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Sparen bei KulturprogrammenNicht mehr sexy, nur noch schlank

Die Öffentlich-Rechtlichen wollen Hunderte Millionen Euro sparen. Angefangen wurde in der Kultur, angeblich um mehr Inhalte für Jüngere zu schaffen.

Seit 2016 moderierte Denis Scheck die nun gestrichene Literatur-Sendung „Lesenswert Quartett“ Foto: Christian Koch/SWR

„Wieder haben wir bewiesen: Lesen macht schön, schlank und sexy.“ Mit diesen Worten beendet Denis Scheck stets seine Sendung „Lesenswert Quartett“ im SWR. Der SWR will aber nicht mehr schön und sexy sein und schmeißt die Sendung ab 2025 aus dem Programm. Denn der SWR will vor allem schlank sein. 70 Millionen Euro müssen runter – pro Jahr. Eine SWR-Sprecherin bezeichnet dies als „schmerzhaften, aber unumgänglichen Einschnitt“.

Es sind große Summen, die die ARD in den kommenden Jahren einsparen möchte. 40 Millionen Euro pro Jahr sind es beim MDR, der HR möchte in acht Jahren 350 feste und freie Mitarbeiter weniger haben. Zwangsläufig geht es auch ans Programm. Und an die Kultur. So stellt der SWR mit „Lesenswert“ eine weitere Sendung ein, und der MDR streicht „Fröhlich lesen“. Andere Sender haben sich schon von Literaturformaten getrennt: Der BR stellte „Lido“ und „Lesezeichen“ ein, der HR das „Bücherjournal“.

„Wenn es jetzt schon an große Namen wie Denis Scheck geht, merkt man, wie ernst es ist. Wir wehren uns heftig gegen diese Radikalkur“, sagt Michael Landgraf vom PEN-Zentrum. Bei der Schriftstellervereinigung beobachtet man schon länger einen Kahlschlag in der ARD. „In der Kultur wird Großartiges geleistet, aber es bekommt kaum noch einer mit, weil ein Denken wie bei den Privaten eingesetzt hat und es um Quote geht“, so Landgraf.

Der NDR hat sein „Bücherjournal“ vor vier Jahren gestrichen. Zu wenige Zuschauer würden einschalten. Was auch an der Sendezeit um Mitternacht gelegen haben könnte. Der Protest von Autoren, Verlegern und Kritikern blieb wirkungslos. „Wir werden in Zukunft mehr Bücherbesprechungen im Angebot haben als bisher“, entgegnete NDR-Intendant Joachim Knuth damals. Wie die aussehen, kann man sich heute bei der NDR-Sendung „DAS!“ ansehen. Es plaudert ein Promi auf dem roten Sofa, es gibt Rezepte und einmal im Monat „Literaturtipps“. Ein Buchhändler der Region stellt zwei Bücher vor. Pro Buch hat er 90 Sekunden. Die Bücher tragen Titel wie „Morden in der Menopause“.

„Weniger Opernrezensionen, mehr Street-Art“

Hier zeigt sich, wie sich der Kulturbegriff der ARD verändert hat. Ein SWR-Redakteur, der namenlos bleiben möchte, erzählt: „Wir sollten andere Themen anbieten. Weniger Opernrezensionen, mehr Street-Art.“ Beim MDR ist das nicht anders. Wer bei mdr.de den Reiter „Kultur“ anklickt, erhält zum Beispiel „Urlaub in Sachsen: Die besten Tipps für tolle Ausflugsziele“ oder „Rund um Erfurt und Jena: Sieben coole Ausflugstipps bei Hitze“.

