Soziologin will Integration für Deutsche: „Ich bekomme viele Hassmails“

Die Karlsruher Soziologin Annette Treibel fordert Integrationskurse auch für alteingesessene Deutsche. Der taz erklärt sie, warum.

Türken warten 24.7.1970 in einem eigens für die Abfertigung türkischer Gastarbeiter errichteten Zelt auf dem Düsseldorfer Flughafen auf ihren Flug in die Heimat.

Die Kinder der Migranten aus den 70ern werden heute noch immer gefragt, woher sie kommen und wann sie in „ihr Land“ zurückkehren Foto: dpa

taz: Frau Treibel, was macht mich zu einer guten Deutschen?

Anette Treibel: Eine gute Deutsche wäre eine Person, die realisiert hat, dass wir längst ein Einwanderungsland sind. Und für die klar ist, dass Integration nur dann funktioniert, wenn alle sie zu ihrem Projekt machen.

Auf einer Fachtagung in Rostock haben Sie kürzlich gefordert, dass es Integrationskurse für alte und neue Deutsche – also für Biodeutsche und jene mit Migrationshintergrund – geben sollte. Wie kommen Sie auf die Idee?

Das Wissen darüber, wie sich die deutsche Gesellschaft verändert hat, ist in den Köpfen und Herzen vieler Menschen noch nicht angekommen – und damit meine ich keineswegs nur Pegida-DemonstrantInnen und AfD-WählerInnen. Was stellt man mit dieser gesellschaftlichen Übergangsphase an? Viele AkteurInnen, etwa in Verbänden, Organisationen oder Firmen, suchen neue Integrationsinstrumente, weil sie mit den alten Konzepten nicht weiterkommen.

Wie könnte so ein Kurs aussehen?

Ich will die Ideen weiterentwickeln, die in den sogenannten interkulturellen Trainings praktiziert werden. In solchen Workshops sollen alte Deutsche lernen, wie AfghanInnen, SyrerInnen oder IrakerInnen ticken. Genau das soll in meinen Kursen nicht passieren. Neue Deutsche sollen in diesen Veranstaltungen selbst AkteurInnen sein, weil sie selbst längst Einheimische sind. Keine Frage allerdings, dass das keine kuschelige Veranstaltung wird.

Im landläufigen Verständnis meint Integration die Einbeziehung von Menschen oder Gruppen, die bis dato aus der Gesellschaft ausgeschlossen waren. Welche Definition von Integration legen Sie Ihrer Forderung zugrunde?

Im Grunde erinnere ich mit meiner Idee an die Uraltdefinition von Integration aus der Soziologie, die etwas in Vergessenheit geraten ist: Dass Integration nicht nur Teilhabe und Eingliederung, sondern auch Zusammenhalt meint. Und, so widersprüchlich es klingt: Zusammenhalt in einer modernen Gesellschaft heißt auch, dass es in Ordnung ist, wenn man nebeneinanderher lebt. Nicht alle müssen sich lieben. Und nicht alle EinwanderInnen müssen mit allen Biodeutschen einverstanden sein und umgekehrt. Ich denke, viele AkteurInnen in der Integrationsarbeit sind überfordert, weil sie eben das erwarten. Es wird immer Punkte geben, an denen ich sage: Hier gelange ich mit meinem Verständnis an eine Grenze. Aber das ist okay. Sich unbedingt in den anderen hineinversetzen zu wollen, hilft bei der täglichen Interaktion nicht zwingend weiter.

lehrt Soziologie an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. 2015 erschien ihr Buch „Integriert Euch! Plädoyer für ein selbstbewusstes Einwanderungsland“ im Campus-Verlag.

Manchmal werden diese persönlichen Grenzen aber auch überschritten. Was sagen Sie Menschen, die etwa fordern, ein Muslim, der einer Frau nicht die Hand geben möchte, habe sich anzupassen oder das Land zu verlassen?

Ich würde fragen: Was an der Geste ist euch so wichtig? Der Handschlag ist ein Symbol des Kontakts, deshalb verstehe ich die Irritation, wenn er verweigert wird. Aber wenn ich alle, die sich nicht so verhalten, wie ich es für richtig halte, des Landes verweisen würde, hätte ich viel zu tun. Und da wären auch viele Biodeutsche dabei.

Wen würden Sie zuerst zum Integrationskurs schicken?

Zunächst mal soll der Kurs ein Vorschlag zur Wissensvermittlung und kein Sanktionsinstrument sein. Ich würde die sogenannten IntegrationsverweigerInnen ohne Migrationshintergrund einladen und ermuntern, nicht aber verdonnern.

Wer sich jetzt schon „fremd im eigenen Land“ fühlt, den wird die Idee, einen Integrationskurs zu besuchen, wütend machen. Wie wollen Sie diese Menschen überzeugen?

Seit ich auf der Tagung den Vorschlag geäußert habe, bekomme ich viele Hassmails. Die VerfasserInnen dieser Mails – übrigens zu 95 Prozent männlich – oder hartgesottene RassistInnen kann ich mir in einem Integrationskurs nicht vorstellen. Die Ablehnung und die wütenden Reaktionen habe ich erwartet, aber nicht in diesem Ausmaß. Mir ist auch klar, dass PolitikerInnen wie Alexander Gauland oder Frauke Petry vermutlich nicht kommen würden, und wenn doch, dann nur, um Munition für ihre Tiraden zu sammeln. HauptadressatInnen der Kurse sind alle, die Informationsbedarf verspüren. Ich will niemanden bevormunden, sondern aufklären und dazu einladen, sich gemeinsam das veränderte Deutschland anzuschauen.

Wo mangelt es den Biodeutschen an Integrationsfähigkeit?

Wenn Menschen, die seit Jahren hier leben – teilweise in dritter oder vierter Generation – wegen ihrer Hautfarbe gefragt werden, woher sie kommen und wann sie in „ihr Land“ zurückkehren.

Was sollten Menschen, die heute nach Deutschland kommen, über das Land und seine Gesellschaft wissen?

Eine Idee, Wissen über Deutschland zu vermitteln, ist ja etwa, Grundgesetze auf Arabisch oder in anderen Sprachen zu verteilen. Kann man machen, aber das reicht nicht. Der Blick der Neuankömmlinge auf Deutschland wird durch Kontakte erleichtert – zu HelferInnen, zu MitschülerInnen, zu KollegInnen. Für Neuankömmlinge könnte ein solcher Integrationskurs auch eine Kontaktbörse sein, ein Ort, an dem man beginnt, die Widersprüchlichkeiten der Gesellschaft kennenzulernen. Denn moderne Gesellschaften sind ja schon ohne Zuwanderer extrem divers. Ich kann mir vorstellen, dass das für traditioneller geprägte Menschen irritierend sein kann. Dem kann man nur mit Interaktion begegnen. Das Grundgesetz kann eine wichtige Quelle sein, um das Zusammenleben hier zu verstehen. Aber ich würde es auf keinen Fall einfach verteilen und sagen: Friss oder stirb!

In Einbürgerungstest wird viel Faktenwissen abgefragt. Ist das noch zeitgemäß?

Die Frage ist nahezu rhetorisch, bekanntermaßen scheitern ja auch alte Deutsche regelmäßig an diesen Tests. Das könnte zum Beispiel ein spielerisches Element in einem Integrationskurs für alle sein: über solche Testfragen zu debattieren und Vorschläge zu erarbeiten, welches Wissen über Deutschland zeitgemäß ist.

Im Moment sind es in erster Linie die neuen Rechten, die den Diskurs in der Migrationsdebatte bestimmen. Geflüchtete, der Islam – alles ist böse und bedrohlich. Die Linke läuft in der Debatte hinterher.

Ich finde, dass die liberalen Stimmen sich stärker in den Diskurs einmischen sollten. Stramme Linke haben ja oft ein Problem damit, anzuerkennen, dass in Deutschland nicht alles schlimm ist. Und dass es okay ist, über Deutschsein und Deutschwerden zu sprechen. Diese Hemmungen erklären, dass sich die Linke oft nur in Reaktion auf rechte Provokationen zu Wort meldet.

Haben Sie eine Idee, wie wir die Diskussion über Einwanderung und Integration wieder weniger angstbelastet führen können?

Indem wir nicht nur reaktiv, sondern auch offensiv mit den Potenzialen des Zusammenlebens, aber auch mit Problemen umgehen. Wir dürfen nicht nur in Diskurse um Rassismus einsteigen, sondern sollten uns angewöhnen, auch Normalität zu thematisieren. Bio- und neue Deutsche schlagen sich ja nicht ständig die Köpfe ein, das gute Zusammenleben findet an vielen Stellen längst statt. Ich hätte mir in den letzten Jahren mehr langweilige Geschichten über Integrationserfolge gewünscht, als nur Berichte über „Ehrenmorde“. Es gibt einfach zu viel oberflächliches und skandalisiertes Wissen.

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