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Sparen an der SprachförderungKein Geld für Integration

Ab sofort werden bundesweit keine Sprachkurse für MigrantInnen mehr bewilligt. Erst 2015 kommen wieder EU-Gelder.

Integrieren schwer gemacht: Flüchtlinge sind beim Deutschlernen künftig auf sich selbst gestellt Bild: DPA

BREMEN taz | Anja Wohlers ist geschockt, ihre MitarbeiterInnen fassungslos: Seit dem 1. April werden keine Sprachkurse für MigrantInnen mehr bewilligt – das Programm wurde bundesweit gestoppt. Wohlers koordiniert in Bremen für das Paritätische Bildungswerk Sprachkurse, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert wurden. Die Information, dass keine neuen Kurse bezahlt würden, kam völlig überraschend Anfang April. Drei bereits geplante Kurse muss Wohlers nun absagen. Genauso ergeht es bundesweit anderen Trägern.

„Unsäglich und kurzsichtig“ nennt Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat den Stopp für neue Kurse. Es sei bei allen Gemeinden dafür geworben worden. „Für unsere Arbeit ist das peinlich, wir fühlen uns vorgeführt“, sagt er. Beim Schweriner „Netzwerk Arbeit für Flüchtlinge“ ist von einem herben Rückschlag die Rede, beim „Fluchtort Hamburg plus“, der Sprachkurse an Flüchtlinge vermittelt, von einem „ernstzunehmenden Problem“.

13 Kurse laufen derzeit allein in Bremen – unter anderem in Kooperation mit der Volkshochschule und den Jobcentern – auf verschiedenen Sprachniveaus. Jeweils etwa 20 arbeitslose MigrantInnen, Geduldete oder Asylberwerber könne darin ihre Deutsch-Kenntnisse verbessern. Die Kurse sind umfangreich: Sie dauern bis zu sieben Monate, fünfmal pro Woche, fünf Stunden am Tag.

Die TeilnehmerInnen lernen auch, Bewerbungen zu schreiben und können ein Praktikum machen, mit dem Ziel, die Chancen auf eine Ausbildung und Integration in den Arbeitsmarkt zu erhöhen. „Ohne ausreichende Sprachkenntnisse ist ein Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt sehr schwierig“, sagt Anja Göldenitz vom Schweriner Netzwerk Arbeit für Flüchtlinge. „Das Streichen der Kurse bedeutet einen Rückschritt in der Migrationsförderung in Deutschland.“

Hintergrund für den Antrags-Stopp ist das Auslaufen der Förderperiode des Europäischen Sozialfonds Ende 2013. Für das Sprachkurs-Programm standen laut Bundesarbeitsministerium 230 Millionen Euro zur Verfügung. Ein Nachfolgeprogramm startet erst 2015. Eigentlich sollte bis dahin noch Geld da sein: Noch im Januar wurden die Träger vom BAMF informiert, dass Kurse bis Ende September beginnen könnten. „Damit soll ein möglichst lückenloser Übergang zwischen den beiden Förderperioden sichergestellt werden“, hieß es in dem Schreiben.

Gefragtes Angebot

Sprachkurse für MigrantInnen, Asylbewerber und Flüchtlinge werden aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert und über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) koordiniert.

120.000 Menschen mit Migrationshintergrund wurden bislang bundesweit gefördert, meist Menschen, die Hartz-IV bezogen haben.

In Niedersachsen nahmen von Januar bis Ende März 2014 bereits 931 Menschen an einem solchen ESF-BAMF-Kurs teil. 2013 begannen 2.597 Personen einen Sprachkurs und 1.980 haben einen solchen beendet.

Derzeit laufen in Bremen 13 Kurse mit jeweils bis zu 20 TeilnehmerInnen.

In Hamburg starteten seit Anfang des Jahres zehn Sprachkurse mit insgesamt 175 TeilnehmerInnen. Für 264 ging 2014 ein Kurs zu Ende. 2013 begannen 1.366 Menschen einen neuen Kurs.

In Schleswig Holstein begannen 2014 209 Menschen einen Kurs, für 349 Teilnehmer lief der Kurs 2014 aus.

"Offenbar falsch kalkuliert"

Als nun der neue Brief über den Stopp der Antragsbewilligung am 1. April in ihrem Büro in Bremen eintraf, dachte Wohlers deshalb erst, es handle sich um einen Scherz. Doch das Schreiben war bitterernst: „Eine weitere Verstärkung des Mittelansatzes“ sei nach „Durchführung einer Controllingabfrage nicht absehbar“. Nur noch bereits eingegangene Kursanträge könnten bewilligt werden. Am Schluss noch ein Dank, für die „bisher geleistete gemeinsame und besonders erfolgreiche Arbeit“. Immerhin: 120.000 Menschen hätten ihre Sprachkenntnisse verbessern können.