„Einfach nur peinlich ist das. Hochkultur ist ein Schimpfwort geworden. Es geht um Klickzahlen, das Marketing steht im Vordergrund, und man vergleicht sich mit privaten Anbietern“, sagt eine Kulturredakteurin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Ein Sprecher des MDR sagt dazu: „Der Kulturbegriff wird dabei im Sinne eines ‚MDR für alle‘ konsequent auch auf Formate für jüngere Zielgruppen definiert.“ Ein aktuelles Beispiel dafür ist die spannende junge Dokumentation zur Geschichte des Musikfestivals „splash!“ in der ARD-Mediathek: „Größer als Hip-Hop – Die Geschichte des splash!-Festivals.“

Dabei sind es kleinere Summen, die in der Kultur gespart werden. Beim MDR müssen die Abteilungen Unterhaltung und Fiktion 39 Prozent des Einsparziels beisteuern, die Information 19 Prozent. Da wirken 5 Prozent bei der Kultur moderat. Weh tun die 2,3 Millionen Euro trotzdem. Denn hier wurde in den vergangenen Jahren bereits kräftig gekürzt. Die Kulturbudgets sind oft die kleinsten. So wendete die ARD bei den Erstsendeminuten 2022 für Kultur und Wissenschaft 14,7 Millionen Euro auf. Für Sport waren es 431 und für Unterhaltung 245 Mil­lionen Euro. Dabei steht die Kultur im Programmauftrag seit einer Änderung im Staatsvertrag von 2023 an erster Stelle. Und die Politik betont immer wieder die Wichtigkeit von kulturellen Angeboten.

Die Praxis sieht aber anders aus. Viele Kulturwellen etwa sind bereits von Kürzungen betroffen. Vor etwa drei Monaten hat der SWR sein Kulturradio SWR 2 umgebaut und ganze Sendestrecken wie die „Fortsetzung folgt“ beschnitten. Am radikalsten geht der HR vor. Von sechs sollen nur noch drei Sender übrig bleiben. Betroffen ist auch hr2-kultur. Vorerst soll es nur noch zwischen 7 und 11 Uhr aktuelles Programm geben. Alle anderen Sendungen entfallen. Begründung des HR: Man wolle Kultur auf anderen Ausspielwegen anbieten, etwa in der Hessenschau – so würde man mehr Zuschauer erreichen.

Schon jetzt werden verschiedene Radiowellen ARD-weit zeitweise zusammengeschaltet. Zum Beispiel in der Infonacht oder beim ARD-Radiofestival im Sommer. Das passiert nun auch bei der Kultur zwischen 21 und 6 Uhr. Gerade das war die Sendezeit für lange Wortbeiträge, regionale Kulturberichterstattung und Dokus mit Tiefgang. Die Autoren fürchten nun um Aufträge, in den Redaktionen entfällt Kompetenz. Die Gewerkschaft Verdi sieht das kritisch: „Mit diesem inhaltlichen Einschnitt droht ein weiterer Legitimationsverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es geht nicht um Besitzstandswahrung. Natürlich muss es Angebote für Jüngere geben. Aber man darf auch die Älteren dabei nicht verlieren“, sagt Anja Willmann, Gewerkschaftssekretärin bei Verdi für den Fachbereich Medien.

Aufwertung des nonlinearen Bereichs

Als Gründe für die Kürzungen werden auch Umschichtungen genannt. Laut SWR-Intendant Kai Gniffke bedient man die älteren Zuhörer bestens. Für die Jüngeren gebe es aber zu wenig Angebote. HR-Intendant Florian Hager formuliert es sinngemäß so: Die Hälfte der Programm­gelder soll in Zukunft ins Nichtlineare fließen und je ein Viertel in lineares TV und Radio. „Die jüngeren Redakteure bei uns sagen: Endlich! Sie begrüßen die Aufwertung des nonlinearen Bereichs. Ich finde das auch gut. Aber nicht alle im SWR sehen das so“, berichtet ein Redakteur. Der SWR möchte die Hälfte des eingesparten Geldes von „Lesenswert“ in neue Formate wie „Longreads“ mit Helene Hegemann stecken. „Long­reads“ wird bereits produziert. Ausschließlich für die Mediathek. Hier wird nicht über Literatur gestritten, hier wird mit einem Autor geplaudert. Schon der Trailer verrät, was man bei der ARD für hip hält: Die Moderatorin raucht. Ihr Gast wird als „einer der wildesten Investigativreporter Deutschlands“ angekündigt und ein paar schnelle Schnitte später mit dem Dialog eingeführt: „Wie spät ist es, 9.30 Uhr?“ „Ja, kurz vor Ladenöffnung.“

