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Sprechen über CoronaWir sind nicht im Krieg

Wir müssen und sollten nicht vom Krieg sprechen, wenn wir die Coronakrise meinen. Denn die Rede vom Kriegszustand hat Nebenwirkungen.

2021 ist auch ein neues Jahr, in dem wir angemessener über die Coronakrise sprechen könnten Foto: Moritz Frankenberg/dpa

E s ist jetzt 2021. Das heißt nicht nur, dass wir seit bald einem Jahr in einer Pandemie leben, sondern auch, dass wir genauso lange um Worte und Bilder ringen, um das zu beschreiben, was mit und wegen Covid passiert. Von Krieg ist dabei oft die Rede. Nicht nur, aber vor allem von Männern. Im März 2020 sagt Donald Trump: „We’re at war with an invisible enemy.“

Im November sagt Joe Biden: “We are at war with a virus, not with each other.“ Dazwischen spricht UN-Generalsekretär António Guterres vom Krieg gegen das Virus, genauso Emmanuel Macron und Xi Jinping. Die Bundesregierung produziert einen Videoclip, in dem ältere Versionen unserer Selbst aus der Zukunft auf die Pandemie blicken und über ihr heldenhaftes Nichtstun berichten, wie sonst Zeitzeug:innen in Dokus über den Zweiten Weltkrieg.

Die Menschheit im Krieg gegen ein tödliches Virus – die Sprache ist drastisch und militarisiert. Wir kämpfen jetzt an Fronten. Wir durchleben Traumata. Wir zählen Opfer. Wir erschaffen Held:innen. Auch die Bundeskanzlerin nennt die Pandemie die größte Herausforderung seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Warum dasselbe nicht längst über die geistigen und strukturellen Hinterlassenschaften von Nazi-Deutschland gesagt wurde, bleibt ein Rätsel.

Brauchen wir das alles, um zu verstehen, wie ernst es ist? Der Kriegszustand ist schließlich der schlimmste, den man erzählen kann. Im Krieg verlieren Menschen alles: Geschichte, Gegenwart, Zukunft, Leben. Wenn also Krieg ist, zieht Dieter vielleicht ausnahmsweise beim Einkaufen ein Stück Stoff über Mund und Nase, obwohl es die größtmögliche Einschränkung seiner „Freiheit“ ist?

Krieg raubt Hoffnung

Ich fürchte das Herbeireden vom Kriegszustand und dessen Nebenwirkungen. Wer oft genug hört, wir seien im Krieg, verhält sich auch so. Krieg legitimiert Egoismus als Überlebenskampf, stärkt Nationalismus. Krieg erlaubt die Einschränkung von Grundrechten, Krieg macht müde und raubt Hoffnung.

Wir müssen nicht von Krieg sprechen, um zu beschreiben, wie dramatisch das alles ist. Die Pandemie mag eine globale Krise, ein Ausnahmezustand sein. Eine Zeit, in der wir neu lernen müssen, Grundbedürfnisse und -rechte von Privilegien zu unterscheiden, und die die Systemfehler stärker denn je offenlegt. Aber nur, weil diese Dinge auch im Krieg passieren, ist der Zustand nicht derselbe.

Die Sprache, mit der wir die Welt beschreiben, ist wichtig. Das gilt auch für ihre drängendsten Probleme. Die Klimakrise ist dafür das beste Beispiel. Wir haben von ihr zu lange als etwas Zukünftigem gesprochen. Jetzt ist es längst später, der Handlungsdruck ist immens, aber wir werden auch sie nicht mit dem Kriegsnarrativ lösen können.

Die Antwort auf Naturkatastrophen liegt nicht im Krieg des Menschen gegen die Natur. Sie liegt in der ehrlichen Verhandlung mit uns selbst, in einer kritischen Neubewertung und radikalen Änderung unserer Lebensweisen. Es ist jetzt 2021. Wir brauchen andere Dinge als Krieg.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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4 Kommentare

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  • Hm...die Menschheit vereint im Krieg gegen das Virus? So ein Krieg ist doch fast schon sympathisch...

  • Ich möchte Lin Hierse sehr herzlich danken für ihren wunderbar einfühlsamen und achtsamen Kommentar.

    Was mir auffällt ist, wie leicht wir die Schwächeren vergessen und beiseite schieben bei all dem Streit um Ressourcen. Menschen in Flüchtlingslagern, Leiharbeiter, Behinderte in Heimen, Kassiererrinnen, Menschen in Gefängnissen - sie erhalten vergleichsweise wenig Schutz. Die kann man doch nicht so einfach opfern.

    Ich habe auch nicht verstanden, wie viele vor einem Jahr die erschütternden Berichte und Bilder aus Wuhan beiseite schieben konnten, die jeder sehen konnte der es wollte. Es ist ein globales Problem, das nur durch Kooperation gelöst werden kann, und die Haltung, wie seien nicht betroffen von dem was in Wuhan, New York, Manaus, London oder Los Angeles passiert, erscheint mir falsch und sogar eine mit Gefahr befrachtete Verzerrung der Realität.

    Ich glaube, wir verstehen uns im Westen so sehr und mit solcher Einseitigkeit als Individuen, dass wir nicht verstehen, dass Dinge wie das dramatische Verschwinden von Insekten an die Grundlagen unserer Existenz rühren. Es geht nicht darum, Individualität aufzugeben - sie ist die eine Seite der Medaille - , sondern um die Einsicht, dass wir ohne diese lebende Welt um uns herum gar nicht leben können.

    Und noch Eines, Deutschland hat im Vergleich zu vielen anderen Ländern unvorstellbare Ressourcen und auch finanzielle Möglichkeiten. Die Impfungen werden zu einem Wettlauf mit der Zeit, und sie hängen an ganz materiellen Dingen. Es ist Zeit, dass Deutschland hilft - es täte auch unserem kollektiven Selbstbewusstsein gut.

  • Es mutet seltsam an, dass ein Artikel über Sprachsensibilität sprachlich so unsensibel ist.

    Zum einen geht es mir anders als der Autorin: Biden und Trump, Xi, Guterres oder Macron sind für mich nicht „wir“.

    Während die Autorin international eindeutige Beispiele für Kriegs- und Kampfrhetorik, muss für Deutschland ein Video mit Zeitzeugendarstellung herhalten.

    In diesem Stil berichten Zeitzeug_innen zwar vom 2. Weltkrieg, aber genauso vom Mauerfall, vom Holocaust und sogar von jahrzehntealter Musik.

    Der Begriff „Herausforderung“ wird in erster Linie mit Wettkampf und Sport assoziiert.

    Wer in Zusammenhang mit eine Krieg von „Herausforderung“ spricht, dem würde ich Euphemismus und Bagatellisierung vorwerfen.

    Es ist auffallend, dass die Kanzlerin genau keine Kriegsrhetorik benutzt.

    Politiker, die einen Staat mit Weltmachtanspruch repräsentieren, müssen wahrscheinlich ihre Bevölkerung ständig in Konfliktbereitschaftslaune halten. Nationalistische oder Kriegsrhetorik gehört da wohl dazu. Frankreich will traditionell zumindest in der zweiten Reihen mitspielen.

    Ja, die Sprache, mit der wir die Welt beschreiben, ist wichtig.

    Deshalb sollten Journalist_innen nicht in einen Topf werfen, was nicht zusammengehört.

    Das Herbeireden und die Nebenwirkungen sind in der Tat fatal.

  • Die Kriegsvergleiche sind grauenhaft und ein Schlag ins Gesicht für alle, die echte Kriege erleben oder erlebt haben.

    In Deutschland habe ich von solcher, zu Recht kritisierter Kriegsrhethorik jedoch noch nicht viel mitbekommen, während sie in den USA gang und gäbe ist (erinnert sei nur an den "war on drugs"). Der Merkel-Vergleich der "größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg" kann meiner Meinung nach noch gerade durchgehen. "Eine der größten Herausforderungen" wäre sicherlich treffender...