Soziale Mischung in Hamburg: Sozialwohnungen für Betuchte
Um die Sozialstruktur in Großwohnsiedlungen zu verbessern, lässt der Senat Besserverdienende in geförderte Wohnungen ziehen. Eine Sauerei, so die Linke.
![](https://taz.de/picture/120426/14/muemmelmannsberg_dpa.jpg)
Trotz des viel zitierten Mangels an bezahlbaren Wohnungen hält es der SPD-Senat nicht für nötig, die knapp 89.000 Sozialwohnungen in Hamburg nur an Geringverdiener zu vergeben. Insgesamt 18.990 öffentlich geförderte Wohnungen können auch von Vermögenden bezogen werden. Das geht aus einer großen Anfrage der Linkspartei hervor.
In den Großwohnsiedlungen in Steilshoop, Mümmelmannsberg und Neuallermöhe-West hat es die Stadtentwicklungsbehörde Vermietern im Januar erneut für zwei Jahre freigestellt, Sozialwohnungen auch an Mieter zu vergeben, die eigentlich keinen Anspruch auf geförderten Wohnraum haben.
Die Befreiung betrifft in den drei Gebieten 12.373 Sozialwohnungen. Mit dieser Strategie will die Behörde „stabile Nachbarschaften“ schaffen und „eine positive Quartiersentwicklung“ erreichen. Das sei neben der Erfüllung des Versorgungsauftrages ein wichtiges Ziel, sagt der Sprecher der Stadtentwicklungsbehörde, Magnus Kutz.
„Dem Versorgungsauftrag immer oberste Priorität einzuräumen, ist aus fachlicher Sicht nicht richtig“, so Kutz weiter. In Wilhelmsburg ist die Freistellung bereits vor sieben Jahren bis Ende 2020 verlängert worden. Dass ganze Gebiete von der sozialen Bindung freigestellt werden, ist nicht neu. In Mümmelmannsberg und Steilshoop verfolgt die Stadt diese Strategie bereits seit 1977.
In Hamburg gibt es heute noch knapp 89.000 Sozialwohnungen, 1990 waren es noch 265.000.
Weil sie mit staatlicher Förderung gebaut werden, dürfen sie eine bestimmte Miete nicht überschreiten. Bei klassischen Sozialwohnungen liegt die Anfangsmiete bei 5,90 Euro pro Quadratmeter.
Gedacht sind die Wohnungen für diejenigen, die auf dem freien Wohnungsmarkt schlechte Karten haben: Die Einkommensgrenze für einen Einpersonenhaushalt liegt hier bei jährlich 15.600 Euro netto.
Anspruch auf eine Sozialwohnung haben 41 Prozent und damit über 400.000 Hamburger Haushalte.
Dennoch spricht die wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Heike Sudmann, von einer „unglaublichen Sauerei“. Denn während die Zahl der Sozialwohnungen in Hamburg seit Jahren sinke, steige die Zahl derer, die einen Anspruch darauf hätten – auf gegenwärtig 400.000 Hamburger Haushalte.
Sudmann hält die wohnungspolitischen Auswirkungen für erheblich: Allein 2012 seien knapp 800 Wohnungen und damit mehr als zwei Drittel der freigewordenen Sozialwohnungen an Haushalte vermietet worden, die über der Einkommensgrenze liegen. Sudmann kritisiert, dass im gleichen Zeitraum „5.000 ärmere Haushalte trotz Dringlichkeitsschein keine Wohnung bekommen haben“. Mit der Gebietsfreistellung verkleinere der Senat die Chance für Menschen mit wenig Geld, eine bezahlbare Wohnung zu bekommen.
Siegmund Chychla vom Mieterverein zu Hamburg sieht die Gebietsfreistellung mit gemischten Gefühlen. Wenn Familien mit mittleren Einkommen nach Steilshoop zögen, sei das positiv für die soziale Mischung und die Stabilisierung des Stadtteils, sagt er. „Weil es jedoch sowieso zu wenig Sozialwohnungen gibt, gehen so aber auch dringend benötigte Sozialwohnungen verloren.“
Denn obwohl der SPD-Senat den Bau von mindestens 2.000 öffentlich geförderten Wohnungen pro Jahr anschieben will, fallen im gleichen Zeitraum bis zu 6.000 Wohnungen aus der sozialen Bindung.
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