Enteignungs-Kommission in Berlin: „So öffentlich wie möglich“
Die Expert*innen-Kommission tagt zum ersten Mal. Als nächstes sind eine Anhörung und eine Webseite geplant.
Es soll sich in den kommenden Monaten mit der Frage beschäftigen, ob ein Enteignungsgesetz verfassungsgemäß wäre, und zusätzlich wohnungswirtschaftliche, gesellschaftsrechtliche und finanzpolitische Belange beleuchten. Nach einem Jahr soll das Gremium dem Senat eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen vorlegen.
Nach der ersten Sitzung kündigte Däubler-Gmelin an, dass die Kommission möglichst transparent arbeiten wolle. Die Mitglieder hätten sich auf den Grundsatz verständigt, „dass wir so öffentlich wie möglich das Verfahren gestalten“. Schließlich sei das Interesse in der Berliner Bevölkerung an der Thematik sehr groß. So sei beim nächsten Treffen am 9. Juni eine öffentliche Anhörung geplant, bei der verschiedenste Gruppen und Beteiligte ihre Standpunkte, Argumente und Fakten vortragen sollen.
Auch eine eigene Internetseite ist nach Angaben der Vorsitzenden vorgesehen. Die Kommission wolle dort Sitzungsprotokolle veröffentlichen, „die Auskunft darüber geben, über was wir diskutieren und zu welchen Ergebnissen wir kommen“. Ob das übereinstimmende Empfehlungen sein werden oder solche von Mehrheiten und Minderheiten, werde man sehen.
Andreas Geisel, Bausenator
Dem Gremium gehören 13 Fachleute an, größtenteils Rechtswissenschaftler. Zehn davon wurden von unterschiedlichen Senatsverwaltungen nominiert, drei von der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.
„Wir haben eine hochkarätige Kommission mit dem Who is Who der deutschen Verfassungsrechtler“, sagte der Senator für Wohnen, Andreas Geisel (SPD). „Ihre Aufgabe wird es sein, die rechtlichen Fragen zu klären und gleichzeitig die Sinnhaftigkeit von Enteignungen für den Wohnungsmarkt zu untersuchen.“
Klar sei: „Wir brauchen eine Entlastung für die Mieterinnen und Mieter in dieser Stadt“, so Geisel. „Ob das über Enteignung von Wohnungsbeständen in Milliardenhöhe wirtschaftlich und mietenpolitisch der richtige Weg ist, wird die unabhängige Expertenkommission auch zu bewerten haben.“
Mit der Einsetzung der Kommission reagiert der rot-grün-rote Senat auf den von der Initiative angestoßenen Volksentscheid, bei dem am 26. September vergangenen Jahres gut 59 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die Enteignung von Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin gestimmt hatten. Die Hoffnung der Initiative ist, dass durch eine solche Vergesellschaftung gegen Entschädigung der Anstieg der Mieten gestoppt oder zumindest gebremst werden kann.
Sie sprach am Freitag von einer „historischen Aufgabe“. „Wir sind zuversichtlich, dass die Kommission entscheidende Weichenstellungen für das Wie der Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen vorlegen wird“, sagte Sprecherin Isabella Rogner. „Auf dieser Grundlage sollen 240.000 Berliner Häuser dem „freien“ Markt entzogen und demokratisch kontrolliert werden. Damit wären fast eine Viertelmillion Haushalte vor Verdrängung geschützt.“
Innerhalb des rot-grün-roten Senats sind die Positionen zur Enteignungsfrage jedoch unterschiedlich. Die SPD mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey lehnt die Idee ab, die Linken sind ohne Wenn und Aber für Wohnungsenteignungen. Die Grünen halten einen solchen Schritt als letztes Mittel ebenfalls für möglich.
Giffey: Nehme Ergebnis des Entscheids ernst
Der Senat nehme das Ergebnis des Volksentscheids sehr ernst, sagte Giffey der Deutschen Presse-Agentur. „Mit der konstituierenden Sitzung der Expertenkommission beginnt die sorgfältige Prüfung des Sachverhalts mit Fragen der Verfassungskonformität und der rechtlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Folgen.“ Auf Basis der Empfehlung des Gremiums werde der Senat dann eine Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen.
Däubler-Gmelin verwies darauf, dass es bereits mehr als ein Dutzend unterschiedlicher Gutachten zur Frage gibt, ob Enteignungen möglich sind oder nicht. Klar sei, dass es im Grundgesetz den Artikel 15 gebe, der aber noch nie angewandt worden sei. Dort heißt es: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“
„Ich habe die Aufgabe deshalb übernommen, weil ich in der Tat der Auffassung bin, dass die Vergesellschaftungsfrage durchaus diskutiert gehört“, ergänzte sie. Schließlich sei die Frage der Mieten, des Bauens und des bezahlbaren Wohnens nicht nur eine Sorge in Berlin, sondern auch in anderen Städten wie München oder Stuttgart.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben