ohne sich mit Abwasser zu vermischen. Ideal ist das zwar auch nicht, weil Niederschläge nach längerer Trockenheit viel Straßenstaub und Müll wegspülen, aber besser als der Istzustand allemal.

Bis die Spree Badequalität hat, dürfte also noch viel Dreck die 44 Kilometer zwischen Dämeritzsee und Havel herunterfließen. Die Speicherlösung „Spree2011“ des Ingenieurs Ralf Steeg, der große Tanks im Fluss platzieren will, wollen Wasserbetriebe und Senat bis auf die Pilot­anlage im Osthafen nicht übernehmen: Erstens sei sie zu teuer. Zweitens, so Umweltstaatssekretär Christian Gaebler, „wollen wir die Spree nicht mit Becken zuballern“. Stege und begehbare Pontons sind eben wenig attraktiv, so glaubt Gaebler.

„Verlängerte Kanalisation“

Aus der Opposition melden sich die Grünen mit einem Grundsatzpapier zur Gewässerpolitik zu Wort. „Die Spree darf nicht mehr als verlängerte Kanalisation dienen“, fordern sie darin unter anderem und verweisen auf die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), die verlangt, dass spätestens 2027 in allen Gewässern ein „guter ökologischer und chemischer Zustand“ erreicht sein soll. Ein utopischer Zeitplan.

Silke Gebel, umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, betont, man müsse „weiter vorne“ beginnen, wenn man einen sauberen Fluss anstrebt: mit Regenwassermanagement, etwa durch Gründächer, die nach Regenfällen eine Pufferfunktion ausüben. Hamburg habe bereits eine „Gründachstrategie“ verabschiedet und fördere solche Anlagen auch finanziell. Und was Hamburg könne, könne Berlin ja wohl auch. Claudius Prößer