Spendensammler will Demokratie schützen: „Der Kampf gegen die Feinde der Demokratie ist ein Marathon“
Demonstrieren kostet Zeit. Die Demokratie lässt sich auch mit Geld schützen, sagt Stephan Schwahlen von der Plattform Effektiv Spenden.
taz: Herr Schwahlen, Sie betreiben eine Spendenplattform. Aber sollten Privatleute überhaupt spenden? Wir haben doch das millionenschwere Demokratiefördergesetz, das mit Steuergeldern zahlreiche Projekte finanziert.
Stephan Schwahlen: Es ist gut, dass sich der Staat engagiert. Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Zivilgesellschaft immer wieder Treiber wichtiger Veränderungen war, die weder der Staat noch der Markt von sich aus angestoßen hätten, jedenfalls nicht rechtzeitig.
taz: Wo wurde das zuletzt sichtbar?
Schwahlen: Wir haben dieses Jahr in Thüringen gesehen, wie das läuft. Es waren eben nicht die pro-demokratischen Parteien oder die Verwaltung, die sich darum bemüht haben, die thüringische Verfassung besser abzusichern, bevor es dafür zu spät ist. Es war die gemeinnützige Organisation Verfassungsblog. Die Demokratie braucht also eine Zivilgesellschaft, die auch unabhängig von staatlichen Töpfen agieren kann. Aber diese kann nur aktiv werden, wenn sie Geld hat.
56, studierte Betriebswirtschaftslehre in Köln und Paris. Er arbeitet für die gemeinnützige Plattform Effektiv Spenden und berät hauptberuflich Privatpersonen und Familien beim Spenden.
taz: Viele Menschen engagieren sich schon, beispielsweise auf Demos. Reicht das nicht aus?
Schwahlen: Der Kampf gegen die Feinde der Demokratie ist ein Marathon. Und man kann nicht jede Woche demonstrieren gehen oder Podiumsdiskussionen organisieren. Das kostet zu viel Zeit und Kraft. Aber man kann diejenigen unterstützen, die die Demokratie professionell verteidigen.
taz: Wie funktioniert Ihre Plattform „Effektiv Spenden“?
Schwahlen: Wir zeigen auf, in welchen Problemfeldern jetzt dringender Handlungsbedarf besteht und schauen, welche NGOs dort umsichtige und effiziente Arbeit leisten, für die sie aber Geld brauchen. Unsere Auswahl basiert auf den Erkenntnissen der internationalen Demokratieforschung.
taz: Welche Forschung ist das genau?
Schwahlen: Wir stützen uns zum Beispiel auf die Ergebnisse der „Strengthening Democracy Challenge“ der Stanford University, die Hinweise liefert, wie man durch skalierbare Maßnahmen demokratiefeindliche Einstellungen und Polarisierung reduzieren kann. Das Varieties of Democracy-Institut in Göteborg sammelt Langzeitdaten zu den unterschiedlichsten Regierungsformen weltweit und gibt dazu Analysen heraus. Die Forschung arbeitet mit einer Art Spielbrett, auf dem sich alle Handlungsfelder befinden, die eine belastbare Demokratie braucht.
taz: Welche Felder sind da am wichtigsten?
Schwahlen: Das sind in jeder Demokratie, egal in welchem Land, immer die großen Themen wie freie und geheime Wahlen, Gewaltenteilung und Rechtsstaat, eine freie und vielfältige Presselandschaft sowie eine starke Zivilgesellschaft.
taz: Und wie wenden Sie das auf Deutschland an?
Schwahlen: Wir gehen nach dem Ansatz des Effektiven Altruismus in einem Dreisprung vor. Erst fragen wir: Auf welchen Feldern droht der Demokratie hierzulande aktuell Gefahr? Dann: Welche Maßnahmen sind auf diesen Handlungsfeldern die wirksamsten? In einem dritten Schritt suchen wir die Organisationen, die in diesem Bereich bereits gute Arbeit leisten, aber Geld benötigen.
taz: Warum sollte ich über Ihre Plattform einen Umweg nehmen, um zu spenden? Da geht ja Geld unterwegs verloren.
Schwahlen: Tut es nicht. Die Plattform finanziert sich aus separaten Beiträgen an unsere gemeinnützige Trägergesellschaft, Spenden leitet sie zu 100 Prozent weiter.
taz: Kritiker werfen dem Effektiven Altruismus vor, er bekämpfe Missstände nur symptomatisch, aber eben nicht strukturell. Ein Beispiel sind NGOs, von denen Sie auch eine fördern, die Moskitonetze in Malariagebiete verteilt. Das bekämpft aber nicht die Armut dort. Was antworten Sie auf die Kritik?
Schwahlen: Erstens ist das Verteilen von Moskitonetzen durchaus strukturell und es bekämpft die Armut. Ständig kranke Menschen können nämlich weder lernen noch arbeiten. Und man muss die Übertragungswege blockieren, um die Malaria auszurotten. Zweitens fördern wir bei allen Themen, die wir ausgewählt haben, Organisationen, die vorrangig strukturell arbeiten und auf der politischen Ebene Druck ausüben. Dass es in der EU heute Regulierung zur Eindämmung der Methan-Emissionen gibt, ist wesentlich einer solchen NGO zu verdanken.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
taz: Wo muss am dringendsten gespendet werden, um unsere Demokratie zu schützen?
