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Sozialwissenschaftler über 10 Jahre AfD„Es fehlt die Machtperspektive“

Im Osten sei der Wandel der AfD zur rechtsextremen Partei abgeschlossen, sagt der Rechtsextremismus-Experte David Begrich.

Wenn Hetze zieht: Die AfD kam 2021 bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt auf 20,2 Prozent und wurde stärkste Oppositionspartei Foto: John Macdougall/getty images
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

wochentaz: Die AfD war am Anfang eher eine westdeutsch geprägte Professorenpartei. Haben die Ostdeutschen die Partei übernommen?

David Begrich: Nein, sie wurde von einem Netzwerk völkisch-nationalistischer Akteure übernommen, die interessanterweise in ihrer Mehrheit im Westen sozialisiert wurden, ihren gesellschaftspolitischen Resonanzraum aber im Osten gefunden haben.

Bild: privat
Im Interview: David Begrich

Jahrgang 1972, Sozialwissenschaftler und Theologe. Er arbeitet beim Magdeburger Verein Miteinander, der sich für Demokratieförderung einsetzt.

Sie meinen Leute wie Alexander Gauland, Björn Höcke, Andreas Kalbitz …

Ja, oder auch Hans-Thomas Tillschneider, der bei uns in Sachsen-Anhalt ja eine wichtige Rolle spielt. Sie sind die Schlüsselfiguren der Rechtsradikalisierung der AfD.

Wie erklären Sie sich das?

Gauland war Herausgeber der Märkischen Allgemeinen und hat einen etwas anderen Weg genommen. Aber bei den anderen wiederholt sich ein Muster, was wir in der extremen Rechten seit 1990 ganz häufig haben. Dass weltanschaulich sehr überzeugte Personen aus Westdeutschland nach Ostdeutschland gehen, weil sie dort Entfaltungsmöglichkeiten vorfinden, die es in Westdeutschland aus verschiedenen Gründen nicht gab.

Bizarrerweise mobilisieren diese Westdeutschen mit der Diktaturerfahrung der Ostdeutschen.

Ja, die AfD hat dieses Diktatur-Narrativ, also die Behauptung, sie sei die letzte Oppositionskraft, die der Totalität des politischen Systems noch was entgegenzusetzen hat, strategisch sehr erfolgreich eingesetzt. Das war für den Aufstieg der AfD wichtig.

Greift deshalb auch die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz hier nicht?

Zu glauben, man könne die AfD mit dem Verfassungsschutz irgendwie politisch zurückdrängen, ist eine westdeutsche Illusion. Im gesellschaftlichen Diskurs im Osten ist der Verfassungsschutz keine Autorität. Und aus der AfD heißt es, das sei die Stasi von heute.

Wo steht die AfD in Ostdeutschland derzeit?

Das kann man in zwei Sätzen zusammenfassen: Die AfD ist in Ostdeutschland eine bei 20 bis 25 Prozent stehende, etablierte Partei. Und der Prozess der Radikalisierung der AfD zu einer rechtsextremen Partei ist abgeschlossen.

Nach neuen Umfragen könnte die AfD in mehreren ostdeutschen Bundesländern stärkste Kraft werden, zuletzt hat sie in Mecklenburg-Vorpommern deutlich zugelegt. Woran liegt das?

Die AfD hat in Ostdeutschland schon sehr lange ein stabiles Wählermilieu, unabhängig von aktuellen Themen und Kampagnen. Das sind etwa 15 bis 20 Prozent. Und alle anderen Wählerinnen und Wähler verhalten sich volatil dazu. Für sie sind Themen und Kampagnen wichtig, zum Beispiel der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Da trifft die AfD eine Tonlage, die in Ostdeutschland auf einen anderen zeitgeschichtlichen Resonanzraum trifft, als das im Westen der Fall ist, wo ja nach wie vor die Westbindung favorisiert wird.

Ist die AfD im Osten ausmobilisiert, wie es manchmal heißt? Stößt sie bei irgendwas zwischen 25 und 30 Prozent an eine gläserne Decke?

Es hat 2016 schon Prognosen gegeben, dass die AfD mit 24 oder 25 Prozent ausmobilisiert sei. Das ist schwer zu sagen. Interessanter finde ich ohnehin die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Resonanz und die geht auch bei 24 oder 25 Prozent darüber hinaus und liegt in einigen Regionen bei 30 Prozent. Gleichzeitig gibt es ein gegenläufiges Phänomen: Auf kommunalpolitischer Ebene ist die AfD häufig ein Scheinriese.

Was heißt das?

Der Partei fehlt die sozialräumliche Verankerung in den Kommunen. Es fehlt ihr auch an kompetentem Personal für die kommunalpolitische Arbeit und die entsprechenden Karrieren.

Sie haben früher gesagt, dass eine Zusammenarbeit der AfD mit anderen Parteien, insbesondere der CDU, auf der kommunalen Ebene beginnen und von dort aus auf die Landesebene wachsen wird. Sehen Sie das also nicht mehr so?

Es gibt immer wieder Zählgemeinschaften und gemeinsame Abstimmungen, mal tauchen sie in den Medien auf, mal nicht. Man muss sich die Situation vor Ort sehr genau anschauen. Also wer stimmt mit wem, aus welchem Grund, in welchem Kontext? Es hilft ja nicht, nur die Empörungsmaschine anzuschmeißen. Natürlich muss ein gemeinsames Abstimmungsverhalten immer berücksichtigen, dass es nicht in der Situation vor Ort, aber in der politischen Rezeption die AfD stärkt. Wenn sich andere Parteien auf die ideologische Agenda der AfD einlassen, ist das ein Verlustgeschäft für die Demokratie. Immer.

Der nächste Schritt für die AfD wäre eine Regierungsbeteiligung auf Landesebene, AfD-Chefin Alice Weidel hat dies als Ziel formuliert. Halten Sie ein Bündnis mit der CDU für möglich?

Ich halte das für möglich, wenn die AfD rhetorisch, habituell und inhaltlich abrüstet. Das aber ist nicht in Sicht. Das jüngst gegründete Bündnis Deutschland ist eine zum Scheitern verurteilte Kleinstpartei, aber wenn die AfD so auftreten würde, wäre die Lage eine andere. Es fehlt der AfD die Machtperspektive. Höcke sagt dazu: In dem Moment, in dem wir uns pragmatisch verhalten, verlieren wir an Resonanz als Bewegungspartei, weil wir uns dem System anpassen. Aber wenn die Partei eine Machtoption haben will, dann wird sie sich auf machtpragmatische Mechanismen einlassen müssen. Und natürlich hängt alles auch an den handelnden Personen.

Was meinen Sie damit?

Zur Zusammenarbeit braucht es Schnittstellen zwischen Personen, also persönliche Sympathien oder gemeinsame Haltungen. Gerade hier in Sachsen-Anhalt war das in einigen Fällen in der Vergangenheit offenkundig der Fall. Im Moment geht es in eine gegenläufige Richtung: Abgrenzung.

Pauschal gesagt ist die AfD im Westen zerstritten, im Osten geschlossen. Woher kommt das?

Das ist natürlich das Bild, das die AfD im Osten gerne verbreitet. Aber Höcke hat auf seiner Erfolgsspur politisch viele kaltgestellt, das darf man nicht vergessen. Erfolg reduziert das Konfliktpotenzial zunächst einmal. Zwischen einem Landesverband wie Schleswig-Holstein, in dem ja offenkundig überhaupt nichts funktioniert, und Sachsen-Anhalt liegen Welten. Auf der anderen Seite zeigt der Landesverband Brandenburg, dass es auch im Osten Auseinandersetzungen und Unwuchten gibt.

Derzeit nehmen Proteste gegen Geflüchtete und Unterkünfte für sie wieder zu, Grevesmühlen in Mecklenburg ging gerade durch die Medien. Gauland hat 2015 Flüchtlinge als „Geschenk“ für die AfD bezeichnet – ist das wieder der Fall?

Die AfD profitiert von Formaten rassistischer Mobilisierung. Aber sie hat sowohl ein kooperatives als auch ein konkurrierendes Verhältnis zu diesen, wie das Beispiel der Freien Sachsen zeigt. Da sagen manche auch: „Ihr seid eigentlich im Parlamentarismus angekommen und seid die jüngste der Altparteien.“ Aber natürlich ist die AfD ein wichtiger Schlüsselmultiplikator, wenn es um die Mobilisierung geht.

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16 Kommentare

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  • Regression ins Stammesleben ist eine Naturkonstante -



    u. die Natur lässt sich nicht zurückdrängen.

  • Wow, gleich zwei Interviews zum 10. Geburtstag der AfD hier in der taz. Ist das nicht ein bisschen zu viel der Ehre?



    Mein persönlicher Geburtstagswunsch an die Adresse der braunen Gesellen: möge die Partei das Erwachsenenalter niemals erreichen.

  • Die AfD hat hier im Osten kein stabiles Niveau von 20-25%. Es gibt immer abgehängte Regionen wie die unsere wo die AfD bei fast 40% liegt und dann die urbanen Zentren wo es ganz anders aussieht. Da kommt dann insgesamt 20-25% bei raus aber der Gesamtwert verschleiert nur das eigentliche Problem.



    Wer die AfD im Osten bekämpfen will, müsste etwas gegen die Abwanderung in den abgehängten Regionen in Ostdeutschland tun. Die Metropolregionen Dresden und Leipzig mit uns in Ostsachsen in einen Topf werfen und einmal kräftig umrühren, führt geradezu zwangsläufig zu Fehlschlüssen wie in diesem Artikel.



    Es würde natürlich ebenfalls helfen, wenn die CDU etwas weiter nach rechts rücken würde um endlich wieder ihre alten Stammwähler anzusprechen. Bei uns im Ort sind fast alle AfD Lokalpolitiker und mindestens die Hälfte deren Wähler eigentlich Stamm-CDU Klientel. Frau Dr. Merkel hat diese Wähler für Stimmen in den Großstädten über Bord geworfen und wir müssten Herrn Merz in einer Sänfte zu einem konservativen Rollback in der CDU tragen. Ich hatte damals wirklich gehofft, als die CSU damit gedroht hatte jetzt auch in anderen Bundesländern anzutreten. Die würden bei uns hier aus dem Stand 10-20% holen. Eigentlich wären Wahlerfolge gegen die AfD hier sogar relativ einfach. Wir Linken haben nur leider gar keinen Zugang mehr zu der Klientel die dann angesprochen werden müsste.

    • @Šarru-kīnu:

      "Wer die AfD im Osten bekämpfen will, müsste etwas gegen die Abwanderung in den abgehängten Regionen in Ostdeutschland tun."



      Man fühlt sich abgehängt weil die Leute abwandern, hetzt dann aber gegen Leute die möglicherweise zuziehen würden und pflegt damit ein Image das mich als gesuchte Fachkraft für eine Firma in diesen Regionen allenfalls Remote anheuern lassen würde.

    • @Šarru-kīnu:

      Sehr interessanter Kommentar!

  • Ich habe nichts für die AgD übrig- nichts.



    Ich halte sie für sehr gefährlich. Brandgefährlich.



    Es fing mit Lucke an und hat bei Weidel und Bernd Höcke gendet.



    Hätte man diese Radikalisierung verhindern können, indem man Koalitionen mit dieser Partei eingegangen wäre?



    Vielleicht würde es diese "Partei" dann gar nicht mehr geben..?!



    Also, sie nähren sich von Ausgrenzung.

    Das hat übrigens eine Person gesagt, von der ich insgesamt so wenig halte wie von den "Corega Tabs", und ich frage mich, warum die nicht bei denen ist. Sahra Wagenknecht.

    • @Rasmuss:

      Wahrscheinlich haben Sie recht, aber wer will sich das antun? ICH wäre auch sehr dafür, wenn sich ein Bundesland (Vielleicht das Saarland, das ist im bundesdeutschen Kontext nicht so wichtig) finden würde, das mal als „Versuchslabor“ für 5 Jahre Alleinregierung der AFD herhalten würde. Vermutlich würden Sie sich selbst entzaubern. Allerdings weiß das die Mehrheit der AFD Wähler wohl auch- trotzdem wird sie von diesen Menschen weiter gewählt…

      • @Gregor von Niebelschütz:

        Seltsames Experiment, was Sie da vorschlagen.



        Also ich bin ja kein Saarländer … seien Sie bloß froh!



        Vermutlich liest hier eh keiner mit, sonst 😡… wahrscheinlich ist das Saarland doch zu unbedeutend.😁

  • Ich kann diese „Ausreden“ für das ostdeutsche Wahlverhalten nicht mehr hören, damit nimmt man auch (meiner Meinung nach) die Wahlmotive nicht ernst. JEDES Mal bei JEDER ostdeutschen Landtagswahl lassen sich Themen und Ausreden finden, bzw. hören, warum eine Vielzahl an ostdeutschen Wählern Nazis in die Parlamente wählen: „Die Transformation nach der Wende“, „abgehängte Gebiete“, „die Ostdeutschen sind nicht an Migration gewöhnt“, „die Ostdeutschen stehen Russland schon immer sehr nah“, blablabla…

    Wie wäre es denn damit: Ca. 20-25% der ostdeutschen Wähler sind offensichtlich Ausländerfeindlich und wählen dementsprechend eine rechtsradikale Partei. Ich will mir einfach keine Entschuldigungen oder Erklärungen anhören, warum man Nazis wählt.

    • @Gregor von Niebelschütz:

      Glauben Sie denn, die Einstellungsmuster für xenophobe Haltungen sind regional so verschieden, so dass es beispielsweise in CDU-Hochburgen wie dem Münsterland quantitativ weniger Fremdenfeindlichkeit als, sagen wir, im Erzgebirge gibt, einer AfD-starken Region? Der Frage müsste man mal analytisch nachgehen.



      Doch halt, es gibt ja die These, konservativ-katholische Millieus seien irgendwie “faschismusresistenter” als die preußisch-protestantisch geprägten Bevölkerungsgruppen … das würde womöglich die höheren Zustimmungswerte für die AfD in Ostdeutschland erklären. Wenn die These denn stimmen sollte. Wer weiß da mehr?

    • @Gregor von Niebelschütz:

      Es ist sinnvoll, sich die Erklärungen a zuhören. Nur so kann gehandelt werden.



      Empfehle eine Fahrt in die ostdeutsche Provinz, abseits der Touriorte.



      Verändert das Weltbild, versprochen.

    • @Gregor von Niebelschütz:

      Ich glaube Sie verwechseln Begründungen und Rechtfertigungen (Ausreden) Niemand in diesem Interview hält die Positionen der AfD-wähler*innen für legitim. Es wird lediglich versucht die Gründe dafür zu erläutern.

      "Wie wäre es denn damit: Ca. 20-25% der ostdeutschen Wähler sind offensichtlich Ausländerfeindlich und wählen dementsprechend eine rechtsradikale Partei" -Ich stimme Ihnnen völlig zu

      • @syle x:

        Ausländerfeindlichkeit ist im Zweifel kein Phänomen per se. Sie heutzutage vor sich selbst zu rechtfertigen, ist ja nicht mehr so einfach wie noch vor 70 Jahren. Wer trotzdem einer ausdrücklich xenophoben Agenda hinterherhechelt, hat im Zweifel zwei Dinge: Angst und den Anspruch, dass es ihm eigentlich besser gehen sollte.

        Daher kommen die Ressentiments, die für so ziemlich jede über stereotype Feindbilder definierte Demagogie den besten Nährboden hergeben. Unterdrückt man die Auslänmderfeindlichkeit, findet sich das nächste Angriffsziel. Von daher ist es schon sinnvoller, mehr Augenmerk darauf zu richten, welche Grundursachen eine Extremisierung größerer Wählerklientele hat.

        • @Normalo:

          "Angst und den Anspruch, dass es ihm eigentlich besser gehen sollte."



          Nur was tun? Über die Jahre sind rund 2 Billionen € von West nach Ost geflossen und die Leute fühlen sich noch immer zu kurz gekommen und haben Angst. Braucht es vielleicht flächendeckende Psychotherapie um das mal gründlich aufzuarbeiten?

          • @Ingo Bernable:

            Gute Frage - mit "Die sollen sich mal nicht so haben." nur leider nicht effektiv zu beantworten. Ich bin kein Experte, der die Verhältnisse vor Ort kennt und daher jetzt die richtige Lösung parat hätte. Nur dass es mit der Fehlersuche bei den AfD-Wählern und sonstigen Rechtsauslegern nicht getan ist, das würde ich unterschreiben.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    >>Wenn sich andere Parteien auf die ideologische Agenda der AfD einlassen, ist das ein Verlustgeschäft für die Demokratie. Immer.>Zur Zusammenarbeit braucht es Schnittstellen zwischen Personen, also persönliche Sympathien oder gemeinsame Haltungen.>Im Moment geht es in eine gegenläufige Richtung: Abgrenzung.