Viele der neuen Formate werden nicht in den Sendern produziert, sondern an Produktions­firmen vergeben. Eines der Vorzeigeprojekte ist „Pumping Beauty“. Laut Eigenwerbung „Die erste deutsche Doku-Serie über Bodybuilderinnen.“ Einstieg der ersten Folge: „Nur die Harten kommen in den Garten.“, „Alles für den Pump, Alter.“ „Hau dir die Scheiße rein, du brauchst Volumen, Mädchen.“ Viele Redakteure fragen sich: Muss das wirklich mit Rundfunkbeiträgen finanziert werden? Fraglich ist auch, ob man mit dieser Offensive tatsächlich Erfolg bei den Jüngeren hat. Bisher fehlen den Sendern Instrumente, um den Erfolg in der Zielgruppe zu messen.

Ähnlich radikale Auswirkungen wie das finanzielle Kürzen und Umschichten wird die gemeinsame Koordination der ARD auf Programm und Mitarbeiter haben. Derzeit ist es so, dass jede ARD-Anstalt selbst ein Buch oder einen Film bespricht. Künftig soll es ein virtuelles Beitragsregal geben, aus dem sich alle bedienen können. Es soll nur noch eine Besprechung geben­. Die ARD verspricht sich Kosteneinsparungen. Voraussetzung dafür wäre eine gute Abstimmung. „Noch ist es ein großes Rätsel, wie das funktionieren soll“, heißt es in den Redaktionen.

Der Lyriker Alexandru Bulucz vom PEN Berlin gibt zu bedenken: „Stellen Sie sich mal vor, die Rezension ist ein Verriss. Jetzt kann man durch die Vielfalt auf ein ausgewogenes Bild hoffen. Später würden alle diesen Verriss senden.“ Auch der Bundestagsabgeordnete Erhard Grundl, für Bündnis 90/ Die Grünen im Ausschuss für Kultur und Medien, ist nicht begeistert: „Der föderale Aufbau hat mir gerade gefallen, die unterschiedlichen Nuancen zwischen Beiträgen aus Bremen, Köln und München fand ich gut. Diskurse finden in einem Regal ja nicht mehr statt.“

Beim Hörspiel waren ebenfalls Kürzungen vorgesehen. Dazu sollte ein Kompetenzzentrum eingerichtet werden. Dann wurden die Intendanten mit Zahlen konfrontiert: Das Hörspiel ist in der ARD-Audiothek das erfolgreichste aller Genres. Nun bleiben die Hörspielredaktionen der einzelnen Sender erhalten, und jeder darf weiter Hörspiele produzieren. Allerdings: Die teure Transformation ins Digitale muss aus dem laufenden Etat von etwa 10 Millionen Euro bezahlt werden. Was doch auf eine Kürzung hinausläuft. Hinzu kommt: „Bei höheren Hörspiel-Vergütungen werden wir insgesamt die Zahl der Hörspiele reduzieren müssen“, so ein ARD-Sprecher.

Aber auch beim Hörspiel ist Geld nicht das einzige Problem: „Wir beobachten eine starke inhaltliche Umstellung. Es gibt eine Hinwendung zu leicht zugänglichen Serien für ein junges Publikum“, sagt Oliver Sturm vom Verband der Hörspielregie. Jeden Monat sollen zwei neue Serien in der Audiothek abrufbereit sein, die Sender wechseln sich ab. Zuvor wird genau definiert, für welche Zielgruppe das „Produkt“ bestimmt ist, es wird also passgenau für eine Hörergruppe produziert. Sturm sieht in der Idee, nur noch das anzubieten, was die Zuschauer sehen wollen, keinen Fortschritt, sondern befürchtet, dass dadurch der Kern des ÖRR „die Vielfalt an Themen und der daraus entstehende gesellschaftliche Dialog“ erschwert werde.

