Soziale Gerechtigkeit in der Pandemie: 20.000 Euro geschenkt
Durch die Corona-Pandemie wurde soziale Ungerechtigkeit verstärkt. Nun gibt es erste Ideen, dem entgegenzuwirken.
K arl Lauterbach hat versprochen: „Das wird ein super Sommer.“ Und Karl Lauterbach hatte Recht. Mein Sommer zumindest ist bisher sehr gut. Die Sonne scheint, ich habe in einem Restaurant gegrillten Fisch gegessen und überlege, wie ich meinen Geburtstag feiere. Delta verbreitet sich, das macht Angst. Aber Jens Spahn sagt: In einem Monat sind alle einmal geimpft, die wollen! Ausatmen. Jubeln. Das Schlimmste an der Pandemie ist vorerst überstanden. Aber können sich wirklich alle so freuen, über die zurückgekehrten banalen Dinge des Lebens? Das ist eine rhetorische Frage und die Antwort darauf natürlich: Nein.
Pflegende, die sich um Corona-Patient:innen gekümmert haben, werden diese Monate nach dem ersten Sonnenbrand kaum vergessen. Eltern, die sich zwischen Homeoffice und Kinderbetreuung zerrieben haben, Leute, die ihren Job verloren haben und viele junge Menschen auch nicht. „Junge Menschen sind in vielerlei Hinsicht die Hauptleidtragenden der Pandemie“, findet der Ökonom Marcel Fratzscher, der das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) leitet. Auch wenn sie seltener schwer an Corona erkranken, habe ihre Bildung und mentale Gesundheit Schaden genommen. Fratzscher warnte in einem Text davor, dass sich vor allem bei jungen Menschen die Unterschiede zwischen sozialen Gruppen deutlich vergrößern werden, wenn man das nicht verhindere. Als Lösung schlug er vor: Jedem jungen Menschen in Deutschland 20.000 Euro zu schenken. Ein „Startgeld“ sei das, das in der Pandemie Sicherheit, Flexibilität und Autonomie ermögliche. Ein Startgeld für mehr soziale Gerechtigkeit.
Steuererleichterungen. Mehr Lohn. Höheres Arbeitslosengeld. Und seit einigen Jahren auch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das sind die Dinge, über die wir sonst so reden, wenn die Gesellschaft durch Geld gerechter werden soll. Maßnahmen, die nur langsam Cash bringen, und meist nur wenig. Aber mit 20.000 Euro kann man einen Kredit für eine Wohnung bekommen, sich selbstständig machen oder teure Fortbildungen bezahlen. Das sagt übrigens nicht nur Fratzscher: Der französische Ökonom Thomas Piketty wollte schon vergangenes Jahr jedem jungen Menschen Geld schenken, und zwar das Sechsfache: 120.000 Euro.
Gerechter wäre in der Pandemie ein Neustart-Geld, das nicht nur die Jungen bekämen, sondern auch andere besonders Gebeutelte: Pflegende oder Frauen, die von der Pandemie insgesamt stärker getroffen wurden als Männer. Zu entscheiden, wem die Kohle zustünde und wem nicht, wäre ein schwieriger Prozess. Und ob so ein Batzen Geld wirklich die Wunderwaffe für soziale Gerechtigkeit ist, weiß bisher niemand. Aber jetzt wäre der Moment, es auszuprobieren. Bevor die Solidaritätsbekundungen vom Anfang der Pandemie, die Wünsche nach einem gesellschaftlichem Wandel wieder komplett vergessen wurden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“