Spielfilm über den Zweiten Weltkrieg: Erlösung gibt es nicht

Elem Klimows Spielfilm „Komm und sieh“ kommt nach 35 Jahren erneut ins Kino. Er thematisiert die Verbrechen der Wehrmacht in Belarus.

In einem Wald führen verletzte und alte Männer eine uniformierte Vogelscheuche mit Totenkopf mit sich

Grauen und Schmerz, Szene aus „Komm und sieh“ von Elem Klimow Foto: Drop-Out Cinema

In Vers sechs der Offenbarung des Johannes heißt es: „Und als das Lamm das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten lebendigen Wesens sagen: Komm und sieh! Und ich sah … ein fahles Pferd …, dessen Name ist: der Tod; und das Totenreich folgte ihm nach, und ihnen wurde Macht gegeben … zu töten mit dem Schwert und mit Hunger und mit Pest …“

Apokalyptische Worte, die dem russischen Regisseur Elem Klimow als Inspiration zu seinem Meisterwerk „Komm und sieh“ dienten, einem Kriegsfilm, der zwar anlässlich des 40. Jahrestags des Kriegsendes 1985 in die sowjetischen Kinos kam, aber alles andere als eine heroische Darstellung des Großen Vaterländischen Krieges war.

„Komm und sieh“. Regie: Elem Klimow. Mit Alexei Krawtschenko, Olga Mironowa u. a. UdSSR 1985, 143 Min.

In Belarus spielt der Film, einem Land, das wie kaum ein anderes Opfer des Krieges war: Erst die deutschen, dann die russischen Truppen zogen hindurch und sorgten dafür, dass am Ende des Krieges kaum ein Stein auf dem anderen stand. Unfassbare 25 Prozent der Bevölkerung fanden den Tod, erst Ende der 80er Jahre erreichte die Bevölkerung wieder Vorkriegszahlen. Nach dem Krieg bauten deutsche Kriegsgefangene die Städte wieder auf, besonders die Hauptstadt Minsk wurde als sozialistische Idealstadt geplant, mit einer gigantischen Allee als Hauptachse.

In der Kirche verbrannt

In Belarus wütete die Wehrmacht in kaum vorstellbarem Maße. Besonders das Massaker von Katyn (auch Chatyn geschrieben) blieb in der Erinnerung verhaftet und bildet das grausame Zentrum von Klimows Film: Hunderte Frauen, Kinder und alte Männer trieb die Wehrmacht zusammen, sperrte sie in eine Kirche und zündete sie an. Ähnliche Massaker wurden in über 600 anderen Dörfern verübt.

Zu diesem Zeitpunkt hat die junge Hauptfigur des Films schon seiner anfängliche Unschuld verloren. Anfangs schloss sich Fljora (Alexei Krawtschenko) noch voller Euphorie den Partisanen an, ließ Mutter und Geschwister zurück und zog in den Krieg. Wie ein großes Abenteuer wirkte es da noch, das Leben im Wald, der Feind schien weit weg. Doch Mutter und Geschwister findet er bald tot vor, das Massaker von Katyn überlebt er knapp und wird anschließend Zeuge der blutigen Rache.

Diese letzte Stunde hat „Komm und sieh“ den Ruf eingebracht, einer der brutalsten Kriegsfilme der Filmgeschichte zu sein. Doch es sind nicht die Szenen von Wehrmachtsoldaten, die kleine Kinder ermorden, schreiende Frauen verschleppen, die diesen Eindruck erzeugen. Vielmehr ist es die apokalyptische Atmosphäre, die Klimow durch seine extrem mobile Kamera erzeugt, die ganz nah am Geschehen bleibt, verstörte Gesichter in Großaufnahme zeigt, unterlegt von einer Musik, die mehr Geräuschen gleicht als wahrnehmbaren Melodien.

Dem Wahnsinn nahe

Immer älter wirkt das Gesicht von Fljora, immer mehr gezeichnet von dem Grauen des Krieges, zunehmend dem Wahnsinn nahe. Eine Katharsis ist Fljora nicht vergönnt, Erlösung gibt es nicht, noch nicht einmal das Ende des Krieges wird gezeigt. Wenn er sich am Ende den Truppen anschließt, die nach Westen ziehen mit dem Ziel Deutsches Reich, Berlin, dann kann man sich vorstellen, was er erleben wird. Die erfahrenen Grauen wird er zurückzahlen und für immer von dem gezeichnet bleiben, was er im Krieg gesehen und erlebt hat.

Für Klimow blieb „Komm und sieh“ sein letzter Film, obwohl er zu diesem Zeitpunkt erst 52 Jahre alt war. Ein paar Jahre zuvor war seine Frau bei Dreharbeiten verunglückt, vielleicht war es auch dieses tragische Ereignis, dass ­Klimow zu einem Film inspirierte, der absolut hoffnungslos bleibt und den apokalyptischen Wahnsinn des Kriegs an der Ostfront auf eine Weise zeigt, wie es vor- und nachher kein Regisseur wagte.

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