In einer früheren Version des Artikels gaben wir an, dass der HR 500 Mitarbeitende bis 2032 abbauen möchte. Diese Zahlen haben wir korrigiert. Richtig ist, dass der HR 350 feste und freie Mitarbeitende abbauen möchte. Weiterhin gaben wir an, dass der SWR die Sendung „Lesezeit“ beschnitten habe. Das haben wir geändert, es handelte sich um die Sendung „Fortsetzung folgt“.

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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Mit den Streamingportalen wie Netflix, Prime, WOW und Audible sinkt die Erwartung vieler Zuschauer an die öffentlich Rechtlichen.

    Wenn man eine "gute" Serie sehen will öffnet man die Streamingportale, die für Ihre Filme und Serien oft das zehnfache des Budgets eines Tatorts und entsprechend mehr Drehtage und Schauwert haben. Nur noch für die Nachrichten oder ausgewählte Sendungen ("Die Anstalt" / "Böhmermann") wird in lineare TV eingeschaltet oder die Mediatheken geöffnet.

    Die Öffentlich rechtlichen haben sich durch das Einerlei Ihre billig produzierten Tatorte, Polizeirufe, Sokos und Krankenhaus Serien selbst diskreditiert, absolet gemacht und viele Zuschauer verloren. Gute individuelle TV Filme haben es in dem Umfeld schwer.

    Nur leider gibt es nach der Anfangseuphorie der ersten Jahr bei Netflix und Prime mittlerweile auch nur noch neoliberalen Weltgeschmack, der einen ratlos zurückläßt.

    Mein Tip, in vielen Bibliotheken gibt es kostenlos DVDs und Blurays zu leihen, einfach mal wieder eine Zeitreise in die Filmgeschichte unternehmen.

    • @Paul Schuh:

      Das mit dem "neoliberalen Weltgeschmack" finde ich ein bisschen übertrieben.

      Klar, die glorreichen Zeiten von Netflix und Prime sind vorbei, aber man kann immer noch Perlen finden.

      Ich denke dabei an "Supacell", "Eric", "Die Discounter", "The Boys" oder "Maid".

      Wollte man allerdings richtig satt werden, müsste man noch mehr Dienste abonnieren und das wird dann irgendwann gaga.

  • Natürlich protestieren die Leute die mit diesem "Kulturbetrieb" ihr Geld verdienen, aber wieso sollten wir mit unseren Steuern so viele Projekte finanzieren die kaum jemand schaut ?

    • @Adam95:

      Gerade deswegen. Am Massengeschmack orientierte Produktionen machen schließlich auch alle privatwirtschaftlichen Akteure (und zwar meistens besser).

  • Als würden Jüngere überhaupt noch ÖRR „konsumieren“! Besser wäre es, mit dem schönen öffentlichen Geld das Programm zu machen, das es am Markt (oder mit privaten Gönnern) nicht schafft. Und um das Publikum zu finden, regionale Themen mit viel Publikumsbeteiligung. Da kommen die privaten Rundfunkkonzerne nur schwerlich gegenan.



    Also, sparen an ... tja, keine Ahnung, was das splash!-Festival ist und wer da auftritt, auch am volkstümlichen Schlager und den besonders seichten Vorabendserien und dafür mehr Geld in die Hochkultur, meinetwegen auch den Sport abseits von Fußball, Autorennen und Skispringen, die regionale Information: Welcher Fascho kandidiert vor Ort und was macht der sonst so, wenn er nicht gerade Deutsche Schäferhunde streichelt?