Sozialer Ausgleich an den Universitäten: Das Studium als Klassenfrage
Studierende aus Arbeiter*innenfamilien sind an Universitäten unterrepräsentiert. Eine Bafög-Reform ist überfällig.
A ngst vor der nächsten Klausur? Für viele Studierende aus Arbeiter*innenfamilien wiegt die Klassenfrage schwerer als der Notendruck.
Bereits unter den Studienanfänger*innen ist der Anteil der Studierenden aus akademischen Elternhäusern überproportional hoch. Noch deutlicher werden die Unterschiede bei Hochschulabschlüssen: Während 43 Prozent der Kinder mit akademischem Background einen Mastertitel erwerben, tun dies nur 11 Prozent der Kinder aus Arbeiter*innenfamilien. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Kluft weiter wachsen wird. Während die Inflation Leben und Studium stetig verteuert, steigen die Bafög-Sätze im Zeitraum von 2024 bis 2026 um mickrige 5 Prozent. Auch der Anteil an Studierenden, die Bafög beziehen, ist weiterhin rückläufig.
Studieren steht dabei im direkten Zusammenhang mit Armutsgefährdung. Ein Drittel aller Studierenden und fast vier von fünf Studierenden, welche nicht mehr im Elternhaus wohnen, sind in Deutschland von Armut bedroht. Verwunderlich ist dieser Zusammenhang aber wohl kaum: Unbezahlte Pflichtpraktika, eine unzureichende staatliche Förderung und hohe Lebenshaltungskosten sowie Mieten in Universitätsstädten, welche weit über der Mietkostenpauschale des Bafögs liegen, stellen einen optimalen Nährboden für Armut dar.
Dazu kommt: Wer neben dem Studium arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, kann kaum erwarten, das Studium in der sogenannten Regelstudienzeit zu beenden. An diese ist wiederum das Bafög geknüpft – ein Teufelskreis. Das Studium ist weniger eine Sprosse in der Karriereleiter als ein Bergsteigen – inklusive staatlicher Stolpersteine. Lehrjahre seien keine Herrenjahre, mit diesem Mantra werden Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit in Ausbildung und Studium nichtig gemacht.
Dieser Text ist Teil des Projekts taz Panterjugend: 26 junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, Nachwuchs-journalist:innen, -illustrator:innen und -fotograf:innen, kommen im Januar 2025 zu digitalen Seminaren zusammen und im Februar zu einer Projektwoche in die taz nach Berlin. Gemeinsam entwickeln sie zur Bundestagswahl Sonderseiten für die taz – ein Projekt der taz Panter Stiftung.
Bafög für alle als Vollstipendium
Doch müssen Lehrjahre deshalb Armutsjahre bleiben?
Die EU arbeitet bereits an einem Gesetzesentwurf, welcher unbezahlte Pflichtpraktika verbieten könnte. Doch das reicht noch lange nicht. Neben ausreichend staatlich gefördertem Wohnraum – oder einer Anhebung von Wohnungspauschalen an das Niveau tatsächlicher Wohnkosten – ist eine umfassende Bafög-Reform überfällig.
Ein Bafög für alle als Vollstipendium ist dringend notwendig. Die Höhe dieses Vollstipendiums muss dabei an die tatsächliche Lebensrealität angepasst und gesetzlich an die Inflation gekoppelt werden. Studium und Ausbildung dürfen weder Luxus noch vom Elternhaus abhängig sein. Bildung ohne Armutsgefährdung muss allen offenstehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
CDU delegitimiert NGOs
Rechter Kulturkampf der Merz-Lauchs
551 Fragen im Bundestag
Union attackiert Zivilgesellschaft
Lockerung der Schuldenbremse
Bitte jetzt mal eine große Koalition der Vernunft
Der Jahrestag der Ukraine-Invasion
Warum Russland verlieren wird
Wahlergebnis in Westdeutschland
Hier liegt die AfD vor allen anderen
Grüne nach der Wahl
Fünf sind eine zu viel