Schwahlen: Ganz oben auf unserer Liste stehen Schutz und Stärkung des unabhängigen Journalismus. Die Presse ist ein Grundpfeiler der Demokratie, und nichts ist für angehende Autokraten so unangenehm wie unabhängige und professionell agierende Medien. Die werden immer als erstes angegriffen, und das erleben wir auch jetzt. Investigativrecherche und Qualitätsjournalismus sind für eine Demokratie kein Nice-to-have, sondern ein Must-have. Deshalb leiten wir einen Teil unserer Spenden weiter an die Organisation Correctiv.
taz: Wo sehen Sie noch Bedarf?
Schwahlen: Auch die Schaffung und vor allem die Durchsetzung von Recht ist ein entscheidender Bereich. Deswegen unterstützen wir HateAid. Diese Organisation hat durch Druck auf Politik und Strafverfolgungsbehörden maßgeblich dazu beigetragen, dass Hasskriminalität im Netz viel gezielter verfolgt und bestraft wird. Ein anderes essentielles Feld ist die Stärkung von pro-demokratischen Bürgerbewegungen. Daher leiten wir Gelder weiter an die Demokratie-Stiftung Campact, der es immer wieder gelingt, breite Bevölkerungsanteile für Demos und Proteste zu mobilisieren. Seit einigen Wochen unterstützen wir den Flowfund Ostdeutschland, ein neues Projekt, das die demokratische Zivilgesellschaft in Ostdeutschland stärkt und beim Einsatz des Spendengeldes auf die Kenntnissen jüngerer, engagierter Menschen aufbaut, die dort leben. Bisher war es so, dass die mit vielen Mitteln ausgestatteten NGOs eher im Westen sitzen und sich beim Mitteleinsatz in Ostdeutschland dann schwertun. Das darf so nicht bleiben.
taz: Das heißt, Sie unterstützen eher junge Projekte?
Schwahlen: Ja. Bei unserer Suche entdecken wir häufig Handlungsfelder, die bisher vernachlässigt wurden und in denen die Zivilgesellschaft erst jetzt aktiv wird. Die interessieren uns besonders, denn beim Verteilen von Spenden muss man die Kosteneffizienz beachten: Hat der zusätzliche Euro, den man in einem Gebiet einsetzt, immer noch so viel Hebelkraft wie der davor? Auf vorher brachliegenden Handlungsfeldern bewegt jeder Euro besonders viel. Das sehen wir bei den Versuchen, auf Social Media Boden für die Demokratie gut zu machen.
taz: Wen fördern Sie da?
Schwahlen: Da fördern wir zum Beispiel #reclaimtiktok – eine Kampagne, die in diesem Jahr aus Fridays-for-Future hervorgegangen ist. Da setzen junge Leute den rechtsextremistischen Stimmen auf der Plattform endlich etwas entgegen.
taz: Und in welchen Bereichen fehlt es noch an Organisationen?
Schwahlen: Bei dem Problem, dass Kommunalpolitiker bedroht werden, aber auch Wahlhelfer, die Plakate aufhängen, Infostände betreuen oder Veranstaltungen organisieren. Die darf man nicht allein lassen. Sie brauchen Rückendeckung, sonst entstehen in diesen Gegenden Meinungsmonopole.
taz: Was wäre da eine Lösung?
Schwahlen: Eine Möglichkeit wären spezialisierte kommunale NGOs. Man könnte Ehrenamtliche schulen, die Aktionen begleiten und dokumentieren, im Falle von Übergriffen den Betroffenen Beratung bieten und Kontakte zu Juristen vermitteln. Auch entsprechende Rechtshilfe-Fonds sind ein guter Ansatz, damit es bei der Verteidigung nicht am Geld scheitert. Hier prüfen wir gerade Unterstützung.
taz: Die aktuellen Preissteigerungen spüren wir alle, etliche Leute können zurzeit nicht viel spenden.
Schwahlen: Jeder Beitrag hilft. Wenn man einmal verstanden hat, dass man Erstaunliches bewegen kann, wenn man nur die Kräfte bündelt, dann ist das wie ein Befreiungsschlag. Viele Leute meinen: „Ach, meine einzelne Spende bewegt doch nichts.“ Das Gegenteil ist richtig. Viele einzelne Spenden führen dazu, dass Dinge in Bewegung kommen, wo sich sonst nie etwas getan hätte.
taz: Haben Sie ein Beispiel dafür?
Schwahlen: Wir haben #reclaim TikTok 50.000 Euro weitergeleitet. Schon mit dieser Summe kann in den sozialen Medien sehr viel erreicht werden, das können wir durch Reichweitenmessung belegen. Wenn also in Deutschland nur 2.000 Leute je 25 Euro spenden, ist das Geld schon beisammen. Wir merken daran, dass wir gemeinsam eben nicht ohnmächtig sind.
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