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Soziologe über Künstliche Intelligenz„Soviel Zeit nehmen wie nötig“

Florian Butollo erklärt die Grenzen Künstlicher Intelligenz. Der Arbeitswissenschaftler ist Mitglied der gleichnamigen Enquetekommission.

„Picker“ werden die MitarbeiterInnen genannt, die bei Amazon die bestellten Waren zusammentragen Foto: dpa
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Herr Butollo, so leistungsstark wie das menschliche Gehirn seien Computerprozessoren im Jahr 2025, also quasi übermorgen, sagen manche Expert*innen. Ist das nicht ein bisschen zu euphorisch?

Florian Butollo: Nein, das halten viele Leute, die sich auskennen, für realistisch. Die Rechenleistung von Computern und Programmen wächst tatsächlich exponenziell. Das Ergebnis darf man jedoch nicht mit menschlicher Intelligenz verwechseln.

Einzelne Unternehmen vergeben Sitze in ihren Führungsgremien nicht mehr an Menschen, sondern an Maschinen, die zu Künstlicher Intelligenz (KI) fähig sind. Ein Grund, die Aktien solcher Firmen schnell zu verkaufen?

Vielleicht wäre das ein guter Rat. Denn viele Entscheidungen in Unternehmen und anderen Organisationen sind so komplex, dass sie unmöglich von Maschinen getroffen werden können. Wer das trotzdem befürwortet, hängt einem eindimensionalen Verständnis menschlicher Intelligenz an. Beispielsweise die Intuition kommt darin nicht vor.

Was kann KI, was Menschen nicht beherrschen?

Sie funktioniert schon heute gut, wenn es um die schnelle Berechnung und Analyse großer Datenmengen geht. Programme, die Millionen Muster von Krebstumoren kennen, entdecken Krebszellen besser als spezialisierte Diagnostiker. Ähnliches gilt für die Gesichtserkennung, das automatische Herausfiltern von Individuen aus Menschenmengen.

privat
Im Interview: Florian Butollo

(42) sitzt in der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ des Bundestages. Die Linke hat ihn benannt. Der Soziologe und Arbeitswissenschaftler arbeitet am Weizenbaum-Institut in Berlin, das die gesellschaftlichen Auswirkungen des Internets und der Digitalisierung erforscht, und am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).

Und was kann KI grundsätzlich nicht, was Menschen ganz normal beherrschen?

Maschinen sind nicht dafür ausgelegt, ihre Kenntnisse in zahlreiche andere Bereiche zu übertragen. Ihre Transferleistung beträgt meist exakt null. Solches Denken ist dem menschlichen Hirn vorbehalten – vermutlich prinzipiell. Denn Programme dienen immer dazu, ein bestimmtes Problem zu lösen, das aber teilweise besser als Menschen. Jedoch kann die Software, die die weltbesten Go-Spieler schlägt, keine Gesichter erkennen. Dafür wurde sie nicht programmiert. Sie würde es auch nicht schaffen, den Müll rauszubringen, selbst wenn sie in einer mobilen Maschine steckte. Das Go-Programm verfügt zwar über eine immense Rechenkapazität, kann sie jedoch nur für einen einzigen Zweck einsetzen. Die menschliche Intelligenz ist ungleich vielschichtiger als die künstliche Variante.

Das soll der Begriff „schwache KI“ ausdrücken?

So ist es. Starke KI gibt es noch nicht. Humanoide Intelligenzformen stehen heute überhaupt nicht zur Debatte. Darüber sind wir uns in der Enquetekommission des Bundestages einig.

Regisseur Stanley Kubrick zeigte 1968 in seinem Film „2001: Odyssee im Weltraum“ den empfindungsfähigen Bordcomputer HAL, der mit den Astronauten kommunizierte. Das ist immer noch Utopie?

Heute kann man Chatbots wie Alexa oder Siri befehlen, sie sollen das Licht im Zimmer anschalten. Das schaffen sie auch. Sinnvoll über klassische Musik unterhalten kann man sich mit ihnen jedoch nicht. Schließlich werden die Programme nur auf bestimmte Standardsituationen und Standardantworten trainiert. Jenseits davon sind sie hilflos.

Die spezielle menschliche Intelligenz ist nicht nur geistig, sondern auch körperlich und emotional. Diese Dimension ist Maschinen und Computern weitgehend verschlossen. Wird das so bleiben?

Wenn es um Gefühle und Sensibilität geht, sind Maschinen grundsätzlich im Hintertreffen. Figuren wie das KI-System „Samantha“ im Film „Her“, in das sich der Protagonist verliebt, existieren nur in der Fiktion. Trotzdem lassen sich heute schon Bestandteile menschlichen Verhaltens nachbauen, die wirklichem sozialen Austausch ähneln. Auf Krankenpflege spezialisierte Programme können in begrenztem Umfang mit Patienten kommunizieren.

Das bedeutet, dass Tätigkeiten und Arbeitsplätze, die viel emotionale und soziale Kompetenz erfordern, von sogenannten intelligenten Maschinen auch später nur teilweise ersetzt werden?

Pflegende Tätigkeiten in Krankenhäusern oder Alteneinrichtungen sind weitgehend resistent gegen Substitution. Zwar kann die sogenannte Pflegerobotik dabei helfen, Pflegebedürftige etwa aus dem Bett zu heben, Daten über ihren Zustand zu sammeln oder für Zeitvertreib durch Spiele zu sorgen. Schwierige, tröstende Gespräche funktionieren jedoch mit Maschinen nicht. Deshalb nimmt der Bedarf an menschlicher Pflegearbeit wohl nicht ab. Wegen der größeren Zahl Pflegebedürftiger dürfte er eher wachsen.

Nennen Sie bitte weitere Berufsbilder, bei denen sich die Arbeitnehmer wenig Sorgen machen müssen, dass Künstliche Intelligenz ihre Stellen bedroht.

Möglicherweise gilt das sogar für die meisten Arbeitsplätze. Sehr viele Tätigkeiten werden sich zwar verändern, aber sie fallen nicht weg. Das betrifft auch sogenannte einfache Jobs, die angeblich stark gefährdet sind. Beispiel Amazon: Obwohl die sogenannten Picker in den Verteilzentren, die durch die Regalreihen eilen und die Sendungen zusammenstellen, wenig formale Qualifikation brauchen, sind sie schwer durch Automaten zu ersetzen. Denn die zu verpackenden Gegenstände weisen so unterschiedliche Eigenschaften auf, dass Maschinen teilweise überfordert wären.

Bis 2035 führe die Digitalisierung in der Bundesrepublik unter dem Strich nicht zum Abbau vieler Arbeitsplätze, schrieb das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit kürzlich in einer Studie. Teilen Sie diese Einschätzung?

Im Großen und Ganzen klingt das realistisch. Wir verfügen ja über Erfahrung mit Rationalisierung. In der bundesdeutschen Industrie arbeiten heute viel weniger Leute als früher, und trotzdem steigt die Zahl der Beschäftigten. Vor allem im Dienstleistungssektor entstehen mehr neue Jobs, als woanders alte abgebaut werden. Freilich sollte man ehrlich sein: Ob dieser Auffangprozess unter dem Vorzeichen der Digitalisierung so weiterläuft, wissen wir einfach nicht.

Sie plädieren dafür, die Modernisierung zu „entschleunigen“. ­Warum?

Die größte Gefahr sehe ich darin, dass wir mit Verweis auf den Standortwettkampf relativ unkritisch alles vorantreiben oder zumindest mitmachen, was technisch möglich erscheint. Aber hängt unser Wohlstand wirklich von der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz ab? Überschätzen wir nicht ihre Potenziale – und unterschätzen die Gefahren, etwa die mögliche Überwachung der Bürger durch Datensammlungen? Wir sollten versuchen, souverän und autonom darüber zu diskutieren, welche Technologien unsere Gesellschaft zu welchem Zweck anwenden will, und uns so viel Zeit nehmen wie nötig, um verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.

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5 Kommentare

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  • Fortsetzung



    Der Wille zur Macht, den alle Parteien im Bundestag, händeringend nach Inhalten suchend, praktizieren ist Steinzeitlogik und somit jenseits von Intelligenz. Ersteres weiß dies intuitiv und fürchtet letzeres, also ist ´ausufernde´ KI unerwünscht/bedrohlich oder vielleicht einfach unbegreifbar!?

    weder rechts, weder links, noch mitte



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    immer



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  • Extrem naiv könnte auch bedeuten: einfach unqualifiziert, weil seine Intuition scheinbar auf unzureichendem Wissen und unzulänglichem Erfahrungsschatz beruht, denn gerade damit arbeitet die menschliche Intuition und ist dementsprechend individuell immer eine andere. Meine Intuition, welchem Intelligenzgrad und welcher Kreativ- und Visionskompetenz auch immer entsprungen, flüsterte mir, das künstliche Intelligenz zukünftig dazu beitragen wird ( oder vielleicht besser gesagt könnte, solange sie nicht in falsche Hände gerät * ), je individuelle Intuitions- und Intelligenzniveaus anzugleichen und allgemein in`s Unendliche auszudehnen. Das muß bedeuten: menschliche und künstliche Intelligenz nicht dualistisch sondern symbiotisch zu denken - wir werden/können Wesen sein, vor denen viele sich derzeit noch fürchten: Androide Wesen im besten positiven Sinne, die frei und gleich aber nicht identisch wären, da ihre je eigene Identität sich indiviuell weiterentwickeln würde, aber gleichzeitig allen zur Verfügung stünde und sofort aktualisiert werden könnte, was z.B. der heutigen menschlichen Intelligenz unmöglich ist. Biologische Gehirne verfügen zwar über eine plastische Kompetenz, doch die möglichen Umstrukturierungen erfolgen, wie jeder Lernwillige weiß, nicht augenblicklich, sondern erfordern zeitaufwendige, repetitive Übungen. Menschliche Gehirne sind in Hinsicht auf Intelligenz nicht das Maß der Dinge, aber bei einigen reicht die Intuition aus, dieses Faktum zu erkennen und zu wissen, daß eine Steigerung möglich und nötig wäre/ist. Die deutsche Politik und ihre Beratergremien lassen gut erkennen, woran es mangelt. Einer sich permanent steigernden Intelligenz erschiene es vermutlich unangemessen, es wäre schlichtweg unvereinbar, an regressiven, repressiven, unkreativen und visionslosen Tendenzen festzuhalten. Der konservative Merkelism unterminiert Politik als reines Machtstreben statt ein Zukunftsprojekt zu repräsentieren.

  • Das gesagte ist in der minderen technischen Tiefe jetzt nicht falsch... aber natürlich könnte die KI die Go spielt auch Gesichter erkennen... prinzipiell wenn es ein normales neuronales Netz ist. Einzig die Ein und Ausgänge sind aus zu tauschen... und man muss das Netz neu trainieren.

    Auch ist diese "KI" weit weg von gegen einen Spieler zu gewinnen... die sieht kein Monitor, die muss nicht die Bilderflut analysieren, nicht einen Arm bewegenm,...

    Zum Thema Emotionen. Das ist nichts besonderes, nichts göttliches, nichts "menschliches". Das Rechnen die Neuronen in unserem Gehirn wie alles andere auch. Da gibts noch Regelschleifen mit Botenstoffen wie Adrenalin etc... aber es gibt technisch keinen Grund dies nicht auch irgendwann eine KI Rechnen kann. Zuvor müssen wir die Mechanismen im Gehirn halt erst mal verstehen.

  • Sorry, aber dieser Mensch ist extrem naiv. Seine Sätze mögen in anderen Epochen klug gewesen sein, sie sind aber durch die Entwicklungen der letzten zwei Jahren eigentlich unhaltbar geworden. Gerade da, wo angeblich Menschengehirne besser als KI sein sollen, stimmt einfach nicht mehr. Die Maschine, die in Go so gut wurde, hat sich das Spiel selbst beigebracht. Dann hörte sie, sie lernt jetzt Medizin. Und das Gespräche über klassische Musik mit KI deutlich ergiebiger und bereichender sein können als mit humanoiden Musikern, ist doch mittlerweile für jeden, der mit KI berufsmäßig zu tun hat, selbstverständlich. Dass KI besser als Bach Musik komponiert ... wurde auch schon öffentlich "demonstriert".

    • @Links van der Linke:

      Das ist ironisch gemeint?