Staatssekretärin für Mieterschutz: „Ich bitte um Nachsicht“
Ülker Radziwill ist Staatssekretärin für Mieterschutz. Doch besonders viele Mittel, um Verdrängung zu verhindern, hat Berlin nicht mehr. Was tun?
taz: Frau Radziwill, für die Mieterinnen und Mieter gab es in Berlin zuletzt eine Hiobsbotschaft nach der anderen: Mietendeckel weg, Vorkaufsrecht weg, Rekordumsätze der Wohnungsunternehmen. Was hat Sie bewogen, in dieser Situation das Amt einer Staatssekretärin für Mieterschutz zu übernehmen? Das ist doch eine mission impossible.
Ülker Radziwill: Nein, ist es nicht. Wichtig ist, die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die es gibt, gut zu nutzen, um das Wohnen in unserer Stadt bezahlbar zu machen. Dazu müssen wir alle Instrumente, die anwendbar sind, nutzen. Daran arbeite ich zurzeit.
Was sind denn Ihre Instrumente?
Zum Beispiel das Zweckentfremdungsverbotsgesetz. Darüber haben wir Tausende von Ferienwohnungen zurück in den Wohnungsmarkt gebracht. Ein weiteres wichtiges Instrument ist das Vorkaufsrecht.
Das von den Gerichten kassiert wurde.
Deshalb haben wir mit Hamburg einen erneuten Anlauf im Bundesrat gestartet, um das Vorkaufsrecht wieder anwenden zu können. Auch die Mietpreisbremse ist auf der Bundesebene inzwischen verschärft worden. Wir wollen nicht, dass Vermieter bei einer Wiedervermietung mehr als zehn Prozent aufschlagen.
Ülker Radziwill
ist seit Dezember Staatssekretärin für Mieterschutz und Quartiersentwicklung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung von Andreas Geisel (beide SPD). Radziwill war zuvor 20 Jahre Mitglied des Abgeordnetenhauses und seit 2016 Vorsitzende von dessen Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen
Vorkaufsrecht gekippt, Mietendeckel gekippt, und jetzt kommen Sie mit dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz und der Mietpreisbremse? Können Sie verstehen, dass da die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner am 26. September 2021 für den Enteignungsvolksentscheid gestimmt hat?
Ich kann sehr gut verstehen, dass viele das als eine Gelegenheit genutzt haben, zu sagen, so geht es nicht weiter. Sie wollen, dass es keine steigende Mietpreisspirale gibt. Wir setzen uns gegen steigende Mietpreise ein. Das Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen ist ein sehr gutes Instrument dafür. Dieses breite Bündnis soll sich darauf verständigen, wie der Neubau angekurbelt wird, aber auch, wie verhindert wird, dass die Mieten weiter so steigen wie bisher.
Ein Bündnis, in dem auch die private Wohnungswirtschaft sitzt.
Die ersten Treffen zeigen, dass alle an einem Strang ziehen. Das ist eine ganz wichtige Botschaft. Wir prüfen gemeinsam alle zur Verfügung stehenden Instrumente. Wir befinden uns auf einem guten Weg.
Wäre die Vergesellschaftung auch ein solches Instrument?
Auf einen Plenum am Dienstag will die Initative DW enteignen entscheiden, ob sie drei VertreterInnen in die Kommission des Senats entsendet. Die Kommission soll prüfen, ob eine Vergesellschaftung großer privater Wohnungsbestände rechtens ist.
Bereits am Montag gibt es zum Thema eine Podiumsdiskussion. Mit dabei sind Ülker Radziwill (SPD), Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne), Lena Kreck (Linke), Reiner Wild (Mieterverein) und Tim Wihl (Uni Erfurt). Livestream ab 19 Uhr bei Alex.
Einen ersten Erfolg hat der Senat am Freitag erreicht. Der Bundesrat folgte einem Antrag aus Berlin und Hamburg zur Wiedereinführung des Vorkaufsrechts auf einer rechtssicheren Grundlage. Das muss nun die Bundesregierung prüfen.
Das Bündnis für Neubau und bezahlbare Mieten debattiert derzeit in drei Arbeitsgruppen über die Themen Neubau, Mietenpolitik und Baukultur. Eine Abschlusserklärung ist Ende Juni geplant. (wera)
Vor Berlin hat noch kein anderes Bundesland, keine andere Kommune eine solche Vergesellschaftung umgesetzt. Die Botschaft an uns war also: Prüft die Möglichkeit dafür! Das ist der Auftrag an die Expertenkommission.
Was wäre, wenn die Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen entscheidet, sich nicht an der Kommission zu beteiligen?
Ich hoffe, dass sich die Initiative daran beteiligt. Es sind viele Fragen offen, deshalb ist es sinnvoll, dass eine Expertenkommission sich mit diesen Fragen beschäftigt. Ich glaube fest, dass die Initiative auch ihre Expertinnen und Experten in die Kommission entsendet.
Verstehen Sie die Kritik der Initiative, dass vom Senat Mitglieder der Kommission benannt worden sind, die vorher schon festgestellt haben, die Enteignung sei nicht verfassungsgemäß?
Die Kommission muss die wichtigen Fragen beantworten. Dazu muss sie auch erst einmal die richtigen Fragen stellen. Das werden ansonsten die Gerichte tun, und wir brauchen vorher belastbare Einschätzungen von kompetenten Expertinnen und Experten.
Wird die Kommission ihre Arbeit aufnehmen, auch wenn die Initiative keine Vertreterinnen und Vertreter entsendet?
Dieser Prozess wurde begonnen, und dieser Prozess wird auch fortgeführt werden. Die Initiative ist auch denen gegenüber verantwortlich, die für den Volksentscheid gestimmt haben. Wie die Verwaltungen hatte auch sie hundert Tage Zeit, zu überlegen, wen sie in die Kommission schickt.
Das Bündnis für Neubau und bezahlbare Mieten, auf das Sie viele Hoffnungen setzen, unterscheidet sich vom Hamburger Bündnis dadurch, dass es in Berlin auch um das Thema Mietenpolitik geht. Das ist auch Ihr Thema als Staatssekretärin. Im Bündnis leiten Sie eine Arbeitsgruppe. Worum geht es da?
Die Bündnispartnerinnen und Bündnispartner sind nicht nur die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, sondern auch private Vermieterinnen und Vermieter sowie Verbände, in denen sie organisiert sind, als auch Sozialverbände. Das ist ein guter Dialog, der da stattfindet. Aber wir haben uns darauf geeinigt, dass Inhalte vertraulich behandelt werden. Es geht darum, in einem geschützten Raum offen zu diskutieren.
Ein Thema hat der Bausenator schon verraten. Er fordert ein Mietenmoratorium, dem sich auch die privaten Vermieter anschließen sollen.
Der Senator hat es deshalb genannt, weil das auch ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag ist. Deshalb ist das auch ein Punkt, über den im Bündnis gesprochen wird. Aber auch da bitte ich, die Vertraulichkeit zu respektieren.
Ein wichtiges Instrument, das der Landesregierung geblieben ist, sind die Wohnungen der landeseigenen Gesellschaften. Diese zu kontrollieren ist Aufgabe der Wohnraumversorgung Berlin. Nun gab es da mit dem Rücktritt von Ulrike Hamann, die von der damaligen Senatorin Katrin Lompscher aus den Reihen der Mieterbewegung in den Vorstand geholt wurde, einen Paukenschlag. Haben Sie versucht, sie von diesem Schritt abzubringen?
In meiner Zeit als Staatssekretärin habe ich nur ein Gespräch mit Frau Dr. Hamann führen können. Von ihrem Rücktritt habe ich erst am selben Tag wie die Presse erfahren. Ich habe mich dann bei ihr für die Zusammenarbeit bedankt.
Können Sie ihre Gründe nachvollziehen? Hamann sagt ja, dass mit dem anderen Vorstand, Volker Härtig, den der damalige Finanzsenator Matthias Kollatz berufen hat, die Arbeit auf Jahre blockiert wäre.
Die Wohnraumversorgung Berlins hat einen gesetzlichen Auftrag, und es ist wichtig, dass sie diesem Auftrag gerecht wird. Die Position von Frau Dr. Hamann war eine Führungsposition, und da gehe ich davon aus, dass man professionell mit den Menschen arbeitet, die da sind. Wir haben jetzt die Chance, einen Neuanfang zu organisieren, damit dieser Auftrag umgesetzt werden kann.
Mit oder ohne Volker Härtig, dessen Berufung eine Provokation nicht nur für Initiativen, sondern auch für Linke und Grüne war?
Ich kann nur für die Nachbesetzung von Frau Dr. Hamann reden. Für den anderen Vorstand ist die Senatsverwaltung für Finanzen zuständig.
Werden Sie jemanden berufen, der auch aus dem Bereich der Initiativen kommt?
Ich bitte um Nachsicht. Der Rücktritt von Frau Dr. Hamann ist noch nicht einmal eine Woche her.
Die nächste große Aufgabe, vor der Sie stehen, ist die neue Kooperationsvereinbarung mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Die alte läuft im Sommer aus. Wird es dabei bleiben, dass zwei Drittel der Wohnungen an Wohnungssuchende mit einem Wohnberechtigungsschein gehen?
Die Kooperationsvereinbarung ist uns wirklich sehr wichtig. Ein erstes Gespräch dazu hat vor ein paar Tagen stattgefunden. Daran wird sich ein Prozess anschließen, über den ich im Detail jetzt noch nichts sagen kann.
Ein wichtiger Bestandteil war die Selbstverpflichtung, die Mieten nicht mehr als um zwei Prozent pro Jahr zu erhöhen. Wäre das auch für die neue Vereinbarung aus Ihrer Sicht wünschenswert?
Ich würde das persönlich für ein wichtiges Signal halten.
Es gibt auch Stimmen, die sagen, wenn die Wohnungsbaugesellschaften 6.000 Wohnungen im Jahr bauen sollen, könnte man beim Mieterschutz Abstriche machen.
Ich bin Staatssekretärin für Mieterschutz, und dafür stehe ich auch ein. Dass die Städtischen bauen müssen, ist klar; das wissen sie. Dabei helfen ihnen auch Programme vom Bund. Auch das Land Berlin stockt sein eigenes Förderprogramm auf.
Es bauen ja nicht nur die landeseigenen Gesellschaften, sondern auch Private. In München müssen sie 50 Prozent der Wohnungen als Sozialwohnungen bauen, in Berlin sind es nur 30 Prozent. Muss da nachgebessert werden wie es die Grünen fordern?
Wir sind gerade in einem Prozess, bei dem wir uns die Berliner Förderprogramme anschauen. In der letzten Legislatur sind manche Gelder nicht abgeflossen. Das lag zum Teil auch an den Förderprogrammen. Verbessern wir die, werden auch mehr Sozialwohnungen gebaut.
Gerade wird darüber diskutiert, wie man mit dem eingefrorenen Vermögen russischer Oligarchen umgeht. Dabei stellen wir fest, dass wir nicht einmal wissen, wem welche Gebäude gehören.
Diese Frage ist nicht neu, damit beschäftigen wir uns schon seit Jahren. Im Koalitionsvertrag haben wir uns deshalb auf die Prüfung eines Mietenkatasters verständigt.
Wie weit sind Sie da?
Auch der Bund prüft das. Wir schauen deshalb gerade, was der Bund dazu macht. Prozesse parallel und doppelt zu führen macht keinen Sinn.
Das hört sich so an, als würde Berlin nach dem Scheitern des Mietendeckels nicht noch einmal voranpreschen wollen.
Wir sind bereit, auch neue Wege zu gehen. Aber diese Wege müssen nützlich und rechtlich zulässig sein.
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