„Offenbar wurde falsch kalkuliert“, sagt Kai Weber. Auch für das Nachfolge-Programm ab 2015 gibt es weniger Geld. Es läuft nur über drei, statt über fünf Jahre. Die begleitende Sozialarbeit und Kinderbetreuung wird gekürzt. Und: Flüchtlinge und Bleibeberechtigte, die seit 2012 auch teilnehmen durften, sind künftig nicht mehr dabei.

Flüchtlinge werden ausgeschlossen

Als Zielgruppe ab 2015 werden nur Hartz-IV-EmpfängerInnen mit Deutsch als Zweitsprache genannt – AsylbewerberInnen oder geduldete Menschen, die Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, sind damit ausgeschlossen. Das sei „ein Schlag ins Gesicht“, findet Weber.

Die Mitarbeiter des Schweriner Netzwerks Arbeit für Flüchtlinge finden in den Gemeinschaftsunterkünften oder Asylantenheimen viele Flüchtlinge, die Deutsch lernen wollen. Jetzt stoßen sie auf Verzweiflung.

Für das Bundesarbeitsministerium von Andrea Nahles (SPD), das die ESF-Mittel verwaltet, erklärte dazu Sprecher Christian Westhoff: „Es liegt in der Natur der Sache, dass ESF-Programme nicht dauerhaft unverändert fortgeführt werden“. Zudem würden Flüchtlinge anderweitig sehr wohl weiter gefördert.

Die Bundesregierung verweist dabei auf die Länder, die einfach eigene ESF-Programme auflegen sollten. Auch die Kritik an dem kurzfristigem Stopp für weitere Sprachkurse weist Westhoff zurück: „Es hatte sich für alle Beteiligten natürlich abgezeichnet, dass die Mittel wegen des großen Zuspruchs zur Neige gehen“, erklärte er der taz.

Die Lücke bis 2015 aber bleibt. Vieles müsste dann erneut aufgebaut werden, sagte eine Sprecherin von Fluchtort Hamburg Plus. Dort hofft man nun genauso wie in Bremen und Schwerin, auf eine Übergangslösung.

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6 Kommentare

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  • Zumindest braucht dann in Zukunft keiner mehr behaupten, die Migranten hätten alle "keine Lust auf Integration" und würden das Deutschlernen verweigern. Ich höre schon das rechte Drittel der Politik zetern: "Die Zahl der Teilnehmer an Integrationssprachkursen ist zurückgegangen, die Migrantencommunity zeigt überhaupt kein Engagement zur Integration!" (Natürlich ohne ein Wort über die Kürzungen.)

    Wenn mir die Angebote vor der Nase weggestrichen werden, fällt meine Motivation jedenfalls auch schlagartig in sich zusammen. Und einen Sprachkurs selbst finanzieren kann von den Betroffenen quasi niemand - erst recht nicht, wenn es um Flüchtlinge geht.

  • "Asylantenheime" ist die Terminologie von Rassisten.

  • D
    D.J.

    Natürlich ist das bedauerlich.

    Ich selbst würde allerdings überhaupt nicht auf die Idee kommen, für längere Zeit oder für immer in ein Land zu gehen, ohne vorher die Sprache zu büffeln (selbst bei Urlaubsaufenthalten habe ich mir stets zumindest einen kleinen Grundwortschatz und ggf. eine fremde Schrift angeeignet).

    Bei Asylbewerbern sieht die Sache tw. anders aus, da D als Zielland nicht immer von vornherein klar war. Zwar ist heutzutage autodidaktisches Sprachelernen kein größeres Problem mehr, doch liegt dies nicht jedem (eigenständiges Lernen will gelernt sein). Hier wäre ein ehrenamtliches Engagement von Außenstehenden sehr sinnvoll (und das meine ich ohne die seltsame Häme eines @Bernd Nicht).

    • @D.J.:

      Nicht jedes Land verfügt über genügend Sprachschulen, in denen Deutsch angeboten wird (es ist KEINE Weltsprache) und nicht in allen Ländern haben alle Menschen Zugang zum Bildungssystem - oder einen Computer. In den Integrationskursen sind häufig genug Menschen mit einem sehr eingeschränktem Bildungshorizont (2-3 Schuljahre vor X Zeiten kommt oft vor). Auch Analphabeten tauchen auf. Von diesen Menschen zu erwarten, dass sie in ihrem Heimatland, wo sie häufig noch nicht einmal die reguläre Schule besuchen durften, Deutsch bis auf den Level B1+ erlernen ist utopisch. Das heißt aber nicht, dass die dumm sind oder nicht oft über Fähigkeiten verfügen, nach denen hier die Wirtschaft laut schreit.

  • "Kein Geld für Integration"??

     

    stimmt so nicht, die Integrationsindustrie verfügt auch weiterhin über hohe Millionenbeträge