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Soziologe über rechten Libertarismus„Sie wollen so viel wie möglich vom Staat abschaffen“

Der Libertarismus ist der ideologische Rahmen für rechte Po­li­ti­ke­r*in­nen weltweit. Andreas Kemper über die rechte Aneignung des einst linken Begriffs.

Will eine anarcho-kapitalistische Gesellschaft: Javier Milei, hier bei einer Wahlkampfveranstaltung am 15. Mai in Buenos Aires Foto: dpa/AP | Rodrigo Abd
Interview von Wilfried Hippen

taz: Herr Kemper, was haben Elon Musk, Yavier Milei und Alice Weidel gemeinsam?

Andreas Kemper: Sie verbindet eine Ideologie: der Libertarismus. Sie wollen so viel wie möglich vom Staat abschaffen. Der Sozialstaat soll abgeschafft, Bildungs- und Familienministerien sollen weggeschnitten werden. ­Javier Milei geht in Argentinien noch weiter. Er will eine anarcho-kapitalistische Gesellschaft, in der überhaupt nichts Staatliches mehr übrig­bleibt und es nur noch Unternehmen gibt. ­Polizei, Militär, Bildung und Gesundheit – alles soll privatisiert werden.

taz: Gehört der Begriff Libertarismus nicht ursprünglich zur linken Terminologie?

Kemper: Ja, libertär bedeutet eigentlich etwas ganz anderes. Er kommt aus dem Sozialanarchismus und ich sehe mich selber auch in dieser Tradition. Aber in der rechten Szene wurde seine Bedeutung ins Gegenteil verwandelt. Javier Milei fordert zum Beispiel einen freien Organhandel. Für ihn wäre es Freiheit, wenn die Menschen ihre eigenen lebenswichtigen Organe kommerzialisieren. Das hat nichts mehr mit einer menschenrechtlichen Tradition zu tun.

taz: Seit einiger Zeit ist dies ja keine akademische Diskussion über politische Theorien mehr. Entspricht es nicht auch dieser Ideologie, wenn US-Präsident Donald Trump die Universitäten finanziell austrocknen und das Public Radio abschaffen will?

Bild: privat
Im Interview: Andreas Kemper

1963 in Nordhorn geboren, Publizist und Soziologe. Publiziert zu Themen wie Klassizismus, neue Rechte und Anti­feminismus.

Kemper: Ja, aber bei Trump ist es komplizierter, weil er verschiedene Gruppen von seinen Unterstützern bedienen muss. Das sind die völkischen Nationalisten mit seinen „Proud Boys“, die evangelikanischen Fanatiker und schließlich seine kapitalistischen Freunde um Elon Musk, die einen „hightech libertanism“ anstreben. Aber dazu passt seine Zollpolitik überhaupt nicht.

taz: In ihrem Gespräch mit Elon Musk vor der Bundestagswahl hat Alice Weidel die AfD als eine „libertär konservative Partei“ bezeichnet. Hat sie das gemacht, um Musk auf ihre Seite zu ziehen oder um diese Terminologie auch in Deutschland durchzusetzen?

Kemper: Bisher hatte sie ihre Partei immer als liberal konservativ bezeichnet. Aber sie kommt selber aus dieser Denkschule und innerhalb der AfD gibt es ja Richtungsstreitigkeiten. In Elon Musk hat sie einen mächtigen Menschen, der die AfD unterstützt und der diese Ideologie mit ihr teilt. Und das stärkt den libertären Flügel der Partei.

taz: Dieser Umkehrung der ursprünglichen Bedeutung des Wortes entspricht ja auch Alice Weidels absurde Aussage, Hitler wäre ein Linker gewesen.

Kemper: Ja, denn für die ist alles Sozialismus. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel war eine Sozialistin, die Kontaktbeschränkungen wegen Corona waren Seuchensozialismus, Maßnahmen gegen die Erderwärmung sind Klimasozialismus und für Javier Milei ist auch der Neoliberalismus eine Art von Sozialismus. Hans-Hermann Hoppe, einer der Vordenker der Bewegung, hat gesagt, er sehe keinen großen Unterschied zwischen dem Parteiprogramm der FDP und dem kommunistischen Manifest von Karl Marx.

taz: Sehen Sie die Gefahr, dass sich auch andere Staaten in diese Richtung verändern?

Das Podiumsgespräch

Literarischer Salon mit Andreas Kemper über den globalen Rechtsruck, 19. 5., 20 Uhr, Hannover, Conti-Foyer, Königsworther Platz 1

Kemper: Ja, zum Beispiel Großbritannien. Der Brexit ging ja auch in diese Richtung. Der Handelsberater von Boris Johnson, Shanker Singham, hat gesagt, der Brexit sei dafür da, Großbritannien für die Globalisierung zu öffnen. Ohne die Regulierungen durch die EU sollen „property zones“ geschaffen werden, also Leuchtturmstädte, zwischen denen der Handel zollfrei sein würde. Die Londoner „finance city“ wäre dann eine eigene Stadt innerhalb von London und sie würde mit Städten wie Dubai und Singapur Geschäfte machen.

taz: Und dann?

Kemper: Es geht darum, wie viel Autonomie man diesen Städten überlässt. In denen gäbe es dann immer weniger Staatlichkeit und das würde immer weniger Demokratie, Gewerkschaftsrechte sowie Umweltstandards bedeuten. Und dieses Freihäfen-Programm wird von der jetzigen britischen Regierung weitergeführt.

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3 Kommentare

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  • "Sie wollen so viel wie möglich vom Staat abschaffen" würde ich widersprechen. Zweifellos wollen sie sehr viele Bereiche des Staats abschaffen, aber nur die, die ihren Zielen (i.e. die Erhöhung des eigenen Kontostands) im Weg stehen. Paradebeispiel ist Musk, dessen Unternehmen massiv von staatlichen Aufträgen und Subventionen abhängig sind, allen voran SpaceX. Gleiches gilt für den Rest der Bubble aus superreichen, narzisstischen Technofaschisten wie Thiel, Andreessen, Friedman etc., die in Leuten wie dem Architekten Patrik Schumacher übrigens auch in Deutschland einflussreiche Anhänger haben.

    Wer sich mit diesen Leuten und den kruden, inhaltlich ziemlich belanglosen Texten der führenden Ideologen (Curtis Yarvin und Nick Land) dieser Bewegung auseinandersetzt, realisiert rasch, dass sie durchaus einen (starken) Staat haben wollen, aber er soll ausschliesslich ihren Interessen dienen. Viele von ihnen bezeichnen sich dann auch, ganz ohne Ironie, als Monarchisten.

    "L’État, c’est moi" 2.0.

  • Trumps Zollpolitik wird m.E. nicht in ihrer Zielrichtung gedeutet. Jede Disruption treibt die Entwicklung in eine Richtung, die angestrebt wird. Zerrütte und sortiere neu nach den "Regeln" der so wirksam genachten Willkür. Aufruhr ist der Brennstoff, mit dem er die Herdplatte zum Hochkochen seines Willkürbreis anheizt.

  • Natürlich ist es polemisch, wenn man libertäre Fanboys ‚Markt-Taliban‘ nennt – aber manchmal wirken sie tatsächlich wie Missionare einer einzigen wahren Lehre.