Soziologin über Homeoffice nach Corona: „Arbeitgeber können viel sparen“
Aus einem Recht auf Homeoffice könnte schnell eine Pflicht zum mobilen Arbeiten werden, warnt die Soziologin Anke Hassel.
taz: Frau Hassel, noch arbeiten viele Beschäftigte wegen der Coronakrise im Homeoffice. Wird das nach der Pandemie so bleiben?
Anke Hassel: Das hängt stark von der Branche, vom Beruf, aber auch vom Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab. Es gibt Beschäftigte, etwa in der Wissenschaft, die sowieso unabhängig und selbstständig ohne direkte Kontrolle durch den Arbeitgeber arbeiten. Aber es gibt viele Bereiche in der privaten Wirtschaft, in denen die Arbeitgeber viel skeptischer mit Homeoffice umgehen, weil sie den Beschäftigten nicht über den Weg trauen. Das sind Arbeitgeber, die eine direkte Kontrolle über Beschäftigte ausüben. Sie glauben, alle müssen ins Büro kommen, damit sie sie im Blick haben.
Wollen denn die Beschäftigten alle am Homeoffice festhalten?
Teils, teils. Viele haben gute Erfahrungen gemacht, viele aber nicht. Wenn ich in beengten Wohnverhältnissen lebe, die ich mit vielen Leuten teile und mich freue, jeden Morgen ins Büro gehen zu können, dann ist Homeoffice keine gute Erfahrung. Für Studierende oder Doktoranden zum Beispiel, die in WGs wohnen oder nur ein Zimmer haben, ist Homeoffice ganz furchtbar. Die sitzen auf dem Bett, schreiben ihre Texte oder nehmen an Seminaren teil und kommen aus ihrem kleinen Zimmer nicht mehr heraus. Für andere, die vielleicht lange Anfahrtswege haben zum Büro oder Betrieb, ist es sehr positiv, dass diese Wegezeit wegfällt. Für viele Menschen ist auch der soziale Kontakt im Büro wichtig.
ist Professorin für Public Policy an der Hertie School of Governance und war wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
Ist Homeoffice für Frauen mit Kindern mit beruflichen Rückschritten verbunden, weil viele von ihnen dann doch mehr für die Betreuung zuständig sind als Männer?
Das ist ein offener Punkt; das werden wir erst in einigen Jahren wissen. Es gibt Hinweise, dass Frauen durch die Pandemie, insbesondere Mütter, beruflich gelitten haben. Auf der anderen Seite hat die Phase Homeoffice auch positive Effekte für manche Familie, weil sie mehr Zeit hatte. Es gibt Befragungen, wer wie viel Erwerbsarbeitszeit reduziert und wer die Kinderbetreuung übernommen hat. Das ist nicht so geschlechtsspezifisch wie allgemein angenommen wird. Väter haben auch einen erheblichen Teil der Kinderbetreuung übernommen.
Wie können diejenigen, die positive Erfahrungen mit dem Homeoffice machen, das über die Coronakrise hinaus retten?
Der beste Weg ist, dass sich Arbeitgeber und Beschäftigte auf eine Lösung einigen. Befragungen zeigen, dass die meisten nicht komplett ins Homeoffice wollen. Sie möchten eine hybride Form des Arbeitens, bei der sie zwei Tage die Woche ins Büro kommen, weil sie da die Chefin, die Kollegen treffen und besser auf ihre Unterlagen zugreifen können. Aber sie wollen drei Tage in der Woche zu Hause arbeiten. Für die meisten ist eine hybride Arbeitsform die beste, weil sie damit die Vorteile von beidem verbinden können. Sie müssen einen Konsens finden mit dem Arbeitgeber über das mobile Arbeiten. Dabei geht es auch um die Ausstattung und die Übernahme von Kosten. Das Problem beginnt, wenn sich beide Seiten nicht einigen können.
Die Gewerkschaften fordern ein Recht auf Homeoffice.
Ich bin da skeptisch. Im Prinzip ist dieses Rechte aus Arbeitnehmersicht sinnvoll. Dann kann der Arbeitgeber den Wunsch nicht einfach ablehnen. Auf der anderen Seite löst dieses Recht nicht das zugrunde liegende Problem: ein tiefes Misstrauen der Arbeitgeber gegenüber den Beschäftigten. Selbst wenn man das Recht einfordern kann, zu Hause zu arbeiten, verbessert es nicht das Klima im Unternehmen.
Was könnte eine Lösung sein?
Man könnte zum Beispiel das Recht einführen, dass der Arbeitgeber begründungspflichtig wird, wenn er kein mobiles Arbeiten möchte. Damit würde eine Pflicht bestehen für den Arbeitgeber, sich mit dem Anliegen auseinanderzusetzen und klar zu sagen, warum das nicht geht. Über dieses Gespräch könnte eine Diskussion und das Aushandeln über die Bedingungen des mobilen Arbeitens entstehen. Wenn das Homeoffice gegen den Willen der Arbeitgeber durchgesetzt wird, wird es zu Gegenreaktionen führen. Dann gibt es ständig Kontrollanrufe oder Beschäftigte müssen auf Abruf am Computer sitzen.
Wer schlechte Erfahrungen mit dem Homeoffice gemacht hat, kann einfach zurück ins Büro oder den Betrieb, oder?
Einige Unternehmen haben erkannt, dass sie viel Geld sparen, wenn die Leute zu Hause arbeiten. Denn die meisten haben keinen vom Arbeitgeber super ausgestatteten Arbeitsplatz, die finanzieren das privat. Sie bekommen vielleicht ein Notebook, aber weder Schreibtisch noch Stuhl noch etwas anderes. Arbeitgeber können viel sparen, wenn sie auf Büros und Ausstattung verzichten. Der erste Schritt, der mir schon mehrfach begegnet ist, ist zu sagen: Wir machen jetzt Floating Desk, das heißt, unsere Beschäftigten haben keine festen Arbeitsplätze mehr, die können ja zu Hause arbeiten. Diejenigen, die ins Büro kommen wollen, müssen sich morgens umgucken, wo noch ein Schreibtisch frei ist.
Wir brauchen also ein Recht auf den Arbeitsplatz in der Firma?
Ja. Aber das ist nur schwer mit der Forderung nach dem Recht auf Homeoffice zu verbinden. Dass die Arbeitnehmerseite beides bekommt, ist unwahrscheinlich. Wenn es ein Recht auf Homeoffice gibt, werden die Unternehmen sagen: Okay, dann kriegt ihr auch die Pflicht zum Homeoffice. Dann richten wir euch keinen Arbeitsplatz in der Firma mehr ein. Das wollen aber die allerwenigsten Leute.
Sie sagen, mobiles Arbeiten kann ein Beitrag sein, um soziale Hierarchien abzubauen. Wie?
Durch die eher distanzierte Art der Zusammenarbeit entstehen neue Regeln im Umgang miteinander. Zum einen ist es viel einfacher für Menschen mit körperlicher Behinderung, sich am Büroalltag zu beteiligen, weil sie es vermittelt über den Computer und durch Online-Meetings leichter haben, daran teilzunehmen. Online-Kooperation im Team ist ein ganz anderes Format als im Büro, durch die physische Präsenz, aber auch, weil sich Menschen anders präsentieren. Platzhirsche, die zehn Minuten zu spät in ein Meeting kommen und dann alles an sich reißen, haben es in Online-Meetings schwerer, weil die Kommunikationsbasis anders ist. Gruppen, die marginalisiert sind, haben die Möglichkeit, in einer anderen Art und Weise teilzunehmen als vorher. Sehr eingefahrene Muster von Gesprächsführung lösen sich auf, einfach weil man virtuell ganz anders miteinander redet.
Kann man diese Erfahrung in die Nachcoronawelt überführen?
Nein. Zumindest nicht in die physische Welt. Wenn alle zusammen wieder in einem Raum sitzen, werden sich alle wie vorher verhalten. Ich fürchte, sobald die Coronarestriktionen vorbei sind, gehen alle zurück in ihre Büros, in ihre Konferenzen und machen so weiter wie vorher. Nur wenn man bewusst Arbeitsweisen verändert, kann etwas herübergerettet werden, zum Beispiel das mobile Arbeiten.
Wie kann das gelingen?
Die Auswirkungen müssen geklärt werden. Kann man argumentieren: Ja, ich will meinen Schreibtisch behalten, aber ich bin nur einen Tag die Woche da? Wenn viele die meiste Zeit mobil arbeiten, was bedeutet das für die, die sich freuen, wieder jeden Tag ins Büro zu gehen? Die Menschen haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Das Ziel sollte sein, diesen Unterschieden gerecht zu werden. Natürlich in einem betrieblichen Kontext, denn der Betrieb an sich hat ja auch Bedürfnisse.
Wenn man alles einfach weiterlaufen lässt, vergibt man die Chance, zu einer neuen Zusammenarbeit zu kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen