piwik no script img

Sozialberater über Rassismus bei Brebau„Ethisch eine Katastrophe“

Laut ARD-Berichten gibt es rassistische Praktiken bei der Bremer Wohnungsbaugesellschaft Brebau. Ein Gespräch über Wohnraum und Rassismus.

Anonym, aber sozial durchsortiert: Die Brebau steht wegen Rassismus in der Kritik Foto: Ole Spata/dpa
Alina Götz
Interview von Alina Götz

Die städtische Bremer Wohnungsbaugesellschaft Brebau soll nach Recherchen von Radio Bremen und dem ARD-Magazin „Panorama“ Wohnungssuchende systematisch diskriminieren. Unter anderem werde in Akten notiert, ob Be­wer­be­r*in­nen schwarz sind, Deutsch sprechen, ein Kopftuch tragen. Auch eine Liste mit unliebsamen Adressen soll es geben, darunter Einrichtungen für Suchtkranke und Übergangsheime für Obdachlose.

taz: Herr Thomsen, überrascht Sie die jüngst aufgedeckte Diskriminierung von Wohnungssuchenden durch die Bremer Baugesellschaft Brebau?

Herbert Thomsen: Nein. Lediglich vor dem Hintergrund, dass die Stadt Bremen die Brebau vor etwa zwei Jahren für sehr viel Geld gekauft hat mit der politischen Ansage: Wir wollen die Brebau als wohnungspolitisches Instrument nutzen, um Menschen mit Problemen auf dem Wohnungsmarkt – dazu zähle ich People of Colour oder Leute mit geringem Einkommen –, den Zugang zu vernünftigen Wohnverhältnissen zu gewährleisten. Und was da jetzt öffentlich geworden ist, ist ja das glatte Gegenteil.

Warum ist die diskriminierende Praxis abgesehen davon nicht überraschend?

Weil sie nicht neu ist. Ich beobachte die Bremer Wohnungsbaugesellschaften seit 30 Jahren. Es gibt immer wieder das Problem, dass Menschen benachteiligt und so systematisch ausgegrenzt werden. Ein Beispiel: Die Gewoba hat vor 20 Jahren beschlossen, Wohnungen zu privatisieren. Dieses Modell rechnet sich aber nur, wenn man für diese Wohnungen einen hohen Preis erzielt. Und das wiederum funktioniert nur, wenn in der Straße oder im Wohnblock keine desaströsen Wohnverhältnisse herrschen. Also versuchte man, sogenannte Problemfälle, also zum Beispiel Menschen mit geringem Einkommen, zu entfernen oder sie gar nicht erst einziehen zu lassen. Mit dem Ergebnis, dass sich die soziale Zusammensetzung der Mieterinnen und Mieter verändert hat. Es gibt nun Quartiere, wo es den Gesellschaften egal ist, was mit den Wohnungen passiert – sogenannte Gettos.

Bild: privat
Im Interview: Herbert Thomsen

67, macht seit 30 Jahren Sozialberatung, aktuell beim Bremer Erwerbslosenverband, und unterstützt das Bremer Bündnis gegen Zwangsräumung.

Was wiederum zu einer vermehrten Stigmatisierung führt.

Genau. Das finden wir bei der Brebau ja auch wieder mit der Sammlung der Adressen.

Sie meinen die Liste der Brebau, die laut den Recherchen den Titel „Schlechte Adressen!!“ trägt. Dadurch werden auch Menschen diskriminiert, die beispielsweise in der Therapiehilfe oder in Übergangswohnheimen leben. Ist das überhaupt legal?

Nein, aus datenschutzrechtlichen Gründen halte ich das für zutiefst illegal.

Sowohl diese Liste als auch die Akteneinträge der Brebau?

Ja, beides. Es ist illegal und ethisch eine Katastrophe, dieses Auseinanderdividieren der Bevölkerung voranzutreiben.

Lassen Sie uns über die Akteneinträge sprechen. Die Brebau lässt über Wohnungsinteressierte vermerken, ob sie schwarz, mit der deutschen Kultur vertraut oder westlich integriert sind. Dafür soll es sogar eine Anleitung für Kundendienstmitarbeiter geben, berichten Radio Bremen und „Panorama“. Wie kann so offener Rassismus eine unhinterfragte Praxis werden?

Das ist schwierig zu sagen. Ich gehe davon aus, dass dahinter eine Geschäftsstrategie steckt und Gesellschaften dafür sorgen wollen, dass an bestimmten Stellen ihres Wohnungsbestandes keine Konflikte entstehen und ein höheres Mietniveau durchsetzbar ist. Über Listen versucht man also, Menschen aus diesen Beständen fernzuhalten, bei denen sie eine höhere Vermutungen haben, dass es zu Konflikten oder Zahlungsausfällen kommt. Doch das ist völlig aus der hohlen Hand gegriffen. Ich kann anhand von Augen- oder Haarfarbe nicht erkennen, ob jemand seine Miete zahlt.

Die Re­por­te­r*in­nen haben vier junge Deutsche – zwei davon People of Colour, zwei weiß – gebeten, sich bei Brebau um eine Wohnung zu bewerben. Letztere haben ein Angebot bekommen, die anderen beiden nicht.

Ich weiß aus den Beratungen, wie schwierig es für einige Menschen ist, Wohnungen zu finden. Sie bekommen nur Angebote von Wohnungen am Stadtrand, die stigmatisiert sind und die die Konzerne auch praktisch abgeschrieben haben. Auch viele Privatvermieter handeln nach rassistischen Prinzipien.

Was bedeuten solche rassistischen und diskriminierenden Praktiken für die Betroffenen?

Sie kommen nicht aus ihrer Wohnung raus. Die Wohnverhältnisse werden immer prekärer, wenn nicht repariert oder modernisiert wird. Außerdem haben jüngere Familien Platzprobleme, wenn sie Kinder bekommen. Das geht unter heutigen Pandemiebedingungen mit Homeschooling natürlich gar nicht.

Sie haben vor zwei Jahren John Jenkins, einen Mieter der Genossenschaft Espabau unterstützt, auch vor Gericht. Die wollten ihn aus der Wohnung haben. Sie sagten damals, es steckten rassistische Motive dahinter. Wie ist es ausgegangen?

Er wohnt noch in der Wohnung. Die Espabau hat das Verfahren eingestellt, weil sie gemerkt haben, dass sie keinen Erfolg haben. John berichtete auch danach noch, dass viele seiner Beschwerden über Mängel nicht bearbeitet wurden. Die weißer Nachbarn schon. Das zeigt ein tiefgehendes Rassismusproblem bei Espabau. Die Vermietungspraxis der Brebau ist kein Sonderfall.

Der grüne Bremer Finanzsenator und Aufsichtsratsvorsitzende von Brebau, Dietmar Strehl, hat angeblich erst durch die Recherchen von den Vorgängen gehört. Wie kann das sein?

Dass ein Aufsichtsrat das nicht weiß, kann ich mir durchaus vorstellen. Die reden ja über Zahlen und Personal – und nicht die gesamte Geschäftspolitik.

Die Geschäftsführung sagte zunächst auch, dass sie von der Diskriminierung und den entsprechenden Unterlagen nichts wüssten.

Das glaube ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Abteilung Vermieten selbstständig solche Kriterien entwickelt und in der Lage ist, das auf dem Rechner der Wohnungsbaugesellschaft unterzubringen. Da müssen ja auch die IT-Administratoren involviert gewesen sein.

Am Mittag hat die Geschäftsführung dann „ein mehrstufiges Sofortprogramm“ verabschiedet und eingeräumt, „dass es bei der Registrierung von Wohnungsinteressenten zu nicht von der Geschäftsführung autorisierten Prozessen gekommen ist“. Halten Sie deren Aussage, die Vorwürfe sehr ernst zu nehmen, nach diesem Hin und Her für glaubhaft?

Ja, schon, denn die Stadt als Eigentümer hat mit dem Kauf der Brebau erklärt, dass sie etwas ganz anderes will. Dieses Verhalten ist nichts anderes als ein Aufstand gegen die politische Ansage. Die Geschäftsführung weiß auch, dass sie sich so ein Ding nicht leisten kann.

Unter anderem die SPD-Fraktion hat nun die Freistellung der Geschäftsführung gefordert. Zu recht?

Das ist durchaus vernünftig. Denn sie hat genau entgegen des Auftrags gehandelt. Man könnte das auch als Sabotage bezeichnen.

Welche Konsequenzen bräuchte es noch?

Die Brebau muss glaubhaft demonstrieren, dass sie mit ihrer Vermietungspolitik bricht. Personelle Konsequenzen sind das eine, aber dadurch verändert sich die Praxis nicht. Die Menschen, die letztlich entscheiden, wer eine Wohnung kriegt, müssen ja auch – positiv formuliert – umgeschult werden.

Sind die Enthüllungen von Radio Bremen und „Panorama“ das Schlimmste, was sie je über Bremer Wohnungsbaukonzerne gehört haben?

Ja. Es gibt aber viele Dinge bei den Wohnungsbaugesellschaften, die nicht minder problematisch sind: Die Gewoba hat bis heute mehrere Tausend Wohnungen privatisiert und dabei nicht nur an Mieter, sondern auch an Konzerne verkauft. Das halte ich für eine Katastrophe. Rassismus und die soziale Fragen laufen hier unmittelbar zusammen, aber beide sind für sich genommen ein Skandal.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Es gab Mutmaßungen über rassistisches Vorgehen außerhalb der Brebau. Panorama hat ja bereits solche Quellen veröffentlicht.

    Das Wissen war also bereits längst außerhalb der Brebau verbreitet.



    Ich frage mich dabei wie sehr hat Linkspartei-SPD-Grüne noch Ohren für das was in der Bremer Bevölkerung debattiert wird. Haben etwa nie Vertreter der "Bösen Liste" Mitglieder der regierenden Parteien kontaktiert. Snd die vielen Beschwerden dort gar nicht angekommen?

    Warum war erst der direkte Weg an die Öffentlichkeit notwendig, dass etwas passiert?

  • Der Ausschluss von Minderheiten aus dem Wohnungsmarkt hat in den USA eine lange Tradition und firmiert unter dem Begriff “red lining”. Makler, Erschließungsgesellschaften, Home Owner Associations und Banken arbeiten sehr diskret und erfolgreich zusammen, um zu verhindern, dass Schwarze in die blütenweiße Nachbarschaft einziehen. Im Bremer Fall ist es sehr plump angestellt worden, weil es explizit dokumentiert wurde. Ich bin mir sicher, dass das professionellere amerikanische red lining bei uns viel weiter verbreitet ist, denn Konzepte, Erfahrungen und die erwiesene Robustheit gegenüber Strafverfolgung liegen schon seit Jahrzehnten in den USA vor. Man sollte den vorliegenden Fall daher als Mahnung und Aufhänger nehmen, diese rassistischen Praktiken auch hier systematischer zu erforschen.

  • Für Geschäftsführer und A-Räte die angeblich nicht mitbekommen dass in ihrer "Company" systematsich rassistische Geschäftspraktiken zum Unternehmensalltag gehören gibt es nur einen Weg:



    Auf die Straße werfen! Raus - und lassen sie sich hier nie wieder sehen !

    Der alte Spruch "Von all dem habe ich nichts gewusst. Von meinem Büro aus konnte ich weder die Rampe noch die Öfen sehen" darf einfach nicht mehr funktionieren !1!!

    Sie finden das übertrieben ? - Ich finde es das Mindeste - denn wenn man einen Brand nicht löscht, solange er noch klein ist, brennt ganz schnell die ganze Hütte !