75. Geburtstag Rosa von Praunheims: Danke, Rosa!
Wie überlebt man in Berlin-Neukölln? Rosa von Praunheim, Wegbereiter der Schwulenbewegung und des Avantgardefilms, wird 75.
„Pfui, Rosa!“ titelte die Bild-Zeitung 1991, als Rosa von Praunheim in der RTL-Show „Explosiv – Der heiße Stuhl“ die Fernsehstars Alfred Biolek und Hape Kerkeling outete. Macht man nicht, so gilt das ungeschriebene Gesetz unter Schwulen. Wie Kerkeling sagt, hätten sich sensiblere Persönlichkeiten mit Föhn in die Badewanne gelegt. Später haben es Biolek und Kerkeling dem Filmemacher aber verziehen.
Denn es ging ja um etwas: Die Aids-Krise erreichte gerade ihren Höhepunkt. Und der Regisseur selbst war Mitbegründer der deutschen Aktivistengruppe von „Act Up“, es ging um Solidarität bei einer Sache, die für viele ein Überlebenskampf bedeutete. Praunheim war der Buhmann nach der Aktion, aber sein Plan ging auf, die Aufmerksamkeitsmaschine spielte mit.
Nun wird Rosa von Praunheim, der Christian Ströbele unter den 68er-Autorenfilmern, 75 Jahre alt. Weggefährten wie Rainer W. Fassbinder oder Rosas Ex-Geliebter Werner Schroeter kehrten der Undergroundszene irgendwann den Rücken und legten Weltkarrieren hin. Rosa nicht. Seine Filme sind bis heute billig produziert, handeln vom Schrägen, vom Abgründigen und natürlich von Schwulen. Die Handschrift eines Praunheim-Films ist unverwechselbar. Schon mehr als 150 Filme hat er gemacht; pünktlich zum Dreivierteljahrhundert gleich zwei neue: „Überleben in Neukölln“ und „Act! Wer bin ich?“, die sich mit den kreativen Bewohnern in Berlins „Problembezirk“ (und Hipster-Paradies) Neukölln beschäftigen. Auch ein neues Buch ist da: „Wie wird man reich und berühmt?“, ein Ratgeber für den Filmnachwuchs.
Bei ihm selbst hat das nie so richtig geklappt, als Tippgeber ist er für das Reich-und-berühmt-Werden aber dennoch der Richtige. Im Buch vertreten die prominente Praunheim-Gefolgschaft Leute wie Filmproduzent Nico Hofmann oder Rosas früherer Filmstudent Axel Ranisch. Oder der Regisseur Tom Tykwer, der auf die Philosophie von Rosa schwört, wie eine Anekdote offenbart: Auf einer Party von Rosa stritt sich Tykwer Ende der 80er mit seiner Freundin. Rosa riet: Mach einen Film daraus.
Tykwer ließ sich überreden, sein erster Kurzfilm, „Because“, entstand, und seine Karriere begann. Rosas Motto, das er auch in den Jahren als Regieprofessor an der Filmhochschule in Potsdam verbreitete: Wenn du Filme machen willst, dann mach welche, probiere aus, trau dich und habe vor allem Spaß dabei. So hat Rosa schon bei einigen Talenten den Schalter umgelegt und uns indirekt wunderbare Filme beschert.
1971 Eklat – und homo-politischer Aufbruch
Unbestritten ist seine Leistung für die Schwulenbewegung, auch wenn er nicht immer zimperlich mit seinen Schwestern umging. Der Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“, löste 1971 einen Eklat aus und klagte die Schwulen selbst an: Nicht das Modepüppchen spielen und das eigene Anderssein mit kleinbürgerlicher Spießigkeit überhöhen; Schluss mit der Opferrolle und sich aus der eigenen Situation politisch herauskämpfen.
In ganz Deutschland gründeten sich daraufhin Aktivistengruppen. Den Text für die Bilder lieferte der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker, mit dem sich Rosa in der Aidskrise später fürchterlich stritt: Praunheim befürwortete den Einsatz von Kondomen, eine Position, die Dannecker hämisch kommentierte: „Rosa wird evangelisch.“
1971 wurde Rosa mit seinem Film zum zweiten Christopher Street Day von Schwulenaktivisten nach New York eingeladen, ein Jahr darauf dokumentierte er den dritten Demonstrationszug und machte den Stonewall-Aufstand in Deutschland bekannt, auf den sich die heute weltweit stattfinden Gay Prides und in Deutschland der Christopher Street Day berufen.
Im New York der 70er- und 80er-Jahre drehte Rosa dann seine besten Filme. Er porträtierte Andy Warhols Superstar „Tally Brown“ (1979), zeigte uns die Protagonisten dieser wahnsinnigen Szene. Sein kommerziell erfolgreichster Film: „Überleben in New York“ (1989). Drei deutsche Frauen, die nach New York ziehen und sich neu erfinden. Dreck, Kriminalität, Armut, aber auch Freiheit, Gleichgültigkeit und Leichtigkeit, das fasziniert am Manhattan dieser Zeit, das heute längst als Halbinsel für die Superreichen gilt.
Schwule sollten Heteros nicht alles nachmachen
Rosas Blick auf den Großstadtmoloch von damals war der eines Begeisterten, ohne dass er beschönigte: Die Einstellung einer obdachlosen, zahnlosen Rentnerin brannte sich beim Zuschauer ein. Der Film schaute auf die Gewalt in den Schulen, auf Vergewaltigung, Morde und Überfälle, die am East River damals zur Tagesordnung gehörten.
Ob es nun ein Kompliment für Berlins Szeneviertel ist, dass Rosas neuer Film „Überleben in Neukölln“ heißt? Heute sind die Straßenblöcke hinter dem Hermannplatz tatsächlich ein Magnet für Künstler aus der Welt, ein klein wenig, wie es NYC einst war. Erneut zeigt Rosa, wie Kreative um ihre Existenz kämpfen. Ganz so viel Magie wie sein „Überleben“-Film aus New York versprüht sein neues Stück allerdings nicht.
Zeit und Welt haben sich weitergedreht. Auch wenn Homosexuelle in vielen Staaten der Welt noch immer unterdrückt werden, in Deutschland konnten sie den Untergrund verlassen. Manche heiraten oder werden in der CDU als Kanzlerkandidaten gehandelt.
Rosas Blick passt da nicht mehr so ganz. Wie er bekundet, habe er das alles so nicht gewollt. Die Schwulen sollten den Heteros doch nicht alles nachmachen. Das hören nicht alle gerne. Trotzdem: Zum 75. Geburtstag sollten sie ihre schrägste, witzigste, gelegentlich ungemütliche unter den alten Vorkämpfer-Tanten feiern. Sie haben ihr sehr viel zu verdanken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt