Sozialwissenschaftler über 10 Jahre AfD: „Es fehlt die Machtperspektive“
Im Osten sei der Wandel der AfD zur rechtsextremen Partei abgeschlossen, sagt der Rechtsextremismus-Experte David Begrich.
wochentaz: Die AfD war am Anfang eher eine westdeutsch geprägte Professorenpartei. Haben die Ostdeutschen die Partei übernommen?
David Begrich: Nein, sie wurde von einem Netzwerk völkisch-nationalistischer Akteure übernommen, die interessanterweise in ihrer Mehrheit im Westen sozialisiert wurden, ihren gesellschaftspolitischen Resonanzraum aber im Osten gefunden haben.
Jahrgang 1972, Sozialwissenschaftler und Theologe. Er arbeitet beim Magdeburger Verein Miteinander, der sich für Demokratieförderung einsetzt.
Sie meinen Leute wie Alexander Gauland, Björn Höcke, Andreas Kalbitz …
Ja, oder auch Hans-Thomas Tillschneider, der bei uns in Sachsen-Anhalt ja eine wichtige Rolle spielt. Sie sind die Schlüsselfiguren der Rechtsradikalisierung der AfD.
Wie erklären Sie sich das?
Gauland war Herausgeber der Märkischen Allgemeinen und hat einen etwas anderen Weg genommen. Aber bei den anderen wiederholt sich ein Muster, was wir in der extremen Rechten seit 1990 ganz häufig haben. Dass weltanschaulich sehr überzeugte Personen aus Westdeutschland nach Ostdeutschland gehen, weil sie dort Entfaltungsmöglichkeiten vorfinden, die es in Westdeutschland aus verschiedenen Gründen nicht gab.
Bizarrerweise mobilisieren diese Westdeutschen mit der Diktaturerfahrung der Ostdeutschen.
Ja, die AfD hat dieses Diktatur-Narrativ, also die Behauptung, sie sei die letzte Oppositionskraft, die der Totalität des politischen Systems noch was entgegenzusetzen hat, strategisch sehr erfolgreich eingesetzt. Das war für den Aufstieg der AfD wichtig.
Greift deshalb auch die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz hier nicht?
Zu glauben, man könne die AfD mit dem Verfassungsschutz irgendwie politisch zurückdrängen, ist eine westdeutsche Illusion. Im gesellschaftlichen Diskurs im Osten ist der Verfassungsschutz keine Autorität. Und aus der AfD heißt es, das sei die Stasi von heute.
Wo steht die AfD in Ostdeutschland derzeit?
Das kann man in zwei Sätzen zusammenfassen: Die AfD ist in Ostdeutschland eine bei 20 bis 25 Prozent stehende, etablierte Partei. Und der Prozess der Radikalisierung der AfD zu einer rechtsextremen Partei ist abgeschlossen.
Nach neuen Umfragen könnte die AfD in mehreren ostdeutschen Bundesländern stärkste Kraft werden, zuletzt hat sie in Mecklenburg-Vorpommern deutlich zugelegt. Woran liegt das?
Die AfD hat in Ostdeutschland schon sehr lange ein stabiles Wählermilieu, unabhängig von aktuellen Themen und Kampagnen. Das sind etwa 15 bis 20 Prozent. Und alle anderen Wählerinnen und Wähler verhalten sich volatil dazu. Für sie sind Themen und Kampagnen wichtig, zum Beispiel der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Da trifft die AfD eine Tonlage, die in Ostdeutschland auf einen anderen zeitgeschichtlichen Resonanzraum trifft, als das im Westen der Fall ist, wo ja nach wie vor die Westbindung favorisiert wird.
Ist die AfD im Osten ausmobilisiert, wie es manchmal heißt? Stößt sie bei irgendwas zwischen 25 und 30 Prozent an eine gläserne Decke?
Es hat 2016 schon Prognosen gegeben, dass die AfD mit 24 oder 25 Prozent ausmobilisiert sei. Das ist schwer zu sagen. Interessanter finde ich ohnehin die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Resonanz und die geht auch bei 24 oder 25 Prozent darüber hinaus und liegt in einigen Regionen bei 30 Prozent. Gleichzeitig gibt es ein gegenläufiges Phänomen: Auf kommunalpolitischer Ebene ist die AfD häufig ein Scheinriese.
Was heißt das?
Der Partei fehlt die sozialräumliche Verankerung in den Kommunen. Es fehlt ihr auch an kompetentem Personal für die kommunalpolitische Arbeit und die entsprechenden Karrieren.
Sie haben früher gesagt, dass eine Zusammenarbeit der AfD mit anderen Parteien, insbesondere der CDU, auf der kommunalen Ebene beginnen und von dort aus auf die Landesebene wachsen wird. Sehen Sie das also nicht mehr so?
Es gibt immer wieder Zählgemeinschaften und gemeinsame Abstimmungen, mal tauchen sie in den Medien auf, mal nicht. Man muss sich die Situation vor Ort sehr genau anschauen. Also wer stimmt mit wem, aus welchem Grund, in welchem Kontext? Es hilft ja nicht, nur die Empörungsmaschine anzuschmeißen. Natürlich muss ein gemeinsames Abstimmungsverhalten immer berücksichtigen, dass es nicht in der Situation vor Ort, aber in der politischen Rezeption die AfD stärkt. Wenn sich andere Parteien auf die ideologische Agenda der AfD einlassen, ist das ein Verlustgeschäft für die Demokratie. Immer.
Der nächste Schritt für die AfD wäre eine Regierungsbeteiligung auf Landesebene, AfD-Chefin Alice Weidel hat dies als Ziel formuliert. Halten Sie ein Bündnis mit der CDU für möglich?
Ich halte das für möglich, wenn die AfD rhetorisch, habituell und inhaltlich abrüstet. Das aber ist nicht in Sicht. Das jüngst gegründete Bündnis Deutschland ist eine zum Scheitern verurteilte Kleinstpartei, aber wenn die AfD so auftreten würde, wäre die Lage eine andere. Es fehlt der AfD die Machtperspektive. Höcke sagt dazu: In dem Moment, in dem wir uns pragmatisch verhalten, verlieren wir an Resonanz als Bewegungspartei, weil wir uns dem System anpassen. Aber wenn die Partei eine Machtoption haben will, dann wird sie sich auf machtpragmatische Mechanismen einlassen müssen. Und natürlich hängt alles auch an den handelnden Personen.
Was meinen Sie damit?
Zur Zusammenarbeit braucht es Schnittstellen zwischen Personen, also persönliche Sympathien oder gemeinsame Haltungen. Gerade hier in Sachsen-Anhalt war das in einigen Fällen in der Vergangenheit offenkundig der Fall. Im Moment geht es in eine gegenläufige Richtung: Abgrenzung.
Pauschal gesagt ist die AfD im Westen zerstritten, im Osten geschlossen. Woher kommt das?
Das ist natürlich das Bild, das die AfD im Osten gerne verbreitet. Aber Höcke hat auf seiner Erfolgsspur politisch viele kaltgestellt, das darf man nicht vergessen. Erfolg reduziert das Konfliktpotenzial zunächst einmal. Zwischen einem Landesverband wie Schleswig-Holstein, in dem ja offenkundig überhaupt nichts funktioniert, und Sachsen-Anhalt liegen Welten. Auf der anderen Seite zeigt der Landesverband Brandenburg, dass es auch im Osten Auseinandersetzungen und Unwuchten gibt.
Derzeit nehmen Proteste gegen Geflüchtete und Unterkünfte für sie wieder zu, Grevesmühlen in Mecklenburg ging gerade durch die Medien. Gauland hat 2015 Flüchtlinge als „Geschenk“ für die AfD bezeichnet – ist das wieder der Fall?
Die AfD profitiert von Formaten rassistischer Mobilisierung. Aber sie hat sowohl ein kooperatives als auch ein konkurrierendes Verhältnis zu diesen, wie das Beispiel der Freien Sachsen zeigt. Da sagen manche auch: „Ihr seid eigentlich im Parlamentarismus angekommen und seid die jüngste der Altparteien.“ Aber natürlich ist die AfD ein wichtiger Schlüsselmultiplikator, wenn es um die Mobilisierung geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist