Spielfilm über rassistische Gewalt: Eine Frau beißt sich durch
„Nico“ erzählt von einer rassistisch motivierten Attacke auf eine Deutschperserin und ihrem langen Heilungsprozess. Es ist das Debüt von Eline Gehring.
Es ist ein strahlender Morgen irgendwo in Berlin. Nico (Sara Fazilat) radelt zur ersten Patientin des Tages. Sie reckt das Gesicht gen Himmel, genießt den Sonnenschein, wirkt zufrieden. Die Aussicht auf den bevorstehenden Arbeitstag als Altenpflegerin scheint ihre Laune nicht trüben zu können.
Die Idylle aber hält nicht lange an. Ein paar Augenblicke später beginnt eine ungeduldige Autofahrerin hinter ihr unablässig zu hupen, kurz darauf schleudert sie ihr wüste Beleidigungen entgegen. Nico reagiert bestimmt: Sie schwingt sich betont gelassen von ihrem Fahrrad, schlendert zur Frontscheibe des Wagens und zerdrückt genüsslich einen Donut darauf.
„Nico“. Regie: Eline Gehring. Mit Sara Fazilat, Sara Klimoska u. a. Deutschland 2020, 79 Min.
Die Titelheldin des Langfilmdebüts von Eline Gehring hat gelernt, für sich selbst einzustehen. Das Drama zeichnet sie allerdings als mindestens so herzlich wie hemdsärmelig, wie die Szenen direkt im Anschluss an die Auftaktsequenz unterstreichen.
Sie zeigen sie im liebevollen Umgang mit den Seniorinnen, um die sie sich kümmert: Geduldig lässt sie sich von Fernandez (Isidoro Fernandez Mompelier) Tanzschritte zeigen und scherzt mit Brigitte (Brigitte Kramer) in der Badewanne, formt ihr das Haar zu einer Punk-Frisur.
Gemeinsam konzipiertes Drehbuch
Weil das Drehbuch – an dem neben Gehring und Fazilat auch Kamerafrau Francy Fabritz mitwirkte – Nico als überaus sympathischen Macherinnentyp angelegt hat, ist der Überfall, den die Deutschperserin kurz darauf durchleben muss, umso schmerzhafter mitanzusehen. Er kommt einer Zäsur, dem Ende einer bis zu diesem Zeitpunkt empfundenen Selbstverständlichkeit gleich. Der, sich in Deutschland als Frau mit Migrationshintergrund gänzlich sorgenfrei bewegen, im Zweifel zumindest aber zur Wehr setzen zu können.
Auf dem Nachhauseweg von einer Party wird Nico zunächst von einer anderen Frau (Sabrina Tannen) angerempelt, dann angepöbelt und schließlich mit Unterstützung ihrer beiden männlichen Begleiter brutal zusammengeschlagen und bewusstlos zurückgelassen.
Ob ihrer durchdachten Inszenierung ist die Sequenz umso eindrücklicher: Die wackelige Handkamera bleibt stets nah an Nicos Gesicht und fängt so aufs Genaueste ein, wie sie zunächst – ähnlich wie zu Beginn des Films – versucht, souverän auf die Konfrontation zu reagieren. Und anschließend, wie die betonte Gelassenheit in diesem Fall in nackte Panik umschlägt, als ihre Angreiferin sie plötzlich ohrfeigt.
Die einnehmende Darbietung Sara Fazilats – beim 42. Filmfestival Max Ophüls Preis mit dem Nachwuchs-Schauspielpreis gewürdigt – trägt auch im weiteren Verlauf des nur knapp achtzigminütigen Films bedeutend zu dessen Intensität bei. Trotz seiner kurzen Spielzeit ist „Nico“ kein prägnant erzählter Film, und schon gar kein formelhaftes Lehrstück.
Kein Lehrstück und dadurch umso wirkungsvoller
Als solches gerieren sich viele Produktionen mit vergleichbarer Thematik – allzu oft verfallen sie in immer gleiche Erzählmuster, beschränken ihre Figuren auf den Stellenwert einer austauschbaren Opfer- oder Heldenkarikatur und versinken entweder in unsäglicher Melodramatik oder münden in einem unglaubwürdigen Happy End.
Das Mäandern des Plots bewahrt ihn davor, einen ähnlichen Weg einzuschlagen. Seine Protagonistin wird nach der rassistisch motivierten Attacke von Flashbacks geplagt, versucht aber gegen die Angst vorzugehen, anstatt sich ihr hinzugeben. Einerseits findet Nico Halt in der Beziehung zur Mazedonierin Ronny (Sara Klimoska), die ebenso wenig geradlinig verläuft wie ihr Heilungsprozess selbst. Andererseits versucht sich Nico durch Kampftraining etwas Sicherheitsgefühl zurückzuerobern.
Karatelehrer Andy wird von Andreas Marquardt gespielt, der seit geraumer Zeit eine eigene Sportschule in Berlin-Neukölln betreibt und der Öffentlichkeit durch seine von Rosa von Praunheim verfilmte Autobiografie „Härte – Mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt“ bekannt wurde. Auch seine Besetzung trägt dazu bei, dass „Nico“ wie aus dem Leben gegriffen wirkt und gerade deswegen eine größere Wirkung entfalten kann als Filme, die einen mahnend-belehrenden Ton anschlagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“