Spionagevorwurf gegen Edward Snowden: Kopfschütteln im Moskauer Exil
Geheimdienstler, Politiker und Journalisten verdächtigen Edward Snowden, ein russischer Agent zu sein. Er selbst nennt das „dumme Vorwürfe“.
Auf die Frage von Vertretern der Linken und Grünen im Ausschuss, was denn für eine Agententätigkeit des Whistleblowers spräche, räumte der Verfassungsschützer sein, es gäbe keine Beweise, aber es spräche eine „hohe Plausibilität“ dafür, dass Snwoden ein russischer Agent sei.
Als der grüne Abgeordnete Christian Ströbele Maaßens Anschuldigungen als Teil einer Desinformationskampagne mit dem Ziel des Rufmordes an Snowden einordnete, wurde der oberste Verfassungsschützer ungehalten: „Sehr geehrter Herr Abgeordneter Ströbele, ich weise Ihre Behauptung, ich würde Desinformation betreiben, mit Nachdruck zurück.“
Keine drei Stunden später meldete sich Edward Snowden auf Twitter zu Wort. Sein auf Deutsch verfasster Tweet: „Ob Maaßen Agent des SVR oder FSB ist, kann derzeit nicht belegt werden. ¯\_(ツ)_/¯ #BfV #NSAUA“.
„Dumme“ Vorwürfe
„Character Assasination“, wird Rufmord auf Englisch genannt. Die Methode der moralischen Ermordung ist nichts Neues im politischen Kampf, schon rivalisierende Päpste im Mittelalter übten sich fleissig in der Kunst, Gegner durch die Verbreitung unbewiesener Unterstellungen zu erledigen. Eine der geläufigsten Vorwürfe in diesem Spiel lautet, eine missliebige Person arbeite für ein feindliche Macht oder einen feindlichen Geheimdienst.
Snowden soll also für die Russen arbeiten. Gegenüber dem Spiegel hat sich der einstige US-Geheimdienstmitarbeiter in Moskau jetzt erstmals zu diesen Vorwürfen geäußert. Er nennt die Anschuldigungen gegen ihn „silly“, dumm. Und Snowden fügte hinzu: „Es scheint so zu sein, dass die Unterstellung unwiderstehlich für die ist, die keine Fakten zum argumentieren haben.“
Schon seit Anfang diesen Jahres fahren deutsche Geheimdienstchefs, Politiker und ihre journalistischen Sprachrohre eine Kampagne gegen den amerikanischen Whistleblower Edward Snowden, der im Sommer 2013 auf dem Weg von Hongkong nach Südamerika in Moskau gestrandet ist und später dort politisches Asyl bekam.
Dubiose Quellen
Der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg, Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses, sagte im März gegenüber der FAZ: „Snowden hat sich entschieden nach Russland zu reisen“. Er habe sich „damit auf eine Seite des Propagandakrieges zwischen Moskau und dem Westen geschlagen.“ Zudem sei es möglich, dass Snowden bereits in seiner Zeit bei der CIA in Genf vom russischen Auslandsnachrichtendienst angesprochen worden sei.
Hans-Georg Maaßen legte in einem Focus-Interview nach. „Die Veröffentlichung der Snowden-Papiere hat insbesonders Deutschland, den USA und anderen westlichen Staaten geschadet.“ Für Maßen ist das Ziel von Snowden klar: „Der Verrat der Geheimdienst-Unterlagen ist ein Versuch, einen Keil zwischen West-Europa und die USA zu treiben – den größten seit dem Zweiten Weltkrieg.“ Mit ins Horn stiess munter die BILD-Zeitung, in der ein dubioser Ex-NSA-Mann behauptete, Snowden sei schon in seiner Zeit als CIA-Mitarbeiter in Genf zu den Russen übergelaufen.
Wolfgang Kaleck, Snowdens Anwalt in Deutschland, schrieb an den NSA-Auschussvorsitzenden Sensburg, dessen Anschuldigung gegen Snowden, sei „objektiv falsch und wird von unserer Seite aufs heftigste zurückgewiesen.“
Kein freiwilliges Asyl in Russland
In Wahrheit, das sagt nicht nur Kaleck, war Russland keineswegs das Land der Träume von Edward Snowden, in dem er sich unbedingt hatte niederlassen wollen. Julian Assange, Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, der seit über vier Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt, hatte im Juni 2013 eruiert, dass Snowden in Ecuador oder Venezuela politisches Asyl bekommen könnte.
Snowden versuchte deshalb von Hongkong über Moskau nach Südamerika zu fliegen. Als er zusammen mit Sarah Harrison von WikiLeaks auf dem Weg nach Moskau war, erklärte die US-Regierung seinen Pass für ungültig. Da ihn keine Fluggesellschaft ohne gültigen Pass weiterbefördert hätte, strandete er in Moskau und beantragte schließlich in Russland politisches Asyl.
Diese Version hält auch auch Chris Inglish, bis 2014 Vizechef der NSA, für glaubwürdig. Er sieht „keinerlei Evidenz“, dass Snowden ein russischer Spion sei. Snowden selbst erklärte jetzt: „An diesem Punkt bin ich mehr amüsiert als genervt über die dummen Vorwürfe.“ Allerdings habe er „gehofft, dass wir uns mittlerweile vom Boten zur Botschaft bewegt hätten.“ Der Whistleblower war von Anfang an irritiert darüber, dass viele Journalisten sich nicht mit den von ihm an die Öffentlichkeit gebrachten Dokumenten beschäftigten, sondern lieber mit seiner Person und seinen möglichen Motiven.
„Diese Vorwürfe gegen Snowden wirken wie eine Kampagne“, urteilt Christian Ströbele. Dass der Verfassungsschützer Maaßen sie wiederholt ohne Beweis erhoben hat, läge wohl daran, dass er ein „Überzeugungstäter“ sei, so Ströbele, „ein beleidigter Überzeugungstäter.“ Der NSA-Ausschuss wird die Befragung von Maaßen nach der Sommerpause fortsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten