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Sozialpsychologe über Klimaschutz„Wir brauchen kollektive Lösungen“

Sollte man Menschen die angsteinflößenden Wahrheiten über die Klimakrise zumuten? Ja, meint der Sozialpsychologe Immo Fritsche.

Ein Lastenrad macht noch keinen Kimaschutz Foto: imago
Interview von David Zauner

taz: Herr Fritsche, oft wird denen, die vor der Klimakrise warnen, Alarmismus vorgeworfen. Zu Recht?

Immo Fritsche: Alarmistisch finde ich den Diskurs überhaupt nicht. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass in der breiten Gesellschaft Alarmstimmung herrscht. Im Gegenteil: Der Ernst der Lage ist noch viel zu wenig präsent. Erstaunlich eingeschlafen kommt mir der Diskurs über unsere Konsummuster und unsere Lebensstile vor. Vieles muss sich für eine klimagerechte Transformation grundlegend ändern.

Läuft man nicht Gefahr, dass es eher lähmt, wenn man zu viel Angst schürt?

Bild: privat
Im Interview: 

ist Professor für Sozialpsychologie an der Uni Leipzig. Er forscht zu Prozessen kollektiven Denkens und Handelns.

Schon in den 1940er und 50er Jahren gab es Untersuchungen dazu, ob sogenannte Furchtappelle erfolgreich sind, beispielsweise im Bereich Gesundheitsverhalten. Also, ob sie dazu führen, dass sich Menschen gesund ernähren und regelmäßig zum Arzt gehen. In den frühen Jahren der Forschung ging man davon aus, dass eine umgekehrte U-förmige Funktion das Verhältnis von Furchtintensität und Handlungsbereitschaft beschreibt.

U-förmig? Was meinen Sie damit?

Wenn man wenig furchteinflößend kommuniziert, reagieren Menschen nicht – aber auch nicht, wenn man zu viel Furcht kommuniziert. Dann erstarren sie. Neuere Forschung widerspricht dem aber. Über viele Studien hinweg zeigt sich, dass Furchtkommunikation eher einen linearen Effekt auf die Handlungsbereitschaft hat. Also: Je mehr Furcht, desto höher die Handlungsbereitschaft. Dieser Effekt ist jedoch ziemlich klein. Er wird wesentlich stärker, wenn auch Problemlösungen mitgeliefert werden.

Die eigene Gesundheit kann man leichter beeinflussen als den Klimawandel. Lässt sich das überhaupt übertragen?

Wie schlimm wird die Klimakrise – und was hilft?

Das Problem

Seit der Industrialisierung verpestet die Menschheit, vor allem im Globalen Norden, die Atmosphäre im großen Stil mit Treibhausgasen – und die Temperatur auf der Erde steigt. Das hat ein Wetterchaos ausgelöst: Es gibt fast überall auf der Welt mehr und intensivere Hitzewellen, Wirbelstürme werden stärker, in manchen Regionen bleibt das Wasser aus. Bislang beträgt die Erderhitzung rund 1,2 Grad. Laut Pariser Weltklimaabkommen soll bei 1,5 Grad Erderhitzung Schluss sein. Dass das klappt, ist zwar theoretisch noch nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich, wie kürzlich etwa eine Studie der Uni Hamburg ergeben hat. Zu langsam reagiert die Menschheit auf die Gefahr. Eine Umfrage unter führenden Klimawissenschaftler:innen des Weltklimarats (IPCC) hatte ergeben: Die meisten gehen von einer Erderhitzung von 3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts aus. Mit jedem Zehntelgrad verschärft sich die Lage, wird das Wetter tödlicher – entweder unmittelbar wie im Falle von Wirbelstürmen und extremer Hitze oder auch indirekt, weil etwa Dürren Ernten zerstören und so Hungersnöte verstärken. Es droht zudem, dass sogenannte Kipppunkte erreicht werden, an denen Teile des Klimasystems unumkehrbar kollabieren.

Die Lösung

Um das 1,5-Grad-Limit einzuhalten, müssten sich die globalen CO2-Emissionen bis 2030 praktisch halbieren, um 2050 bei null zu liegen. Alle klimaschädlichen Geschäftsmodelle und Lebensweisen müssen also drastisch abnehmen. Das heißt zum Beispiel: Kohle- und Gaskraftwerke müssen abgestellt, die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden. Es darf nicht mehr so viele Autos und vor allem Autofahrten und Flüge geben. Häuser müssen besser gedämmt sein, damit nicht so viel Heizenergie verschwendet wird – und diese muss aus erneuerbar betreibbaren Quellen wie Wärmepumpen kommen. Die Zahl von Nutztiere muss abnehmen. Außerdem muss die Menschheit der Atmosphäre CO2 entziehen, unter anderem durch mehr gesunde Wälder und Moore, aber auch durch Technologien. Deren Kapazität wird aber nach bisherigen Schätzungen nicht besonders groß sein – von der radikalen Senkung der Emissionen erlösen sie also nicht.

Kann ich nicht doch auch privat etwas tun?

Etwa eine Tonne CO2 steht jedem Menschen auf der Erde jährlich zu – so viel würde die Erde bequem vertragen. Die durchschnittsdeutsche Person stößt aber rund das Zehnfache aus. Ganz selbst beheben kann man das nicht, denn ein Teil der Emissionen ist auf die öffentliche Infrastruktur zurückzuführen. Was aber doch deutlich ins Gewicht fällt: der Verzicht auf Flugreisen, der Verzicht auf tierische Lebensmittel, der Umstieg auf Ökostrom. Falls man die Möglichkeit dazu hat, bietet sich auch die Dämmung von Wohnung oder Haus an sowie der Abschied von Öl- oder Gasheizung. (scz)

Das stimmt. Ich als Individuum kann nicht morgens aufstehen und sagen, ich stoppe jetzt den Klimawandel. Das ist ein inhärentes Problem bei globalen und sozial komplexen Krisen. Handlungsfähig ist nicht das Individuum, sondern die Gemeinschaft der Individuen – das Kollektiv.

Welche Lösungen kann man denn da anbieten, die nicht die Illusion füttern, das Problem sei mit ein bisschen Mülltrennen zu beheben?

Es ist eine Eigenart unserer Psyche, dass wir uns selbst in vielen Situationen nicht so sehr über unsere individuellen Einzigartigkeiten definieren, sondern als Mitglieder von Gruppen. Wir haben die Fähigkeit, als Kollektiv zu denken und zu handeln. Lösungen müssen kollektiv gedacht werden und nicht nur auf individueller Ebene. Möglicherweise ist es also relevanter, Politik zu unterstützen, die zu einer klimagerechten Transformation führt, statt im Alltag zu recyceln oder kürzer zu duschen.

Aber warum passiert das nicht?

Menschen müssen darauf vertrauen, dass das Kollektiv, dem sie sich zugehörig fühlen, in der Lage und willens ist, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Das sind also zwei wichtige Ansätze: kollektives Denken und ein Fokus auf die Schaffung neuer gesetzlicher Regelungen und Anreizsysteme anstatt nur auf den individuellen Alltag. Beides entgegnet der individuellen Hilflosigkeitswahrnehmung.

Gerade an dem Vertrauen in das Kollektiv scheint es zu mangeln.

Das stimmt. Es gibt einen überwältigenden Konsens in den meisten Gesellschaften, dass der Klimawandel ein riesiges Problem ist und dass dieses Problem angegangen werden muss. Einzelne unterschätzen das drastisch, dazu gibt es interessante Studien.

Wie lässt sich das Vertrauen stärken?

Es ist wichtig, auf diese breiten Mehrheiten hinzuweisen. Sowohl in den Medien als auch im Alltag. Jeder Einzelne kann darüber sprechen, dass ihm der Klimawandel Sorgen und das geringe Tempo im Klimaschutz Ärger bereitet. Viele haben Angst, die gute Laune zu verderben, wenn sie über den Klimawandel sprechen. Derweil teilen viel mehr Menschen diese Ansicht, als man denkt. Darüber sprechen hilft.

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7 Kommentare

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  • Nun, ich weiß nicht, wie viel Furcht ich haben sollte - um den Hysterikern endlich zu folgen. Wahrscheinlich sind sie noch nicht hysterisch genug - denn bei mir regt sich durch ihr Verhalten GAR NICHTS.

    Aber vielleicht liegt es ja auch daran, dass ich bisher ohnehin immer nur tat - und dementsprechend auch mache -, was ich für richtig hielt und halte. Und dazu brauchte ich niemals Belehrung.

    Ich habe zu anderen Zeiten, als alle taten, was man von ihnen verlangte - nämlich beim Militär -, meine Unterstützung verweigert. Und was soll ich sagen: Am schlimmsten waren damals NICHT unsere Vorgesetzten, sondern ausgerechnet die, die ebenso ungern ihren Dienst geleistet haben wie ich.

    Und auch sonst im Leben habe ich stets nur gemacht, was ich für richtig hielt und halte: Ich werfe keine Lebensmittel weg. Im Gegenteil: Ich bin sogar das "Hausschwein" der Familie.

    Ich halte Friede mit meinen Nachbarn und wie ich mich einst um meine Kinder gekümmert - kümmere ich mich heute auch um meine Enkel. Auch habe ich mein Leben stets in Arbeit verbracht und nie auf Kosten anderer gelebt. Ja, selbst als wohlverdienter Rentner sorge ich noch selbst um mein Brot - indem ich noch immer VOLLBESCHÄFTIGT arbeite.

    Ich gehöre auch nicht zu denen, die demonstrieren und davon schwadronieren, was man machen soll(te). Nein, ich tue es eben einfach - ohne Tamtam. Weil sich vom bloßen Reden NOCH NIE hat was geändert ...

    Ja, ich geb's zu, dass mich das Gelärme eigentlich einfach nur noch nervt. Und wenn ich mit Kollegen darüber rede, stelle ich fest, dass denen das ebenso geht wie mir.

    Wir haben viel zu viele Schwätzer im Land, doch leider nur wenige, die wirklich handeln ...

  • 6G
    658526 (Profil gelöscht)

    ich empfehle als eingangslektuere das kleine buechlein von jonathan franzen: wann hoeren wir auf, uns etwas vorzumachen?

    erst dann wird sich was tun.....

  • Naja, das eine sind Positionen und weitere Punkte sind ein tieferes Verständnis darüber, wie schlimm es ist - auch in der Breite - und wodurch es verusrsacht wird, was die Lebensweise damit zu tun hat und dann gibt es noch die Handlungsebene. Eine grundsätzlich positive Haltung zu Klima- und Umweltschutz gibt es sicherlich. Dass aber viele ein tieferes Verständnis hätten, würde ich bezweifeln. Naja, und dass sowohl politisch als auch persönlich kaum etwas verändert wird, ist ja im Alltag beobachtbar. 98 % konsumieren Tierprodukte, obgleich vegan einfach ist und nicht teurer als unvegan sein muss. Es gibt 48 Mio. Autos in Deutschland und Staus auf den Straßen. Geflogen wird wie eh und je bzw. manche meinen, nach Corona etwas "nachholen zu müssen". Parteiagieren wird teils nicht durchschaut bzw. Umwelt und Klima scheinen bei Wählen unwichtiger. Es werden Parteien wie SPD, CDU, CSU, FDP, AFD gewählt, die das Thema gar nicht bedienen oder es hinten anstellen. Ich habe den Eindruck, wenn es darauf ankommt, ist vielen Menschen Klima-, Unweltschutz, Schutz der Lebensgrundlagen doch nicht so wichtig. Wie im Kindergarten heißt es dann manchmal: "Ich will aber! Die Ander'n haben aber auch!" oder gegen eine Maßnahme argumentieren, weil eine andere Maßnahme viel besser wäre, mit dem Ergebnis, dass gar nichts passiert. Und ja, mittlerweile angesichts der Untätigkeit bzw. falschen Tätigkeit sind einige Maßnahmen viel zu lasch und es müsste radikal gehandelt werden. Letzteres findet dann aber noch weniger Zuspruch. Während also rumdiskutiert und kaum etwas geändert wird, geht es quasi ungebremst auf den Abgrund zu. Also sapiens/weise ist das nicht.

    • @Uranus:

      Es gibt auch Lösungen diesseits der Perfektion. Ich esse auch Tierprodukte, aber nur wenige. Wenn wir alle weniger davon essen würden, wäre das auch schon ein Fortschritt.

      Man kann nicht von allen alles verlangen, das führt nur zu mehr Polarisierung und unter dem Strich ändert sich nichts. Menschen ändern sich nicht von jetzt auf gleich. Das ist eine Entwicklung, die Generationen dauert.

      In der Regel ändern sich wesentliche Dinge erst, wenn die einen nicht mehr da sind und andere da sind. Wenn man mehr fordert, produziert man nur Trotz. Besser nur 25 Gramm Fleisch in einer Mahlzeit als 200 Gramm, da muss man nicht radikal werden und vielen reicht das dann immer noch und es schmeckt ihnen.

      Seid einfach mal etwas gelassener und habt mehr Geduld. Geht es hier um Prinzipien oder um Fakten?

      • @Mustardman:

        Weniger ist immer besser. Ob gut, ausreichend ist dann eine andere Frage. Über eine massive Reduzierung aufgrund ökologischer Gründe sind wir uns offenbar einig. Wobei ich hier ergänzen würde, dass nicht bloß Fleisch problematisch ist, sondern auch bspw. Käse und Butter. Bei der Buttererzeugung werden sogar mehr Treibhausgase ausgestoßen als bei der Rindfleischprodktion(!).[1] Und dann geht es eben auch um den Flächenverbrauch ...



        Eine weitere Perspektive ist die der Tierethik, also die Bewertung des menschlichen Umgangs mit Tieren. Und da geht es aus der Sicht der Tierrechte/Tierbefreiung um Prinzipien.[2][3]



        [1] utopia.de/ratgeber...msten-fuers-klima/



        [2] de.wikipedia.org/wiki/Tierrechte



        [3] de.wikipedia.org/wiki/Tierbefreiung

  • thats it.!!

    Kurz und bündig: wir müssen die katastrophalen Szenarien, die sich (je nach Grad der Erhitzung) abzeichnen schonungslos und aller realistischer Konsequenz vor das Auge der Mehrheitsgesellschaft bringen. Bisher geschieht dies vlt in arte Dokus...aber nicht auf der großen Bühne. Und (ganz wichtig.!!) jede dieser Darstellungen muss immer in dem Kontext präsentiert werden: wir können es noch abwenden..

    Nur so kann die Menschheit wirksam aktiviert werden.

    Danke für diesen Beitrag.!!