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Sprachenpolitik in Russland„Entstelltes Russisch“ fliegt aus dem Lehrplan

Ab 1. September wird an Schulen in Russland das Fach Ukrainisch als Muttersprache abgeschafft. Das betrifft auch die besetzten Gebiete in der Ukraine.

Der russische Präsident Wladimir Putin begutachtet ein neu aufgelegtes Schulbuch Foto: Mikhail Metzel/Sputnik Pool/reuters

Moskau taz | Eigentlich ist das Erlernen der Muttersprache ein fester Bestandteil der russischen Bildungspläne. Nicht nur des Russischen, was freilich ohnehin Pflicht ist an jeder russischen Schule, sondern auch der Sprachen, die von Minderheiten im Land gesprochen werden. Oder nicht gesprochen werden, aber dennoch in bestimmten Regionen als offizielle Sprache und damit als Muttersprache in dieser Region gelten.

So werden beispielsweise Adygeisch in der Republik Adygeja im Nordkaukasus, Karelisch in der Republik Karelien an der finnischen Grenze sowie Burjatisch in Burjatien an der Grenze zur Mongolei unterrichtet. Gelernt wird ab der fünften Klasse meist zwei bis drei Stunden in der Woche.

Zum Muttersprachunterricht gehörte bislang auch das Ukrainische, selbst in Regionen wie Baschkortostan westlich des Uralgebirges. Vor allem aber lernten in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten Donezk, Luhansk, Cherson, Saporischschja sowie auf der Krim die Schü­le­r*in­nen Ukrainisch als Muttersprache.

Das hat das russische Bildungsministerium nun untersagt. Ab dem 1. September, dem traditionellen Tag des Schulbeginns in Russland – und in vielen ehemaligen Sowjetrepubliken – verschwindet Ukrainisch als Muttersprache aus den Stundenplänen. Der Grund: „Eine veränderte geopolitische Lage in der Welt“, so heißt es im Bildungsprogramm, das das Ministerium vor einigen Tagen veröffentlicht hat. Statt Ukrainisch gibt es nun Agrartechnologie.

Jungen sägen, Mädchen kochen

Das 200 Seiten lange Dokument listet vor allem allerlei marginale Änderungen von etlichen Begriffen auf und weist auf die „Wichtigkeit des Patriotismusunterrichts und des Arbeitsunterrichts“ hin (ein wiedereingeführtes Sowjetüberbleibsel, in dem Jungen lernen, wie man sägt und Mädchen, wie man kocht). Die Streichung des Ukrainischen kommt da ähnlich belanglos daher wie die Forderung, aus Wörtern wie „ausgehendes 19. Jahrhundert“ „zu Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts“ zu machen.

Mit der Eliminierung des Ukrainischen als Muttersprache in den Schulen verfolgt Russland sein Ziel, alles Ukrainische auszulöschen. Russische Duma-Abgeordnete ätzen über Ukrainisch als „entstelltes Russisch“ oder „russischen Dialekt, den niemand braucht“. In den besetzten Gebieten werden längst russische Bücher eingesetzt. Leh­re­r*in­nen aus Russland werden mit besseren Gehältern gelockt, um in den „neuen Territorien“, wie Russland die okkupierten Gebiete der Ukraine nennt, zu unterrichten.

In den Geschichtsbüchern steht, die Ukraine sei ein „Nazi-Staat“, Russland aber „befreie“ diesen mitsamt seiner „militärischen Spezialoperation“ von der „blutigen Militärjunta“. Russische Medien schreiben regelmäßig über Zehntausende von Leh­re­r*in­nen aus den besetzten Gebieten, die in Russland „Umorientierungskurse“ belegten, um wieder unterrichten zu können. Weigert sich jemand, riskiert er bzw. sie Gewalt und teils auch Folter.

Neue pädagogische Fakultäten in den besetzten Regionen sollen Leh­re­r*in­nen hervorbringen, die nach russischen Bildungsplänen unterrichten. Es ist eine kulturelle Unterwanderung und die Auslöschung einer Identität, die Russland für „feindlich“ hält.

Grausame Praxis

Ähnlich praktizierten das sowjetische Gewaltherrscher, die Minderheiten ihre Sprachen und ihr kulturelles Erbe nahmen, indem sie das Sprechen mancher Sprachen unter Strafe stellten, Kinder zuweilen auch aus den Familien holten, sie in Internate bringen ließen und ihnen verbaten, ihre Sprache zu benutzen. Noch heute erinnern sich manche Alten an diese grausame Praxis und sprechen vom „verlorenen Ich“.

Die Politik der Russifizierung und der Militarisierung der Bildung verstößt gegen internationales Recht und auch gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Doch solche Dinge interessieren den Kreml kaum. Es geht ihm um die Auslöschung der Ukraine.

Denn, so erklärte es der russische Präsident Wladimir Putin vor wenigen Tagen bei einem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg: „Russen und Ukrainer sind ein Volk. In diesem Sinne gehört die ganze Ukraine uns.“ Der Saal applaudierte laut. In diesem Sinne aber ließe sich die Logik auch so lesen: Wenn Rus­s*in­nen und Ukrai­ne­r*in­nen ein Volk sein sollen, so könnte ganz Russland auch die Ukraine sein.

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9 Kommentare

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  • Und wann kommt der "Ukraine-Stern" möchte man fragen. Das alles hat derart faschistische Anklänge, dass Versuche, Faschismus aus dem System Putin wegzudeklinieren, hohl wie die Leugnung der Judenverfolgung klingen.

    Nüchterner betrachtet, ist die russische Sprachenpolitik ein Rollback ähnlich der Trump-Administration gegen queere Minderheiten. Die ukrainische Malaise begann bereits vor dem Maidan mit dem Sprachenstreit zwischen ukrainischsprachigen und russischsprachigen Landesteilen. Das war Ausdruck einer unfertigen Nation auf der Suche nach einem verbindenden Element.

    Nach der Revolution auf dem Maidan beendete die Regierung Azenjuk den Sprachenstreit, indem Russisch in den Behörden weitgehend zurückgedrängt wurde. Dies stieß auf starken Widerstand der russischsprachigen Ukrainer, vor allem auf der Krim und im Donbas. Die Annexion der Krim beendete den Sprachenstreit. Auch Russischsprachige bekannten sich auf einmal zum Ukrainischen als Landessprache - auffällig viele davon aus der Hauptstadt Kyjiw.

    Ich habe sowohl etwas Russisch wie Ukrainisch gelernt. Zu sagen Ukrainisch wäre "entstelltes Russisch", ist etwa so, als würde man zu Niederländisch "entstelltes Deutsch" sagen.

  • Inwieweit kann eine Russifizierungspolitik denn noch mit einer Bedrohung durch die NATO gerechtfertigt werden? Ist Putin jetzt etwa doch ein Nationalist?

  • Was bin ich froh, das wir damals den Entschluß fassten, nicht in Russland zu bleiben (meine Frau war dort an einer Schule als Deutschlehrerin angestellt). Die Kleine war noch im Kindergarten, der größere gerade eingeschult. Mittlerweile wird ja auch kein Englisch als Fremdsprache mehr angeboten, aber halt Mandarin/Chinesisch. Damals war der Unterricht in den Schulen noch um Welten besser als in deutschen Gesamtschulen (als Vergleich, da es in Russland nur diese Schulform als staatliche Schule gibt). Mittlerweile ist der Unterricht und auch der Schulalltag dort zu einer reinen Faschisten-Show verkommen.

  • Sprache heißt, miteinander halbwegs klar und verständlich kommunizieren zu können. Sprachen gehen an den Grenzen in der Regel fließend ineinander über, wenn es eine ähnliche Familie ist. Und selbst wenn nicht, empfehle ich mal, etwa dem Bruxellois Eingesessener oder dem Kauder-Welsch in der nördlichen Wallonie näher zuzuhören. Klappt auch.

    Eine standardisierte gemeinsame Sprache erleichtert eine gemeinsame Kommunikation im Guten wie in Schlechten. Das kann die Literatur Puškins sein oder der Kasernenhof Putins.



    Nebenbei: die Moskauer Mundart als Standard gesetzt zu haben, hat dem Russischen u.a. den eigenartigen Vokalwechsel je nach Betonung beschert; es gibt vielleicht klügere Ideen.

    Putins Nachfolger werden einiges politisch glattzuziehen haben. Bis dahin eindämmen, eindämmen, eindämmen. Waffen nicht an den einen Angreiferstaat im Nahen Osten fehlliefern, sondern besser konsequent an Verteidigerstaaten im noch näheren Osten. Kühlen Kopfes, kein geistiger Militarismus, aber was nottut, auch tun.

  • „Entstelltes Russisch“ fliegt aus dem Lehrplan

    Interssant. Es wurde dort also gelehrt. Bei uns sind wir schon weiter. Das "entstellte Deutsch" der deutschsprachigen Anrainerstaaten wird hier gar nicht gelehrt. ;-)

    • @Jalella:

      Dafür gibt es Dänisch, Polnisch und Sorbisch...wo es halbwegs relevant ist

    • @Jalella:

      Nett behauptet, aber ... ;)



      Niederländisch können Sie nahe der Grenze in der Schule zuweilen lernen. Das grenzüberschreitende Friesisch hat sogar geschützten Status.



      (Der Vergleich hinkt auch, weil trotz Überlegungen Steinbrücks Luxemburg dann doch nicht überfallen wurde.)



      Auch der sprachliche Assimilationsdruck auf inländische Tittlinger und Tuttlinger erscheint mir überschaubar.

    • @Jalella:

      Wir halten allerdings auch wenige Gebiete in Dänemark, den Niederlanden oder Österreich besetzt ;-)

      Friesisch oder Sorbisch wird in den entsprechenden Gegenden allerdings sehr wohl in der Schule angeboten

  • Moment! War da am Kriegbeginn nicht etwas mit unterdrückter Sprache? Putin entlarvt sich laufend selbst.